Die Geburt eines Neutronensterns
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik astronews.com
28. Juni 2013
Mit den bislang aufwendigsten Computersimulationen gelang es
Astronomen jetzt, die komplizierten Vorgänge bei der Entstehung von
Neutronensternen im Zentrum kollabierender Sterne mit zuvor nicht erreichter
Genauigkeit zu berechnen. Sie benötigten dafür zwei der leistungsfähigsten
verfügbaren Großrechner und eine Rechenzeit von rund 150 Millionen
Prozessorstunden.

Die Entwicklung
eines Neutronensterns in der Simulation. Zu sehen
ist ein Schnappschuss 0,245 Sekunden nach Beginn
der Neutronensternbildung. In charakteristischen
pilzartigen Blasen "kocht" neutrinogeheiztes Gas,
während die "SASI" Instabilität gleichzeitig
wilde Pulsationen und Drehbewegungen der gesamten
geheizten Materieschicht (rot) und der
einhüllenden Supernovastoßwelle (blau)
verursacht.
Bild: MPA / Elena Erastova und Markus
Rampp, RZG |
Sterne mit mehr als der acht- bis zehnfachen Masse unserer Sonne beenden ihr
Leben in einer gewaltigen Explosion, bei der das stellare Gas mit ungeheurer
Wucht in den umgebenden Raum geschleudert wird. Solche Supernova-Explosionen
gehören zu den energiereichsten und hellsten Phänomenen im Universum und können
für Wochen die Strahlkraft einer ganzen Galaxie erreichen.
Sie sind der kosmische Ursprungsort chemischer Elemente wie Kohlenstoff,
Sauerstoff, Silizium und Eisen, aus denen unsere Erde und unser Körper bestehen,
und welche in massereichen Sternen über Jahrmillionen erbrütet oder bei der
Sternexplosion frisch erzeugt werden.
Supernovae sind aber auch die Geburtsstätten von Neutronensternen, jener
höchst exotischen, kompakten "Sternleichen", in denen rund die eineinhalbfache
Masse der Sonne auf die Größe einer Kugel mit dem Durchmesser Münchens
zusammengequetscht wird. Dies geschieht in Bruchteilen einer Sekunde, wenn der
stellare Kern unter dem Einfluss der eigenen Schwerkraft in sich zusammenfällt
und seine katastrophale Implosion erst dann gestoppt wird, wenn die Dichte von
Atomkernmaterie - gigantische 300 Millionen Tonnen im Volumen eines
Zuckerwürfels - überschritten wird.
Aber was verursacht den Supernova-Ausbruch des Sterns? Wie kommt es zur
Umkehr seiner Implosion zu einer Explosion? Die genauen Vorgänge, die sich
hierbei abspielen, sind immer noch Gegenstand intensiver Forschung. Neutrinos,
mysteriöse Elementarteilchen, die bei den extremen Temperaturen und Dichten im
kollabierenden stellaren Kern und entstehenden Neutronenstern in riesiger Zahl
erzeugt und abgestrahlt werden, sind der gängigsten Vorstellung zufolge daran
entscheidend beteiligt.
Wie die Wärmestrahlung eines heißen Heizkörpers heizt die Neutrinostrahlung
das den heißen Neutronenstern umgebende stellare Gas und könnte so die Explosion
des Sterns "zünden". Nach dieser Vorstellung würden die Neutrinos so lange
Energie ins stellare Gas pumpen und Druck aufbauen, bis eine Stoßwelle den Stern
in einer Supernova zerreißt.
Doch funktioniert dieses theoretische Modell? Ist dies die Erklärung für den
immer noch rätselhaften Mechanismus hinter der Sternexplosion? Die Prozesse im
Zentrum explodierender Sterne lassen sich weder im Labor nachmachen, noch kann
man sie im tiefen Inneren des Sterns, verborgen von vielen Sonnenmassen dichten
stellaren Gases, direkt beobachten. Die Forschung ist daher auf extrem
aufwendige Computermodelle angewiesen, in denen die komplizierten mathematischen
Gleichungen gelöst werden, mit denen die Bewegung des Sterngases und die Physik
bei den extremen Temperaturen und Dichten im kollabierenden stellaren Kern
beschrieben werden.
Eingesetzt werden dabei die leistungsstärksten existierenden Supercomputer
und dennoch konnten bis vor kurzem solche Berechnungen nur mit groben
Vereinfachungen durchgeführt werden. Wollte man zum Beispiel die entscheidenden
Effekte der Neutrinos genau berechnen, konnte dies bestenfalls in zwei
Raumdimensionen geschehen, was bedeutet, dass für den Stern in den
Computermodellen eine künstliche Rotationssymmetrie um eine Achse angenommen
wurde.
Mit einem durch Unterstützung von Experten am Rechenzentrum Garching
verbesserten, besonders effizienten und schnellen Computerprogramm, den
leistungsstärksten verfügbaren Supercomputern und einer Rechenzeit von rund 150
Millionen Prozessorstunden, dem größten jemals von der "Partnership for Advanced
Computing in Europe" Initiative der Europäischen Union vergebenen Kontingent,
konnte ein Team von Forschern am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) in
Garching die Abläufe in kollabierenden Sternen nun erstmals in den drei
natürlichen Raumdimensionen im Detail simulieren.
"Dabei benutzten wir fast 16.000 Prozessorkerne im Parallelbetrieb, und
dennoch benötigte eine einzige Modellrechnung rund 4,5 Monate", sagt der
Doktorand Florian Hanke, der die Simulationen durchführte. Nur zwei
Rechenzentren in Europa konnten hierfür hinreichend leistungsfähige
Supercomputer für so lange Zeiträume zur Verfügung stellen, nämlich die Rechner
CURIE am Très Grand Centre de calcul du CEA bei Paris und SuperMUC am
Leibniz-Rechenzentrum in München/Garching.
Was sich dabei nach Auswertung und Visualisierung der produzierten vielen
Terabytes von Zahlenkolonnen den Forschern offenbarte, versetzte das Team in
Staunen und Aufregung. Das stellare Gas zeigt nicht nur das durch die
Neutrinoheizung erwartete wilde Brodeln und Blubbern mit den dafür typischen
aufsteigenden Blasen, ähnlich wie bei sprudelnd kochendem Wasser. Die
Wissenschaftler sahen im Sterninneren zusätzlich auch heftige, große
Schwipp-Schwapp-Bewegungen, die zeitweise sogar in schnelle, kraftvolle
Rotationsbewegungen übergehen.
Ein solches Verhalten war zwar vorher bereits bekannt und hatte die
Bezeichung "Akkretionsstoßinstabilität" (oder "SASI" vom englischen "Standing
Accretion Shock Instability") erhalten. Diese Bezeichnung soll ausdrücken, dass
die Supernovastoßwelle nicht kugelförmig bleibt, sondern starke, pulsierende
Asymmetrien ausbildet, die aus kleinen Störungen oszillierend anwachsen. Dies
war aber bislang nur in vereinfachten und unvollständigen Modellrechnungen
beobachtet worden.
"Mein Kollege Thierry Foglizzo am Forschungsinstitut Service d'
Astrophysique des CEA-Saclay bei Paris hat ein genaues Verständnis der
Wachstumsbedingungen dieser Instabilität entwickelt", erklärt Hans-Thomas Janka,
der Leiter der Forschergruppe. "Er hat ein Experiment konstruiert, in dem bei
einem Sprung der Wasserhöhe in einem kreisförmigen Wasserfluss pulsierende
Asymmetrien auftreten, ganz analog zur Stoßwelle im kollabierenden Materiestrom
um das Supernovazentrum."
Anhand dieses "SWASI" ("Shallow Water Analogue of Shock Instability")
genannten Phänomens lassen sich dynamische Vorgänge im tiefen Innern eines
sterbenden Sterns in vereinfachter Form anhand eines preiswerten
Tischexperiments nachvollziehen, freilich ohne die wichtigen Effekte des
Neutrinoheizens. Daher zweifelten viele Wissenschaftler trotzdem am Auftreten
dieser Instabilität im Innern von kollabierenden Sternen.
Die Garchinger Forschergruppe konnte nun erstmals zweifelsfrei zeigen, dass
die Instabilität auch in den bislang realistischsten Computermodellen eine
bedeutende Rolle spielt. "Sie dirigiert nicht nur die Materiebewegungen im
Supernovakern, sie prägt dadurch auch den Neutrino- und
Gravitationswellensignalen, die bei einer galaktischen Supernova beobachtet
werden, charakteristische Signaturen auf. Außerdem macht sie die Sternexplosion
extrem asphärisch, so dass der entstehende Neutronenstern eine hohe
Rückstoßgeschwindigkeit und eine Eigendrehung erhält", umreißt Teammitglied
Bernhard Müller die wichtigsten Konsequenzen solcher dynamischen Vorgänge im
Supernovakern.
Die Forscher beabsichtigen nun, mit weiteren Modellen die messbaren Effekte
der SASI genauer zu analysieren und ihre Vorhersagen entsprechender Signale zu
verbessern. Auch wollen sie mit weiteren und längeren dreidimensionalen
Computersimulationen verstehen, wie diese Instabilität mit dem Neutrinoheizen
zusammenarbeitet und seine Wirkung verstärkt. Es soll dabei endlich geklärt
werden, ob ein solches Zusammenspiel der lang gesuchte Mechanismus ist, der die
Supernova auslöst und dabei den Neutronenstern als kompakten Überrest
zurücklässt.
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