Unklarheiten über das Horizontproblem und die kosmologische Inflations-Theorie

ralfkannenberg

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Hallo zusammen,

ich möchte diese Fragestellung aus dem Thread Frühere Materiedichte im Universum auslagern, weil dort eigentlich ein anderes Thema im Fokus steht.

Um was geht es:

Historisch waren das Horizontproblem und das Flachheitsproblem die beiden Hauptschwächen des Urknall-Modells, welchem nach der Entdeckung der 3K-Hintergrund endgültig der Vorzug gegenüber dem Steady-State-Modell gegeben wurde.

Als Lösungsansatz wurde in den 1970iger Jahren die kosmologische Inflationstheorie vorgestellt, wobei es mir in diesem Thread nicht um die Vorzüge der verschiedenen Varianten der Inflationstheorie geht.

Mein Problem ist die "logische Abfolge":

Haben wir das "reine Urknallmodell", so gegenwärtigen wir u.a. das Horizontproblem. Die Kombination "Urknallmodell + kosmologische Inflationstheorie" löst das Horizontproblem und auch weitere Probleme des reinen Urknallmodells, u.a. das Flachheitsproblem und das Problem der fehlenden GUT-Monopole, um zwei weitere von ihnen konkret zu benennen.

Im Umkehrschluss bedeutet das, solange wir nicht eine weitere Theorie bemühen: ohne die kosmologische Inflation hätten wir nach wie vor das Horizontproblem.

Nun wurde im vorherigen o.g. Thread festgestellt, dass das Horizontproblem bereits vor und nicht erst während der Inflationsphase "abgearbeitet" wurde. Und genau das verstehe ich nicht, denn - ohne jede Physik schon ganz abstrakt: wenn die kosmologische Inflation das Horizontproblrm löst, dann kann es nicht schon vor der kosmologischen Inflation gelöst sein, denn wäre es schon vor der kosmologischen Inflation gelöst, so braucht man keine kosmologische Inflation, um das Horizontproblem zu lösen.


Kurz und gut: wo ist mein Denkfehler ?


Freundliche Grüsse, Ralf
 
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ralfkannenberg

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ohne jede Physik schon ganz abstrakt
Hallo zusammen,

und jetzt auch mit Physik.

Wir haben also den Urknall. Das ist eine Singularität, aber nach t > ε (ε ist z.B. in Sekunden zu messen) hat das Universum einen Durchmesser echt grösser 0, und zwar für alle ε > 0. Hierbei ignoriere ich für den Moment sämtliche Heisenbergsche Unschärfe-Relationen, das korrigiere ich gleich.

Schon für jedes ε > 0 ergibt sich ein Horizontproblem, weil der Radius des jungen Universums nach ε Sekunden zwar ε*c beträgt, sein Durchmesser jedoch 2*ε*c, also doppelt so gross ist. Das bedeutet, dass nicht mehr der gesamte Bereich des jungen Universums mit der Vakuum-Lichtgeschwindigkeit c synchronisiert werden kann.

Nun aber ist es so, dass für t < Planck-Zeit (Planck-Ära) alle die vorgenannten physikalischen Begriffe keinen Sinn machen, so dass auch kein Horizontproblem auftritt. Dieses tritt erst nach der Planck-Zeit auf, wobei anfangs die Quanten-Effekte die Nicht-Quanten-Effekte dominieren dürften, doch sehr bald einmal machen die physikalischen Grössen Sinn und spätestens ab dann haben wir das Horizontproblem.

Doch nun setzt die GUT-Ära und mit ihr die kosmologische Inflation ein, und diese "verschiebt" die nicht-synchronisierten Bereiche des noch sehr jungen Universums sehr weit jenseits des kosmologischen Horizontes, so dass wir diese nicht sehen können.

Und auf diese Art und Weise löst die kosmologische Inflation das Horizontproblem. Von "aussen" betrachtet - was natürlich Unsinn ist, aber könnten unser Universum von aussen betrachten, so gäbe es nach wie vor diese nicht-synchronisierten Bereiche, aber sie sind weit jenseits des kosmologischen Horizontes, so dass sie unserem Zugriff durch Beobachtung entzogen sind.


Soweit also mein Verständnis des Horizontproblems und seiner Lösung durch die kosmologische Inflation.


Freundliche Grüsse, Ralf
 
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mac

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Hallo Ralf,
jetzt verstehe ich wahrscheinlich Dein Missverständnis?

Die Inflation alleine, löst das Horizontproblem nicht, sie würde ohne kausale Verbindung vor der Inflation die ungleichmäßige Verteilung der Energie mitnehmen und damit zementieren.

Aber die Verteilung der Materie/Energie im Kosmos ist zu gleichmäßig dafür. Deshalb fordert die GUT doch gerade, daß der dazu nötige Ausgleich stattfinden mußte bevor die Expansion/Inflation ihn zementiert.

Nach Inflation war der heute sichtbare Kosmos etwa 10 cm groß, aber mit völlig homogen verteilter Energie. Das ging nur deshalb, weil der Ausgleich vor der Expansion stattfand. Man brauchte auf jeden Fall eine Erklärung wieso die Expansion diesem Ausgleich nicht von vornherein weggelaufen war.

Er hätte bei der ursprünglichen Theorie nicht stattfinden können, weil die Expansion sofort gestartet wäre, ohne daß die existierende Energie Zeit für eine Homogenisierung gehabt hätte, weil ihr der damals existierende Horizont schneller enteilt wäre, als es für diesen Ausgleich nötig gewesen wäre und damit hätte es auch keine Erklärung für die homogene Energieverteilung gegeben. Deshalb mußte diese kurze Verzögerung ganz am Anfang, vor dem Start der Inflation eingeführt werden und alle dazu sonst noch nötigen Thesen.

Du missverstehst, denke ich, nur die Größenverhältnisse, die die Ungleichverteilung der Startbedingungen ab Planckzeit, mit sich gebracht haben muß. Die Kosmolgen sind jedenfalls der Meinung, daß es vor der Inflation eine Zeit und einen Zustand gegeben haben muß, die für einen Kausalen Zusammenhang und Ausgleich gesorgt hat. Das entnehme ich zumindest den verschiedenen Beschreibungen, die ich im Ursprungsthread zitiert hatte.

Herzliche Grüße

MAC
 

ralfkannenberg

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Die Inflation alleine, löst das Horizontproblem nicht, sie würde ohne kausale Verbindung vor der Inflation die ungleichmäßige Verteilung der Energie mitnehmen und damit zementieren.
Hallo Mac,

grundsätzlich würde das schon gehen, da eine "ungleichmäßige Verteilung der Energie" während der Planck-Ära gar nicht definiert war bzw. sich durch Quantenfluktuationen im statistischen Mittel jederzeit ausgeglichen hätte.

Aber die Verteilung der Materie/Energie im Kosmos ist zu gleichmäßig dafür. Deshalb fordert die GUT doch gerade, daß der dazu nötige Ausgleich stattfinden mußte bevor die Expansion/Inflation ihn zementiert.
Ich verstehe Dein Argument sehr wohl, mir ist einfach neu, dass so etwas tatsächlich passiert ist.

Nach Inflation war der heute sichtbare Kosmos etwa 10 cm groß, aber mit völlig homogen verteilter Energie. Das ging nur deshalb, weil der Ausgleich vor der Expansion stattfand. Man brauchte auf jeden Fall eine Erklärung wieso die Expansion diesem Ausgleich nicht von vornherein weggelaufen war.

Er hätte bei der ursprünglichen Theorie nicht stattfinden können, weil die Expansion sofort gestartet wäre, ohne daß die existierende Energie Zeit für eine Homogenisierung gehabt hätte, weil ihr der damals existierende Horizont schneller enteilt wäre, als es für diesen Ausgleich nötig gewesen wäre und damit hätte es auch keine Erklärung für die homogene Energieverteilung gegeben.
Lasse ich jetzt mal offen, obgleich ich einer solchen Argumentation grundsätzlich zustimme.

Deshalb mußte diese kurze Verzögerung ganz am Anfang, vor dem Start der Inflation eingeführt werden und alle dazu sonst noch nötigen Thesen.
Hier ist der Knackpunkt: in diesem Modell müsste es zwischen der Planck-Ära und der GUT-Ära noch eine "Ausgleichs-Ära" bzw. "Homogenisierungs-Ära" gegeben haben.

Die Kosmolgen sind jedenfalls der Meinung, daß es vor der Inflation eine Zeit und einen Zustand gegeben haben muß, die für einen Kausalen Zusammenhang und Ausgleich gesorgt hat. Das entnehme ich zumindest den verschiedenen Beschreibungen, die ich im Ursprungsthread zitiert hatte.
Ich nicht, aber das heisst ganz gewiss nicht, dass Du hier irren würdest, deswegen ja auch mein konsequentes Nachfragen.

Wenn ich Dich richtig verstehe ist diese "Ausgleichs-Ära" eine Konsequenz der Grand Unified Theories. Tatsächlich habe ich mich mit diesen GUTs letztmals in den 1990iger Jahren beschäftigt und seitdem eigentlich nur noch mitverfolgt, dass die Experimente ergeben haben, dass die Supersymmetrie immer weniger "physikalisch" wurde und damit der leichtestse supersymmetrische Partner als Baustein der Dunklen Materie immer weniger in Frage kam. Gut möglich, dass ich bei dieser Fokussierung etwas Wichtiges völlig verpasst habe.


Freundliche Grüsse, Ralf
 

mac

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Hallo Ralf,

Hier ist der Knackpunkt: in diesem Modell müsste es zwischen der Planck-Ära und der GUT-Ära noch eine "Ausgleichs-Ära" bzw. "Homogenisierungs-Ära" gegeben haben.
das ist ja nicht meine Theorie, sondern nur der Versuch die Theorien dazu in einfachen Worten plausibel zu erklären.

Du wirst wohl zu dieser Theorie auch keine anderen Aussagen bekommen, als die, die ich schon zitiert hatte.

Zitat Wikipedia:vor dieser inflationären Periode kausal verbunden war


Zitat Andreas Müller
Die Uniformität wurde bereits auf der mikroskopischen Skala durch einfache, thermische Gleichgewichtsprozesse erzeugt. Die Inflation blähte diese Uniformität auf makroskopische Skalen auf


Zitat engl. Wikipedia
Essentially, the inflationary model suggests that the universe was entirely in causal contact in the very early universe.


Zitat Ned Wright
Because of inflation, the homogeneous regions from the Planck time are at least 100 cm across,

Wenn ich Dich richtig verstehe ist diese "Ausgleichs-Ära" eine Konsequenz der Grand Unified Theories. Tatsächlich habe ich mich mit diesen GUTs letztmals in den 1990iger Jahren beschäftigt und seitdem eigentlich nur noch mitverfolgt, dass die Experimente ergeben haben, dass die Supersymmetrie immer weniger "physikalisch" wurde und damit der leichtestse supersymmetrische Partner als Baustein der Dunklen Materie immer weniger in Frage kam. Gut möglich, dass ich bei dieser Fokussierung etwas Wichtiges völlig verpasst habe.
In meinen Augen hat das mit GUT nur indirekt zu tun.

Es ist wohl aus der Notwendigkeit geboren, das Horizontproblem zumindest plausibel zu lösen, also eine kausale Verbindung zuzulassen, die eine Homogenisierung erlaubt, bevor sie, durch welche Art von Expansion auch immer, in ihrem letzten Zustand 'eingeforen' werden.

Den ganzen mathematisch physikalischen Unterbau dazu kann ich nur soweit nachvollziehen, als daß die daraus beschriebenen Konsequenzen in meinen Augen plausibel sind.

Herzliche Grüße

MAC
 

ralfkannenberg

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Zitat Wikipedia:vor dieser inflationären Periode kausal verbunden war
Hallo Mac,

lass uns vorne und einfach anfangen: ich verstehe nicht, wie man ohne Inflation erreichen will, dass alle Bereiche des jungen Universums vor der inflationären Phase kausal verbunden waren.

Insbesondere verstehe ich auch nicht, wie dieser Abgleich vor der Inflationsphase möglich gewesen sein kann.

Während der Planck-Ära kann man sich ja noch auf den Standpunkt stellen, dass physikalische Grössen wegen der Heisenberg'schen Unschärferelation keinen Sinn gemacht haben, aber als der Zeitpunkt 1 Planckzeit vorüber war - ok, vermutlich etwas länger, weil nach wie vor Quantenfluktuationen das Geschehen beherrscht haben, aber schon sehr rasch danach tritt das Horizontproblem auf. Und ohne kosmologische Inflation wird das immer schlimmer, d.h. die Gebiete, die sich nicht mehr synchronisieren können, werden immer grösser.

Du hast nun wenn ich das richtig verstanden habe vorgeschlagen, dass die Gravitation am Anfang "ausgeschaltet" war und begründest das mit einer gequantelten Gravitation:

Gravitation ist nicht von Anfang an vorhanden. Erst ab kurzer Zeit nach dem Urknall (nur als Arbeitshypothese gedacht, denn wie es wirklich war, weiß niemand) ‚schaltet‘ ein kleinstmögliches Energiequant, gemeinsam mit mehr oder minder allen anderen sonst noch vorhandenen kleinstmöglichen Energiequanten, seine Gravitation ein.

Seine, gerade eingeschaltete Gravitation breitet sich mit c im beliebig großen Raum aus. In dem Moment, in dem sein nächster Nachbar von seiner Gravitation erreicht wird, wird auch unser kleinstes Energiequant von der Gravitation seines nächsten Nachbarn erreicht.
Unser Energiequant (und sein umgebender Raum?) nimmt daher nur genau die Gravitation der Energiequanten wahr, die seine eigene Gravitation bis dahin mit c hinter sich gelassen hat. Nun muß sich der Raum nur noch so schnell ausdehnen, daß er dem denkbaren Kollaps durch die zunehmend ‚sichtbaren‘ Gravitationsquellen entkommt.
Aber ist das wirklich die Lehrmeinung oder eher eine Veranschaulichung ?

Und hier hast Du mich endgültig abgehängt:

Das Problem: Es braucht Zeit, damit sich die Energie im gesamten Raum gleichmäßig verteilen kann (Horizontproblem)

In dieser Zeit darf es keine Gravitation geben, oder sie muß durch eine Gegenkraft in Waage gehalten werden. Nach dieser Zeit, muß sich der Raum so schnell ausdehnen, daß die einzelnen Energieträger die ‚Sichtverbindung‘ zueinander verlieren, also sozusagen ausreichend wenige Energieträger gemeinsam oder auch alleine, hinter ihrem eigenen individuellen Horizont ‚verschwinden‘. Erst dann, oder auch dabei, jedenfalls im richtigen Maße, darf die Gegenkraft abnehmen und die Gravitation einsetzen, oder frei werden, oder überwiegen.
Ich denke, diese Gegenkraft ist die "Knallenergie", also diese unbekannte Kraft, die den Urknall veranlasst hat, zu "explodieren", und die so finegetunet ist, dass wir ohne die kosmologische Inflation das Flachheitsproblem gegenwärtigen. Aber eben: die Gravitation und die Knallenergie müssen sich auf 11 nachkommastellen genau die Waage halten, um eine Universum vorzufinden, dass so aussieht wie wir es sehen, d.h. das nicht nach wenigen Sekundenbruchteilen wieder kollabiert ist, weil die Gravitation stärker als die Knallenergie war, und welches aber auch nicht so schnell diffundiert ist, dass sich keine komplexeren Striukturen bilden konnten, weil die Knallenergie grösser als die Gravitation war.

Aber wenn sie gleich gross sind, dann verdecken sie sich nicht irgendwie, sondern sind gleich gross und insbesondere ist dann keine der beiden irgendwie "vernachlässigbar".

Ok, das ist nun banal, aber wo ich abgehängt bin ist Deine Feststellung, dass die Gravitation erst später "eingeschaltet" wurde.


Freundliche Grüsse, Ralf


P.S. Sorry, ich bin völlig übermüdet vom Wochenende, ich lasse den Beitrag jetzt mal in dieser unfertigen Form stehen, hoffentlich könnt Ihr dennoch etwas damit anfangen.
 
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TomS

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Ich würde vorschlagen, stattdessen zu diskutieren, was an der Inflationstheorie faul ist.

Sie macht keine Vorhersagen, sondern sie wird so konstruiert, dass sie zu den Beobachtungen passt. Sie basiert auf einem hypothetischen Mechanismus, dessen Ursprung schlicht postuliert wird: dem Inflatonfeld. Es gibt weitere Kritikpunkte, z.B. dass man ganz speziell konstruierte Anfangsbedingungen durch ganz speziell konstruierte Eigenschaften des Inflatonfeldes ersetzt.

Letztlich ist es um die Hypothese der Inflation genauso gut bzw. schlecht bestellt wie um die der Dunkle Materie. Beide besagen im Wesentlichen folgendes: "wenn X mit ganz bestimmten Eigenschaften existiert, dann funktioniert ein Mechanismus Y, der ganz bestimmte Probleme löst".

Die Schlussfolgerung einiger Wissenschaftler, "weil wir wissen, dass wir Y mittels der o.g. Hypothesen lösen können, bestätigt dies die Hypothesen" ist auf groteske Art falsch.
 

mac

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Hallo TomS,

da stimme ich mit Dir völlig überein!

Ich hab' auch (im Ursprungsthread) vermieden, das als Tatsachen zu schildern. (Messtechnisch nicht erreichbar)

Meine Assoziation damals wie heute war dabei auch immer wieder: Reim Dich, oder ich fresse Dich.

Aber ein Versuch diese Thesen so nachzuerzählen wie ich sie 'verstanden' habe, war es mir trotzdem wert.

Und daß es ziemlich unbefriedigend in der Wissenschaft ist, an die Tatsachen um keinen Preis in der Welt wirklich heran zu kommen, kann ich auch verstehen.

Herzliche Grüße

MAC
 
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TomS

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Aber ein Versuch diese Thesen so nachzuerzählen wie ich sie 'verstanden' habe, war es mir trotzdem wert.
Ok, lass uns doch nochmal darauf eingehen. Immerhin ist die Inflation ja nicht offensichtlich Käse.

Und daß es ziemlich unbefriedigend in der Wissenschaft ist, an die Tatsachen um keinen Preis in der Welt wirklich heran zu kommen, kann ich auch verstehen.
Was ich aber nicht verstehen kann ist, dass man bei DM klar von einem Problem spricht, während man in der überwiegenden Mehrheit glaubt, mit der Inflation eine Lösung in den Händen zu halten. Wo ist denn der empirische Unterschied?

Noch unbefriedigender als die Unmöglichkeit, etwas nicht bestätigen oder widerlegen zu können, ist doch, diese Unmöglichkeit konsequent zu leugnen, und Hypothesen als Tatsachen zu verkaufen.
 

TomS

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Im Umkehrschluss bedeutet das, solange wir nicht eine weitere Theorie bemühen: ohne die kosmologische Inflation hätten wir nach wie vor das Horizontproblem.
Jein.

Das Horizontproblem besteht darin, dass heute kausal unverbundene Regionen dennoch im thermischen Gleichgewicht sind. Dieses Problem wird dadurch gelöst, dass diese Regionen früher = bereits vor der Inflation in kausalen Kontakt und daher im thermischen Gleichgewicht waren.

Ohne nachfolgende Inflation hätten wir kein vermeintliches Horizontproblem, da ohne exponentielle Inflation keine kausal unverbundenen Regionen entstanden wären.

Nun wurde im vorherigen o.g. Thread festgestellt, dass das Horizontproblem bereits vor und nicht erst während der Inflationsphase "abgearbeitet" wurde.
Ja, siehe oben, durch die Thermalisierung vor der Inflation.

Im Nachhinein würde man wohl das Problem anders benennen. Das Problem besteht ja nicht in der Existenz eines kosmischen Horizontes, sondern in der Thermalisierung unverbundener Regionen trotz Horizont.
 

mac

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Hallo TomS,

Was ich aber nicht verstehen kann ist, dass man bei DM klar von einem Problem spricht, während man in der überwiegenden Mehrheit glaubt, mit der Inflation eine Lösung in den Händen zu halten. Wo ist denn der empirische Unterschied?

Noch unbefriedigender als die Unmöglichkeit, etwas nicht bestätigen oder widerlegen zu können, ist doch, diese Unmöglichkeit konsequent zu leugnen, und Hypothesen als Tatsachen zu verkaufen.
Ich habe lange nicht alles dazu gelesen.

Andresas Müller 'spricht' von einer Erfindung.
In der Wikipedia gewinne ich nicht den Eindruck, daß es als Tatsache verkauft werden soll
und Ned Wrights Tutorial habe ich nicht vollständig gelesen, so daß ich aus dem Eindruck des betreffenden Abschnittes nicht urteilen möchte.

Aus meiner Erinnerung (ich interessiere mich schon eine Weile dafür) habe ich auch nie den Eindruck gewonnen, daß es als Tatsache verkauft werden sollte, aber da spielt natürlich auch eine Rolle, daß ich denke, daß man in diesen Bereich wahrscheinlich, soweit absehbar, keinen direkten Zugang erlangen kann.

Herzliche Grüße

MAC
 

TomS

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Schau mal hier:

NONEMPIRICAL SCIENCE?
Given the issues with inflation and the possibilities of bouncing cosmologies, one would expect a lively debate among scientists today focused on how to distinguish between these theories through observations. Still, there is a hitch: inflationary cosmology, as we currently understand it, cannot be evaluated using the scientific method. As we have discussed, the expected outcome of inflation can easily change if we vary the initial conditions, change the shape of the inflationary energy density curve, or simply note that it leads to eternal inflation and a multimess. Individually and collectively, these features make inflation so flexible that no experiment can ever disprove it. Some scientists accept that inflation is untestable but refuse to abandon it. They have proposed that, instead, science must change by discarding one of its defining properties: empirical testability. This notion has triggered a roller coaster of discussions about the nature of science and its possible redefinition, promoting the idea of some kind of nonempirical science. A common misconception is that experiments can be used to falsify a theory. In practice, a failing theory gets increasingly immunized against experiment by attempts to patch it. The theory becomes more highly tuned and arcane to fit new observations until it reaches a state where its explanatory power diminishes to the point that it is no longer pursued. The explanatory power of a theory is measured by the set of possibilities it excludes. More immunization means less exclusion and less power. A theory like the multimess does not exclude anything and, hence, has zero power. Declaring an empty theory as the unquestioned standard view requires some sort of assurance outside of science. Short of a professed oracle, the only alternative is to invoke authorities. History teaches us that this is the wrong road to take. Today we are fortunate to have sharp, fundamental questions imposed on us by observations. The fact that our leading ideas have not worked out is a historic opportunity for a theoretical breakthrough. Instead of closing the book on the early universe, we should recognize that cosmology is wide open.
 

ralfkannenberg

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Das Horizontproblem besteht darin, dass heute kausal unverbundene Regionen dennoch im thermischen Gleichgewicht sind. Dieses Problem wird dadurch gelöst, dass diese Regionen früher = bereits vor der Inflation in kausalen Kontakt und daher im thermischen Gleichgewicht waren.
Hallo Tom,

hierzu dennoch eine Verständnisfrage für mich: wie war es möglich, dass sich diese Regionen im frühen Universum, d.h. während der Planck-Ära oder allenfalls noch zu Beginn der GUT-Ära. im kausalen Kontakt und damit im thermischen Gleichgewicht befunden haben ? Wenn sich das junge Universum in dieser Zeit ganz normal mit Vakuum-Lichtgeschwindigkeit ausgedehnt hat tritt doch das Horizontproblem bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf.

Und noch eine weitere Frage betreffend der Gravitation: ich hatte gedacht, die hätte sich während der gesamte Lebenszeit des Universums so wie wir sie auch heute kennen manifestiert und nicht erst während der GUT-Ära. Oder wenn es keine GUT-Ära gibt dann eben Quark-Ära.


Freundliche Grüsse, Ralf
 

TomS

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Hallo Tom,

hierzu dennoch eine Verständnisfrage für mich: wie war es möglich, dass sich diese Regionen im frühen Universum, d.h. während der Planck-Ära oder allenfalls noch zu Beginn der GUT-Ära. im kausalen Kontakt und damit im thermischen Gleichgewicht befunden haben ? Wenn sich das junge Universum in dieser Zeit ganz normal mit Vakuum-Lichtgeschwindigkeit ausgedehnt hat tritt doch das Horizontproblem bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf.
Nee, wieso?

Zunächst mal dehnt sich das Universum vor der Inflation nicht mit Lichtgeschwindigkeit aus, sondern es folgt ganz normal den Friedmann-Gleichungen, typischerweise wohl der strahlungsdominierten Expansion.

Außerdem ist es nicht notwendig, dass sich das gesamte Universum vor der Inflation im thermischen Gleichgewicht befand; es ist hinreichend, dass ein (kleiner) Bereich, der sich damals im thermischen Gleichgewicht befand, durch die Inflation geeignet aufgebläht wurde.

Siehe https://ttt.astro.su.se/utbildning/kurser/kosmologi/l10.pdf

Und noch eine weitere Frage betreffend der Gravitation: ich hatte gedacht, die hätte sich während der gesamte Lebenszeit des Universums so wie wir sie auch heute kennen manifestiert und nicht erst während der GUT-Ära. Oder wenn es keine GUT-Ära gibt dann eben Quark-Ära.
Niemand kann heute sagen, wie und wann sich die Gravitation von anderen Kräften abgetrennt hat, oder ob sie jemals vereinheitlicht waren.

Also haben wir
  • Planck-Ära: Quantengravitation? Strings? SUGRA? ...
  • GUT-Ära: Große Vereinheitlichung? Strings? SUGRA? ...
  • Inflation: Inflaton-Feld? Inflaton = Higgs? Inflation aus LQG? ...
  • später dann Deconfinement / QGP, Hadronisierung etc.
Letzteres können wir heute am LHC testen; alles zuvor sind reine Hypothesen.
 
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Klaus

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Ich hatte mich aber nie eingehend mit der Inflation beschäftigt. Mir wurde hier ehedem nahegelegt, mir die Friedmann-Lemaître-Robertson-Walker-Metrik anzusehen. Die Mathematik ist zwar stimmig, die Behauptung aber, der Raum entspräche der Oberfläche einer n-dimensionalen Sphäre wurde nirgends belegt. Die Metrik hatte ergo mit Physik nichts zu tun und dient nur, um Leuten was zum Lesen zu geben und den Krümmungsfaktor als völlig freien Parameter zu rechtfertigen, weil der Raum angeblich die Oberfläche einer Sphäre sei, ohne daß selbiges je belegt wurde. Im Prinzip kann man da auch den Voodoo um die Metrik streichen und direkt behaupten, daß das Universum spontan um einen beliebigen Faktor wächst.
Es wurden Aussagen über ein Wachstums des Raums ohne diesen 'Raum' als solchen zu definieren und es wurden Aussagen zu Photonen gemacht, die mit bekannten physikalischen Auswirkung der Raumzeit auf Photonen und Materie nichts zu tun haben.
Des weiteren zeigten Abstandsmessungen im Sonnensystem schon vor den Beobachtungen von Planck, daß die Abstände nicht gemäß der Hubble Konstanten wachsen. Ein allgemeines kontinuierliches Raumwachstum existiert nicht. Bitte beerdigen!
 

ralfkannenberg

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Ich hatte mich aber nie eingehend mit der Inflation beschäftigt. Mir wurde hier ehedem nahegelegt, mir die Friedmann-Lemaître-Robertson-Walker-Metrik anzusehen.
Hallo Klaus,

Du weisst aber schon, dass die beiden zunächst einmal nichts miteinander zu tun haben, nicht wahr ?

die Behauptung aber, der Raum entspräche der Oberfläche einer n-dimensionalen Sphäre wurde nirgends belegt.
Ausnahmsweise zitiere ich aus der deutschsprachigen Wikipedia zum Thema Universum:
Wichtig ist der Unterschied zwischen Unendlichkeit und Unbegrenztheit: Auch wenn das Universum ein endliches Volumen besäße, könnte es unbegrenzt sein. Anschaulich lässt sich dieses Modell folgendermaßen darstellen: Eine Kugeloberfläche (Sphäre) ist endlich, besitzt aber auf dieser Fläche keinen Mittelpunkt und ist unbegrenzt (man kann sich auf ihr fortbewegen, ohne jemals einen Rand zu erreichen). So wie eine zweidimensionale Kugeloberfläche eine dreidimensionale Kugel umhüllt, kann man, falls das Universum nicht flach, sondern gekrümmt ist, sich den dreidimensionalen Raum als Oberfläche eines höherdimensionalen Raums vorstellen. Wohlgemerkt dient dies lediglich der Veranschaulichung, denn das Universum ist in der klassischen Kosmologie nicht in einen höherdimensionalen Raum eingebettet.
Es handelt sich also nur um eine Veranschaulichung.


Freundliche Grüsse, Ralf
 
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TomS

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Mir wurde hier ehedem nahegelegt, mir die Friedmann-Lemaître-Robertson-Walker-Metrik anzusehen.
Die FRW-Metrik wird auch im Rahmen der Inflation als mathematisches Werkzeug verwendet.

... die Behauptung aber, der Raum entspräche der Oberfläche einer n-dimensionalen Sphäre wurde nirgends belegt.
Das ist nicht die Behauptung.

Zunächst mal entspricht der Raum im Rahmen der FRW-Metrik - wenn und nur wenn er geschlossen ist - einer 3-Sphäre, kurz S³. Du verwechselst wohl n-Sphäre mit n-Ball; die n-Sphäre ist im mathematischen Sprachgebrauch die Berandung des (n+1)-Balls. Die gewöhnliche Kugeloberfläche S² kann verstanden werden als die Berandung eines gewöhnlichen Balls B³.

An der Behauptung gibt es zunächst nichts zu "belegen". Die S³ ist ein mathematisches Werkzeug im Rahmen bestimmter kosmologischer Modelle; zu belegen wäre, dass dieses physikalische Modell zutrifft.

... und den Krümmungsfaktor als völlig freien Parameter zu rechtfertigen ...
Die Krümmung hat beobachtbare, physikalische Konsequenzen, d.h. man kann aufgrund von Beobachtungen entscheiden. welche Krümmung heute (und in der Vergangenheit) zutrifft (bzw. zutraf); u.a. verstehen wir, dass die Krümmung des Universums heute nahezu Null ist bzw. mit Null verträglich ist. D.h. das geeignete Modell wäre der 3-dim. euklidsche Raum E³, nicht S³.

Es wurden Aussagen über ein Wachstums des Raums ohne diesen 'Raum' als solchen zu definieren
Wenn eine Metrik verwendet wird, erfolgt das im Rahmen der pseudo-Riemannschen Geometrie. Damit ist der Begriff "Raum" ist damit mathematisch definiert.

Des weiteren zeigten Abstandsmessungen im Sonnensystem schon vor den Beobachtungen von Planck, daß die Abstände nicht gemäß der Hubble Konstanten wachsen. Ein allgemeines kontinuierliches Raumwachstum existiert nicht.
Das ist auch nicht die Aussage der kosmologischen Modelle.


Die Friedmann-Weltmodelle beschreiben die Dynamik des Universums als Ganzes ... Formal folgen die Friedmann-Weltmodelle aus folgenden vier Zutaten:
  • kosmologisches Prinzip,
  • Weylsches Postulat,
  • Robertson-Walker-Metrik und
  • Feldgleichung der Allgemeinen Relativitätstheorie mit kosmologischer Konstante (mit Lambda-Term)
Das kosmologische Prinzip besagt, dass auf einer [genügend] großen Längenskala ... kein Ort im Kosmos gegenüber einem anderen ausgezeichnet ist ... Mit anderen Worten formuliert, sagt das kosmologische Prinzip aus, dass der Kosmos auf großen Skalen in allen Richtungen gleich aussieht.

Das kosmologische Prinzip sagt uns also, dass das Universum isotrop und homogen ist. Wenn wir uns allerdings im nahen Kosmos umschauen, so ist das mitnichten der Fall: Hier treten Unregelmäßigkeiten auf, denn es gibt einen Wechsel von 'Massenverdichtungen' – die Sonne, um die die Planeten kreisen – und von 'Leere', denn der interplanetare Raum dazwischen ist mehr oder weniger ein Vakuum. Offensichtlich ist die hier betrachtete Längenskala von einigen Astronomischen Einheiten) zu klein.

Den Physikern ist also durchaus bewusst, dass diese kosmologischen Modelle nicht auf kleine Skalen anwendbar sind, sondern dass sie eine Art "Beschreibung im Mittel" liefern; darüberhinaus werden selbstverständlich Korrekturen zu den Modellen betrachtet, die lokale Inhomogenitäten berücksichtigen (was in einführenden Texten meist nicht erwähnt wird). Man kann mittels mathematischer Methoden außerdem zeigen, dass die Einbettung eines kleinen gravitativ gebundenen und daher nicht expandierenden Bereiches - z.-B. einer Galaxie - in den umgebenden und expandierenden Raum möglich ist und sinnvolle Resultate liefert.


Edit: Man kann sich raumartige Mannigfaltigkeiten M³ eingebettet in höherdimensionale Räume "vorstellen"; für genügend glatte Mannigfaltigkeiten der Dimension n (hier: n=3) ist diese Einbettung immer ebenfalls genügend glatt und isometrisch (d.h. Informationen zu Längen bleiben erhalten, also letztlich die Metrik) in einen euklischen Raum der Dimension N mit N ≤ n(n+1)(3n+11)/2 möglich (hier: n = 3, N ≤ 120; für viele Anwendungen kann diese Zahl 120 deutlich reduziert werden). Diese Methode der Einbettung wird in der ART praktisch nie verwendet; es ist möglich, jedoch unnötig, sich eine Einbettung des 3-dim. Raumes vorzustellen. (Ich betrachte hier Raumzeiten der Topologie R * M³ sowie die Einbettung von M³; eine Einbettung der Raumzeit, also von 4-dim, Lorentzschen Mannigfaltigkeiten ist komplizierter)

 
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Klaus

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Bin gerade über ein Paper gestolpert. Hab es zwar noch nicht ganz durchgelesen, aber darin wird vom kosmologischen Standardmodell und einigem mehr nicht mehr wirklich viel übrig gelassen, bis hin zu einer Statistik, wie häufig das kosmologischen Standardmodell versagte
"The many tensions with dark-matter based models and implications on the nature of the Universe"
Da haben sich ein paar Leute richtig viel Mühe gegeben, um Tom beizupflichten.
Vermutlich werden bald noch einige Theorien auf Basis von aufwändigen Simulationen überprüft und abgehakt.
 
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