Bedingungen wie in Sternen in haarfeinem Draht
Redaktion
/ Pressemitteilung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf astronews.com
13. September 2024
Die Bedingungen im Inneren von Sternen im Labor
nachzustellen, ist nicht ganz einfach, aber möglich: für kurze Zeit und in einem
winzigen Volumen. Bislang benötigte man dafür gewaltige Laser, von denen es auf
der Welt nur wenige gibt. Nun ist es gelungen, Extremverhältnisse mit einem
deutlich kleineren Laser herzustellen und zu beobachten.
Künstlerische Darstellung des in sich
zusammenbrechenden Drahts: Ein starker Strom
hochenergetischer Elektronen (rosa) erhitzt die
Oberfläche blitzartig und erzeugt so Stoßwellen,
die den Draht strahlenförmig zusammendrücken.
Bild:
HZDR / T. Toncian [Großansicht] |
Im Inneren von Sternen und Planeten herrschen extreme Bedingungen. Der Druck
erreicht Abermillionen Bar, es kann mehrere Millionen Grad heiß sein. Mit
ausgefeilten Methoden gelingt es, solche Materiezustände im Labor zu erzeugen –
wenn auch nur einen Wimpernschlag lang und in einem winzigen Volumen. Bislang
braucht es dafür die energiestärksten Laser der Welt, etwa die National Ignition
Facility (NIF) in Kalifornien. Doch von diesen Licht-Giganten gibt es nur
wenige, entsprechend rar sind die Möglichkeiten für Experimente. Einem
Forschungsteam unter Federführung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf
(HZDR) ist es gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des European XFEL nun
gelungen, Extremverhältnisse mit einem deutlich kleineren Laser herzustellen und
zu beobachten. Im Zentrum der neuen Technik steht ein Draht aus Kupfer, feiner
als ein menschliches Haar.
Bislang feuern die Fachleute höchst energiereiche Laserblitze auf eine
Materialprobe, meist eine dünne Folie. Dadurch erhitzt sich das Material an der
Oberfläche schlagartig. Das erzeugt eine Stoßwelle, die durch die Probe jagt.
Sie komprimiert das Material und heizt es auf. Für ein paar Nanosekunden
entstehen Bedingungen wie im Inneren eines Planeten oder in der Hülle eines
Sterns. Das winzige Zeitfenster genügt, um das Phänomen mit speziellen
Messtechniken zu untersuchen, etwa den ultrastarken Röntgenblitzen des European
XFEL in Schenefeld nahe Hamburg.
Hier, am stärksten Röntgenlaser Europas, führt das HZDR ein internationales
Nutzerkonsortium namens HIBEF – Helmholtz International Beamline for Extreme
Fields – an. Unter anderem betreibt dieses Konsortium an der
Experimentierstation High Energy Density (HED-HIBEF) einen Laser, der ultrakurze
Pulse erzeugt, die zwar keine besonders hohe Energie haben – nur etwa ein Joule.
Allerdings sind sie mit 30 Femtosekunden so kurz, dass sie eine Leistung von 100
Terawatt erreichen. Mit diesem Laser beschoss das Forschungsteam an HED-HIBEF
einen dünnen, nur 25 Mikrometer feinen Kupferdraht. "Dann konnten wir mit den
starken Röntgenblitzen des European XFEL beobachten, was im Inneren des Drahts
passierte", erläutert Dr. Alejandro Laso Garcia. "Diese Kombination aus
Kurzpuls-Laser und Röntgenlaser ist weltweit einzigartig. Erst durch die hohe
Qualität und Sensibilität des Röntgenstrahls konnten wir einen unerwarteten
Effekt beobachten.“
In mehreren Messreihen variierte die Arbeitsgruppe systematisch den
zeitlichen Abstand zwischen dem Einschlag des Laserblitzes und dem Durchleuchten
mit dem Röntgenlicht. Dadurch ließ sich ein detaillierter "Röntgenfilm“ des
Geschehens aufnehmen: "Zunächst interagiert der Laserpuls mit dem Draht und
erzeugt eine lokale Schockwelle, die ähnlich wie eine Detonation durch den Draht
hindurchgeht und ihn letztlich zerstört", erklärt HIBEF-Abteilungsleiter PD Dr.
Toma Toncian. "Zuvor aber rast ein Teil der hochenergetischen Elektronen, die
beim Lasereinschlag entstehen, an der Drahtoberfläche entlang." Diese schnellen
Elektronen heizen die Drahtoberfläche blitzartig auf und erzeugen so weitere
Stoßwellen. Die laufen dann wiederum von allen Seiten zum Zentrum des Drahts.
Für einen kurzen Augenblick treffen dort sämtliche Stoßwellen aufeinander und
generieren extrem hohe Drücke und Temperaturen.
Die Messungen ergaben, dass die Dichte des Kupfers in der Mitte des Drahtes
kurzzeitig acht- bis neunmal so hoch war wie in "normalem", kaltem Kupfer.
"Unsere Computersimulationen legen nahe, dass wir einen Druck von 800 Megabar
erreicht haben", sagt Prof. Thomas Cowan, Direktor am HZDR-Institut für
Strahlenphysik und Initiator des HIBEF-Konsortiums. "Das entspricht dem
800-Millionenfachen Atmosphärendruck und dem 200-fachen des Drucks, der im
Inneren der Erde herrscht." Auch die erreichte Temperatur war für irdische
Verhältnisse enorm: 100.000 Grad Celsius.
Das sind die Bedingungen, die denen in der Korona – der heißen Hülle – eines
weißen Zwergsterns nahekommen. "Erreichbar wären mit unserer Methode aber auch
Zustände, wie sie im Inneren riesiger Gasplaneten herrschen", betont Laso
Garcia. Dazu zählen nicht nur altbekannte Giganten wie Jupiter, sondern auch
eine Vielzahl an fernen Exoplaneten, die im Laufe der letzten Jahre entdeckt
wurden. Inzwischen hat das Forschungsteam auch Drähte aus anderen Materialien
ins Visier genommen, etwa aus Eisen und aus Kunststoff. "Kunststoff besteht
hauptsächlich aus Wasserstoff und Kohlenstoff", erklärt Toncian. "Und beide
Elemente kommen in Sternen und deren Korona vor."
Doch die neue Messmethode dürfte nicht nur für die Astrophysik, sondern auch
für ein anderes Forschungsfeld nützlich sein. "Unser Experiment zeigt in
beeindruckender Weise, wie wir sehr hohe Dichten und Temperaturen in
verschiedensten Materialien erzeugen können", sagt Ulf Zastrau, der die
HED-Gruppe am European XFEL leitet. "Das wird die Fusionsforschung einen
wichtigen Schritt weiterbringen." Denn derzeit arbeiten mehrere Forschungsteams
und Start-ups auf der Welt an einem Fusionskraftwerk auf der Basis von
Hochleistungslasern. Das Prinzip: Starke Laserblitze treffen von allen Seiten
auf ein Brennstoffkügelchen aus gefrorenem Wasserstoff und bringen es zur
Zündung, wobei mehr Energie herauskommen soll, als hineingesteckt wurde. "Mit
unserem Verfahren könnten wir beobachten, was im Detail im Inneren des
Kügelchens passiert, wenn es von den Laserpulsen getroffen wird“, beschreibt
Cowan zukünftige Experimente. „Wir erwarten, dass das einen riesigen Einfluss
auf die Grundlagenforschung dieses Gebiets haben kann."
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Communications erschienen ist.
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