Ja, und daraus ergibt sich die Frage, wie wir begründen, warum wir es für richtig halten, z.B. fundamentalreligiöse Moralsysteme, wie sie sich als IS repräsentieren, zu bekämpfen. Wir müssen also dem Grundgedanken der Freiheit, die die Partizipation über demokratische Regelwerke einschließt, einen Wert beimessen, der schwerer wiegt als der Wert der Unterwerfung unter ein Glaubenssystem (hier eben dem sunnitischen Islam in seiner extremistischen Auslegung). Und hierbei würde man Äpfel mit Birnen vergleichen, denn der Wert der individuellen Freiheit ist im Diesseits verortet, während der Wert der religiösen Unterwerfung im Jenseits verortet ist.
Im Sinne der Wissenschaftlichkeit kann (und muss) man durchaus argumentieren, dass aus dem Jenseits kommende Moralvorstellungen ungültig sind. Es gibt keinen Beweis für sie.
Allerdings gibt es auch keinen Beweis für den Wert unseres Moralsystems. Das ist genau mein Punkt. Dem Universum ist es schnurz, ob wir gut oder böse sind.
Es gibt keinen irgendwo verorteten Wert der individuellen Freiheit außer dem, den wir ihr beimessen. Ich gebe gern zu, dass wir diesen Wert aus eher säkularen, logisch unter bestimmten Annahmen begründbaren Gründen anerkennen. Aber, wie an den Gegenbeispielen gezeigt, ist dieser Wert keineswegs absolut begründbar und wird auch nicht von allen säkularen Ideologien geteilt. Eigentlich von den wenigsten.
Wir haben also durch den Atheismus (oder besser: die säkulare Haltung) keine Moral gewonnen. Aber wenigstens erkannt, dass wir uns keiner Moral unterordnen müssen, die wir nicht selbst verhandelt haben. Das ist auch sehr, sehr wertvoll (meines Erachtens, natürlich

).
Es läuft daher letztlich auf eine Entscheidung hinaus, die man treffen muss. Und hier spielen dann wieder soziale Rahmenbedingungen eine Rolle, die sich als Politik manifestieren. Die Entscheidungsfreiheit pro oder contra religiöser Moralvorstellung ist nun mal nicht überall gegeben, weil die politischen Verhältnisse diese nicht zulassen. Das macht den Wert der westlichen Demokratien aus. Sie garantieren per Verfassung diese Entscheidungsfreiheit und fixieren sie als einklagbares Recht, so dass sich religiöser Fundamentalismus nicht auf die Verfassung berufen kann, wenn er seine Moralvorstellung als maßgebliche durchsetzen möchte. In nicht säkularen Staaten sieht das ganz anders aus. Dort ist es u.U. lebensgefährlich, sich gegen Religion zu positionieren.
Das ist sicher im Grundsatz richtig. Ich würde es aber wieder nicht auf den Gegensatz säkular-religiös reduzieren. Der Wert der westlichen Demokratien liegt in der Entscheidungs- und Redefreiheit, die es erlaubt, Moral immer wieder neu zu verhandeln, statt totalitären Systemen von inks, rechts oder oben diese Hoheit zu überlassen.
Der Wert der Freiheit zeigt sich also über die Verwirklichung derselben in Gestalt freiheitlicher Verfassungen, die politisch als Rechtsstaat durchgesetzt werden. Die Freiheit trägt ihren Wert in sich und bedarf daher keiner Begründung, die außerhalb ihrer selbst liegt. Es ist dann die Pflicht der Staatsbürger, die gesetzlich garantierte Freiheit zu bewahren, weil sie als Wert begriffen worden ist. Diese Pflicht schließt folglich notwendigerweise den Widerstand gegen alle Konzepte ein, die bei Umsetzung geeignet sind, diese Freiheit zu beschränken bzw. abzuschaffen zugunsten von ideologisch begründeten Moralvorschriften, die die Lebensweise der Individuen auf unhinterfragbare und folglich uneinklagbare Weise normativ festschreiben.
Ich bin da in allen Punkten bei dir - außer in einem: Die Freiheit trägt keinen Wert in sich. Das Konzept der individuellen Freiheit muss genauso begründet werden wie das Konzept des Überlebens der stärkeren Rasse oder das Konzept des Kommunismus unter Zerschlagung des Individuums. Das ist alles eine Frage der Optimierung unterschiedlicher Nutzenfunktionen. Die man sich aus den Fingern saugt.
Die große Mehrheit der Weltbevölkerung - religiös oder nicht - sieht individuelle Freiheit keineswegs als oberstes Ziel. Und nicht einmal wir tun das, auch wir beschränken sie da, wo unserer Meinung nach das Wohlbefinden anderer unzulässig gestört würde. Mach da keine so große Fackel daraus von wegen "bedarf keiner Begründung". Du und ich, wir sehen ihren Wert, und ein paar hundert Millionen andere. Und ich bin sofort dabei, sie zu verteidigen oder gar offensiv zu vertreten, weil ich ihren
Nutzen sehe. Andere sehen ihn nicht so, und wir haben a priori keine moralische Überlegenheit denen gegenüber. Und sie sind in der Überzahl.