Neuer Beobachtungsmodus, neue Entdeckungen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik astronews.com
7. Juni 2010
In einer Durchmusterung des Himmels mit dem Röntgen-Weltraumteleskop
XMM-Newton haben Wissenschaftler zwei Galaxienhaufen entdeckt, die
gleichzeitig auch durch ihren Effekt auf die kosmische
Mikrowellenhintergrundstrahlung mit dem South Pole Telescope (SPT)
gefunden wurden. Die Entdeckung gelang erst durch einen neuen
Beobachtungsmodus von XMM. Er bietet den Forschern ganz neue Möglichkeiten.

Zusammengesetztes Bild aus optischen
Beobachtungen und Röntgenbeobachtungen des
massereichen Galaxienhaufens SPT-CL J2332-5338.
Die Kontouren deuten an, wo für diesen Haufen der
Sunyaev-Zel'dovich Effekt beobachtet wurde.
Bild: ESA / XMM-Newton (Röntgen)
/ Blanco Cosmology Survey / NOAO / AURA / NSF
(optisch) /South Pole Telescope / NSF (SZE
Konturen) |
Galaxienhaufen sind die größten klar definierten Bausteine unseres
Universums. Sie zeichnen in idealer Weise die großräumige Struktur des
Universums nach und liefern den Wissenschaftlern wichtige Hinweise
darauf, welches theoretische kosmologische Modell die Wirklichkeit am
besten beschreibt. Ihren Namen erhielten Galaxienhaufen durch die hohe
Konzentration von Galaxien, die zuerst in optischen Beobachtungen
gefunden wurden. Die Hunderte bis Tausende von Galaxien machen aber
nicht einmal ein Zehntel der Masse eines Haufens aus, etwas mehr als ein
weiteres Zehntel der Masse steckt in Gas. Dieses Gas, das den
Galaxienhaufen ausfüllt, hat Temperaturen von mehr als 10 Millionen Grad
und ist damit heiß genug, um seine Wärme als Röntgenstrahlung ins All
abzugeben.
Aus der messbaren Temperatur und der Röntgenleuchtkraft können
Wissenschaftler die Masse eines Galaxienhaufens berechnen. Dies liefert
den Beweis, dass Galaxienhaufen gravitativ gebundene Strukturen sind.
Für den Großteil der Masse eines Haufens wird allerdings die
unsichtbare, bisher unbekannte Dunkle Materie verantwortlich gemacht.
Das Gas kann aber nicht nur direkt im Röntgenlicht beobachtet werden,
sondern auch durch seine Wirkung auf die kosmische Hintergrundstrahlung,
die uns aus allen Himmelsrichtungen erreicht, wie Hans Böhringer vom
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik erklärt:
"Interessanterweise hat das gleiche Gas, das wir im Röntgenbereich
sehen, auch Einfluss auf Beobachtungen im Radiobereich. Die
Lichtteilchen des kosmischen Mikrowellenhintergrundes wechselwirken mit
den extrem energiereichen Elektronen des ionisierten Haufengases, wenn
sie den Galaxienhaufen auf ihrem Weg zu uns durchqueren. Damit wird das
Spektrum der Hintergrundstrahlung modifiziert; wir sehen die
Galaxienhaufen quasi als Schatten auf dem Hintergrund der kosmischen
Mikrowellenstrahlung."
Diese Wirkung ist als Sunyaev-Zeldovich Effekt (SZE) bekannt. In einem
ersten Versuch, diesen "Schattenwurf" für Beobachtungen von
Galaxienhaufen zu nutzen, wird gegenwärtig die erste große
Himmelsdurchmusterung im Millimeter-Wellenlängenbereich mit dem
South Pole Telescope durchgeführt. Der Erfolg ließ nicht lange auf
sich warten: die ersten bisher unbekannten Galaxienhaufen wurden 2008
durch den Sunyaev-Zeldovich Effekt gefunden. Um jedoch die
Identifikation der Galaxienhaufen zweifelsfrei zu bestätigen und um eine
unabhängige Massenbestimmung zu erhalten, brauchten die Wissenschaftler
koordinierte Beobachtungen im optischen Licht und im Röntgenbereich.
"Die vom South Pole Teleskop gefundenen Galaxienhaufen
sehen wir ebenfalls sehr leicht in der von uns mit XMM-Newton parallel
durchgeführten Himmelsdurchmusterung in einem mit dem SPT Survey
überlappenden Testfeld", sagt Robert Šuhada, der die Studie leitete. Mit
Hilfe der Röntgendaten schätzten die Wissenschaftler die Masse der
beiden Haufen auf über tausend Billionen bzw. 300 Billionen
Sonnenmassen. "Einer der beiden Haufen ist extrem massereich und zählt
damit zu den größten Galaxienhaufen, die je entdeckt wurden", freut sich
Šuhada.
Die Entdeckungen im Röntgenbereich wurden erst durch einen
Beobachtungsmodus möglich, den das Betreiberteam von XMM-Newton
vor kurzem neu eingerichtet hatte. Damit konnten 14 Quadratgrad des
Himmels mit einem vertretbaren Aufwand (nämlich mit einer um einen
Faktor 3 kürzeren Beobachtungszeit) kartiert werden, eine Fläche, die
etwa dem 70fachen der Mondscheibe entspricht.
"Die neue Mosaik-Beobachtungsstrategie ermöglicht es uns, größere
Gebiete des Himmels in kurzer Zeit mit XMM-Newton zu erfassen",
erklärt Maria Santos-Lleo, verantwortlich für die Betreuung der
Wissenschaftler beim Einsatz von XMM-Newton. "Es ist sehr
selten, dass man eine neue Betriebsart installiert, wenn sich ein
Satellit in der Umlaufbahn befindet. In diesem Fall konnten wir aber
eine sehr erfolgreiche Lösung finden, wie die Wissenschaftler unser
Instrument in Zukunft noch besser für ihre Aufgaben einsetzen können."
Das Röntgenobservatorium XMM-Newton arbeitet bereits seit zehn
Jahren im Weltraum, das Interesse der Wissenschaftler an Beobachtungen
mit diesem Instrument ist aber weiterhin ungebrochen. An viele der
neuen, wichtigen wissenschaftlichen Aufgaben konnte man bei der
Inbetriebnahme des Instrumentes noch gar nicht denken.
Neben den Mikrowellen- und Röntgenbeobachtungen liefern optische
Aufnahmen die Rotverschiebung und damit ein Maß für die Entfernung der
Haufen. Der massereiche Haufen ist demnach 4,5 Milliarden Lichtjahre (z
= 0.34), der zweite Haufen fast elf Milliarden Lichtjahre (z = 1) von
der Erde entfernt. Dies ist die erste gleichzeitige und unabhängige
Entdeckung von Galaxienhaufen in allen drei Wellenlängenbereichen.
"Diese Entdeckung zeigt nicht nur, dass wir Galaxienhaufen effektiv in
allen drei Wellenlängenbereichen entdecken können und so komplementäre
Informationen erhalten, sondern sie beweist auch, dass wir leicht
entfernte Haufen mit hohen Rotverschiebungen erreichen können",
kommentiert Böhringer. "Einen der beiden Haufen sehen wir zu einer Zeit,
als das Universum kaum 6.000 Millionen Jahre alt war, also weniger als
die Hälfte seines gegenwärtigen Alters hatte."
Mit diesen Ergebnissen und den neuen Beobachtungsmöglichkeiten öffnet
sich ein neues Fenster zum Universum für Studien von Galaxienhaufen.
Neben dem South Pole Telescope wird auch die Planck-Mission
der Europäischen Weltraumagentur ESA mehr als Tausend Galaxienhaufen mit
dem Sunyaev-Zeldovich Effekt entdecken und zusammen mit koordinierten
Röntgenbeobachtungen neue Einsichten in die Struktur unseres Universums
liefern.
Die Untersuchung, an der auch noch Wissenschaftler anderer Institutionen
beteiligt waren, wurde jetzt in der Fachzeitschrift Astronomy &
Astrophysics veröffentlicht.
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