Hallo Ich,
mir wird das viel zu zersplittert, und ich kann auch kaum erkennen, wo wir weiterkommen.
Wir müssen dieses Thema ja auch nicht ins Uferlose weiterdiskutieren. In der Sache, was die Wertschätzung der Freiheit betrifft, haben wir ja keinen Dissens. Ich gehe daher jetzt mal nur auf die Sachverhalte ein, wo ich eine andere Sichtweise habe, ohne zu beanspruchen, dass meine Sichtweise die einzig richtige sei.
Ich sage, dass Werte nicht in der Natur vorkommen, sondern ausschließlich von Menschen gemacht sind.
Um das abschließend beurteilen zu können, müsste man zunächst definieren, was ein Wert ist. Wenn Werte etwas von Menschen gemachtes sind, dann werden diese nach Art eines Etiketts auf bestimmte Sachverhalte der Realität angeheftet, so dass diese Sachverhalte dann wertvoll und damit schützens- und bewahrenswert sind. Dann stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage Werte erschaffen werden, wenn sie erst danach als Wert bestimmt und erkannt werden. Wenn Werte jedoch etwas sind, was unabhängig vom Menschen existiert, dann können sie von Menschen kraft ihres Verstandes erkannt werden und kraft ihrer Vernunft in ihr Handeln integriert werden. Dann stellt sich die Frage, woher Werte kommen, wenn sie kausal bereits präexistent gewesen sind, bevor Menschen entstanden sind. Die Frage, ob Werte menschengemacht sind oder nicht, ist in der Philosophie seit Langem ein Thema und nach wie vor umstritten.
Ich sehe das analog zu emergenten Erscheinungen: Sobald der Mensch als Vernunftwesen entstanden war, konnte er kraft seiner Vernunft die Welt, in der er lebt, sprachlich abbilden. Da Sprache und Denken konform gehen, ergab sich mittels der Sprache die Möglichkeit, fiktionale Vorstellungen und Konstrukte zu entwickeln, die dann befragt und hinterfragt werden konnten. Die grundsätzliche Möglichkeit, alles zu hinterfragen, machte auch vor dem scheinbar Selbstverständlichen nicht halt, so dass auch alltägliche Handlungen bewertet wurden. Diese Bewertung erfolgte wahrscheinlich zunächst im Hinblick auf "angemessen" oder "unangemessen". Später wurde daraus "gut" oder "schlecht" oder "böse", so dass man über das Zusammenleben auf moralische Bewertungen stieß, die sich sprachlich sowohl kommunizieren wie auch diskutieren und modifizieren ließen.
Im Zuge dieses Diskurses stieß man irgendwann auf "Werte" - vielleicht einfach nur als Abstraktion von "wertvoll" oder "bewerten" - und verdinglichte diesen Begriff. Weitere Verdinglichungen ergaben sich z.B. aus den basalen Fakten, dass man lebendig ist ("Leben"), dass man sich wohl fühlt ("Wohlbefinden") oder krank ist ("Krankheit") oder hungrig ("Hunger") usw. usw. Der Begriff "Wert" konnte nun anderen Verdinglichungen zugeordnet werden, wobei den Dingen, die sich angenehm anfühlen, ein Wert zugeordnet wurde und den Dingen, die sich unangenehm anfühlen kein Wert oder ein negativer Wert ("Unwert"). So eben später auch mit "Freiheit". Wer Unfreiheit erlebt hat, weiß es zu schätzen, frei zu sein. Also ergibt sich die Zuordnung eines Wertes zur Freiheit als Kontrast zum Unwert der Unfreiheit, weil letztere sich unangenehm anfühlt.
"Wert" ist auf diese Weise etwas von Menschen Gemachtes, aber der Begriffsinhalt verweist auf etwas, was unabhängig von Menschen gegeben ist, aber dennoch den Menschen zukommt: Das Leben hat für jeden Menschen einen Wert, weil ohne Leben kein Menschsein möglich ist. Wohlbefinden hat für jeden Menschen einen Wert, weil ohne Wohlbefinden der Mensch in seinem Dasein eingeschränkt ist. Und Freiheit hat ebenso einen Wert für jeden Menschen, weil ohne Freiheit der Mensch nicht in vollem Maße Mensch sein kann. Diese Wertigkeiten sind nicht menschengemacht, aber dennoch auf den Menschen bezogen, weil er erst über diese Wertigkeiten das sein kann, was ihn als Menschen auszeichnet. Und weil der Mensch als solcher "menschlich" beschaffen ist, ist er auch in der Lage, diese Wertigkeiten als "Werte" zu erkennen und zu benennen - und natürlich dann in der Folge in vernünftiges Handeln zu integrieren.
Ich beurteile das im Sinne eines "Sowohl als auch" - einerseits ja, Werte entspringen menschlichen Denkens, aber andererseits nein, denn das Bezeichnete ist vorgängig bereits dem Menschen eigentümlich, bevor er auf den Begriff gekommen ist.
Du siehst m.E. einen so großen Wert darin, dass du deine persönlichen Vorstellungen zur allgemeingültigen Norm erklärst.
Nein, ich sehe den Wert der Freiheit als objektiv gegeben an und stelle fest, dass dadurch die Freiheit attraktiv genug ist, dass Menschen von sich aus aufgrund ihrer Menschlichkeit (Kant würde sagen "die Menschheit in ihrer Person") danach streben werden, den Rahmen, innerhalb dessen sich Freiheit verwirklichen kann, möglichst weit zu fassen, um ein Optimum zu erreichen, wo ein Maximum an Freiheit für ein Maximum an Menschen einer Gesellschaft oder eines Staates verfügbar ist. Mit meinen persönlichen Vorstellungen hat das nichts zu tun, und schon gar nichts damit, dass ich sie als allgemeingültige Norm durchdrücken wollte.
Dort geht es um deren Freiheit, deren Rechte und letztendlich deren Macht.
Primär geht es um Partizipation, um politische Teilhabe und um Garantien für mehr Rechte und mehr Freiheit. Der Umstand, dass sich allzuoft eine Elite herausgebildet hat, die dann diktatorisch die Macht an sich gerissen hat, um fortan das erstrebte Anliegen zu pervertieren, entwertet nicht den Anspruch, mit dem eine emanzipatorische Bewegung ursprünglich angetreten ist. Und schau Dir doch mal den Werdegang der modernen Diktaturen, begonnen mit der Französischen Revolution, an: Sie haben sich allesamt nicht lange gehalten. Wenn nicht durch einen gewaltsamen Umsturz, dann über Reformen sind sie allesamt in mehr oder weniger demokratische Gesellschaften transformiert worden, in denen mehr Freiheiten möglich wurden. Aktuell erleben wir diesen Prozess in Saudi-Arabien.
Das hier: "Nein, das Ziel dieser Systeme ist nicht die Freiheit." war nicht auf die BRD bezogen, sondern auf die autoritären Systeme.
O.K., das habe ich dann falsch aufgefasst.
Nicht Freiheit an sich, sondern die Freiheit anderer über das notwendige und bequeme Maß hinaus zuzugestehen, ist eine Frage der Moral.
Das steht nicht im Widerspruch zu dem, was ich schrieb, denn die Freiheit, anderen mehr Freiheit zuzugestehen, ist selber dadurch vorausgesetzt, dass Freiheit gegeben ist, die für sich genommen noch keine Moral ist. Und ja, was man mit der Freiheit anstellt, wie man sie nutzt, um z.B. politische Prozesse zu befördern usw. ist definitiv eine moralische Entscheidung.
Man rechtfertigt eine Einschränkung der Freiheit im Hier und Jetzt mit einer Bewahrung derselben in der Zukunft.
Nein, bei Diktaturen verschiebt man die Einlösung der beschränkten Freiheit auf die Zukunft. In Demokratien ist man bestrebt, die Freiheit hier und jetzt zu erhalten. Diesem Ziel dienen auch solche Gesetze wie die der Bestrafung der Holocaust-Leugnung. Dieses Gesetz kam ja auch nicht aus dem Nichts, sondern hatte konkrete Anlässe, so dass man hier - nicht zuletzt auch aus dem Interesse der Sicherung der internationalen Reputation des deutschen Staates heraus - eine punktuelle (!) Einschränkung der Meinungsfreiheit vorgenommen hat, um die freiheitliche Verfasstheit des Staates zu sichern bzw. zu stärken. Aber gut, das müssen wir ja hier nicht weiter vertiefen.
Das unterbindet unsachliche Kritik, die in allen anderen Bereichen des politischen Lebens erlaubt ist.
Nein, es kommt auf die Art und Weise der Unsachlichkeit an, wenn unsachlich kritisiert wird. Es darf auch unsachlich kritisiert werden - meinetwegen als Satire oder als künstlerische Performance - aber es muss auf eine Weise geschehen, dass der öffentliche Frieden nicht gestört wird. Das heißt, es wäre kontraproduktiv, Moscheen mit Schweineblut zu besudeln, ebenso wäre es kontraproduktiv, in einen christlichen Gottesdienst hereinzuplatzen und die Einstellung kannibalischer Riten zu fordern. Wenn das Schule machte, hätten wir bald öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzungen, die in Gewalt ausarten würden. Deshalb ist es sinnvoll, hier auf ein gewisses Maß an Rücksichtnahme zu appellieren, um Kritik nicht ausarten zu lassen. Umgekehrt erwarten wir von religiösen Menschen, dass sie die Würde von Atheisten respektieren und keine "unsachlichen" Aktionen anzetteln, die nur darauf ausgelegt sind, andere Menschen zu beleidigen und in ihrer Würde aufgrund ihres Andersdenkens zu verletzen.
Aber unabhängig davon halte ich diesen Paragraphen auch für streichungswürdig, weil Beleidigung und Sachbeschädigung bereits im Strafgesetzbuch fixiert sind. Wenn also jemand glaubhaft darlegen kann, dass er sich in seiner Würde herabgesetzt und beleidigt fühlt, weil er wegen seines Glaubens oder Nichtglaubens der Lächerlichkeit preis gegeben wurde, dürfte das nach geltendem Recht nicht ungestraft bleiben - auch ohne Blasphemievorwurf.