@ Bynaus:
Selbst wenn der Ansatz der beiden Unsinn ist - grundsätzlich spricht ja nichts dagegen, die "molekulare Uhr" dafür zu verwenden, um den Zeitpunkt der Entstehung des Lebens zu bestimmen, oder?
Das denke ich schon, denn die "molekulare Uhr" taugt zwar dazu, Artaufspaltungen zurückzudatieren (vorausgesetzt, die durchschnittliche Mutationsrate ist über sehr lange Zeiträume konstant, was keineswegs sicher ist!) und Verwandtschaftsbeziehungen in Kladogrammen zu erstellen, aber sie taugt nicht, etwas über Genomgrößenentwicklung zu ermitteln - schon gar nicht für die Zeit, als das Leben entstanden ist. Allenfalls kann man rekonstruieren, wann und wie oft sich Genverdoppelungen ereignet haben. Über die ursprüngliche Genomgröße der ersten Lebewesen lässt sich auf diesem Weg allerdings nichts herausfinden. Dazu muss man den Top-Down-Ansatz wählen, um aus bestehenden Genomen durch Abzug aller redundanten Funktionen den Kernbestand an Proteinen zu ermitteln, die unbedingt notwendig sind, um die Lebensprozesse aufrechtzuerhalten. Man kommt dabei auf eine Größenordnung von etwa 50 bis 100 Proteinen mit jeweils etwa 100 Aminosäuren. Das sind dann etwa 15.000 bis 30.000 Nukleotide als Minimalgenom. Hinzu kommen die Bestandteile des Translationsapparats (verschiedene RNA's und Ribosomen, die wiederum aus RNA und Proteinen bestehen), die nötig sind, damit das Genom exprimiert werden kann.
Genome mit der Größe von einem Basenpaar sind schlichtweg Unsinn, weil Leben damit nicht funktionieren kann. Daher ist die einfache Rückextrapolation auf Null schon allein aus diesen Überlegungen heraus verfehlt. Dass die fünf Datenpunkte frisiert sind, hatte ich bereits geschrieben. Der Artikel bei Biology Direct gibt darüber genauer Auskunft - ebenso die Reviewer-Kommentare. Doch selbst wenn man das gelten ließe - man erhält keine Auskunft darüber, ob die veranschlagten Genomgrößen zur veranschlagten Zeit tatsächlich so groß gewesen sind. Folgt man den Überlegungen von
Richard Egel (Primal Eukaryogenesis ...) resultieren Bakterien aus einem Prozess der reduktiven Evolution - sprich: Die ursprüngliche Genomgröße hat sich verringert zugunsten effizienterer Stoffwechselprozesse, indem redundante Genomteile verlorengegangen sind. Zieht man weiterhin in Betracht, was
Carl Woese vermutet (The universal ancestor) , dann hat sich die Mutationsgeschwindigkeit nach einer kurzen "Hitzephase" auf ein erheblich niedrigeres Level "abgekühlt" und ist auf die heutige durchschnittliche Rate "eingefroren". Also alles in allem: Der Ansatz von Sharov ist höchst zweifelhaft!
Zur Frage nach seriösen Untersuchungen zur Altersbestimmung der Lebewesen auf der Basis von Genom-Untersuchungen kann ich nur auf Manfred Eigens Buch "Stufen zum Leben" verweisen.
Hier wird ebenfalls darauf verwiesen. Das Alter des genetischen Codes und damit der Translation und damit auch des Lebens lässt sich auf eine Obergrenze von 3,6 Milliarden Jahre bestimmen. In seinem Buch äußert sich Manfred Eigen wie folgt:
Manfred Eigen schrieb:
Uns sind etwa tausend Sequenzen von Transfernucleinsäuren (tRNA) bekannt. ... Für fünfzehn verschiedene Organismen - Bakterien, Algen, Pflanzen, Tiere - kennen wir die Sequenzen von jeweils zwanzig bis vierzig individuellen tRNA-Molekülen, charakterisiert durch ihr Anticodon. Die Mitglieder einer Familie, also alle tRNA-Moleküle innerhalb eines Organismus, sind ungefähr gleichzeitig, und zwar in der Entstehungsphase des genetischen Codes, aus einer Mutantenverteilung hervorgegangen. Sie haben sich seither unabhängig voneinander etwickelt. Darüber hinaus kennen wir noch circa vierundzwanzig individuelle tRNA-Moleküle, deren Phylogenien sich ermitteln ließen. Das besagt, daß jedes dieser vierundzwanzig tRNA-Moleküle für jeweils zwanzig bis vierzig verschiedene Arten analysiert wurde. Dank dieser bekannten Phylogenien war es möglich, vierundzwanzig Sequenzen zu rekonstruieren, die sich auf die Zeit der allerersten Zellverzweigungen vor etwa drei Milliarden Jahren beziehen. Uns stehen folglich drei Zeitspannen zur Verfügung, die wir miteinander vergleichen können:
1) Von der Entstehungsphase des genetischen Codes bis zu den heutigen Organismen;
2) von den allerersten Zellaufspaltungen ... bis zu den heutigen Organismen;
3) von der Entstehungsphase des genetischen Codes bis hin zu den allerersten Zellaufspaltungen.
In allen drei Fällen kennen wir die mittlere Divergenz, das heißt, die Zahl von Positionen, um die sich zwei Sequenzen im Mittel voneinander unterscheiden. ... Dabei ist zu beachten, daß aus den relativen Abständen nicht ohne weiteres auch die relativen Zeiten resultieren. Das wäre nur möglich, wenn die Mutationsraten über den gesamten Zeitbereich der Evolution konstant geblieben wären. Es steht jedoch fest, daß die Geschwindigkeit der Evolution zu Beginn größer war als in späteren Phasen. Denn die Fehlerrate war anfangs sehr hoch und mußte mit zunehmendem Informationsumfang entsprechend abnehmen. Somit sind die relativen Abstände lediglich als obere Grenzwerte zu verstehen. Wir schließen daraus, daß die Entstehung des genetischen Codes um weniger als eine Milliarde Jahre vor der Verzweigung der Archae- und Eubakterien datiert. Mit anderen Worten: Der genetische Code ist jünger als vier Milliarden Jahre.
Quelle: Manfred Eigen: Stufen zum Leben. Piper Verlag München, 1987, S. 143 und 145
Hier ist der dazu verfasste Artikel von "Science", der das alles noch einmal im Detail darstellt.
Zu guter Letzt noch der Link zu einer Nachlese zum
"Doolittle-Ereignis", dass seinerzeit für erheblichen Wirbel gesorgt hatte. Auf der Basis von Protein-Sequenz-Vergleichen gelangten er und seine Mitarbeiter auf ein maximales Alter von 2,1 bis 2,5 Milliarden Jahren für die Verzweigung von Bakterien und Archaeen, statt wie erwartet 3,2 bis 3,8 Milliarden Jahren.