@ UMa:
Das Bild ist bei mir sehr klein in der Anzeige, so dass ich daraus nichts entnehmen kann. Aus dem Begleittext ergibt sich ebenfalls kein genauerer Hinweis, was die Graphen aussagen sollen. Trotzdem Danke!
Das stellt die Grundannahme, dass die Genomgröße mit der Zeit zugenommen haben soll, doch sehr in Frage.
Das denke ich auch. Eher scheint es mir so zu sein, dass einstmals redundante Anteile der Genome entweder verloren gingen (bei Bakterien und Archaeen), weil die Selektion jene Arten begünstigte, die sich schneller replizieren konnten (und somit diejenigen, die redundanten Ballast ohne Funktionsverlust loswerden konnten) - oder die funktionalen Anteile des Genoms wurden so verteilt, dass sie im Rahmen der späteren Chromosomenstrukturen nahe beieinander liegen. Die dazwischenliegenden Introns wurden dann mit Hilfe spezifischer Enzyme herausgetrennt.
Es ist klar, dass dieser bei Eukaryoten stattfindende komplexe Prozess sich nur entwickeln konnte, wenn der kommunale Zustand der Stammlinie noch längere Zeit beieinander blieb. In freier Konkurrenz mit Bakterien und Archaeen hätten einzelne Eukaryoten-Zellen keine Chance gehabt. Erst die Symbiose mit den späteren Mitochondrien und (bei Pflanzen) Plastiden ermöglichte das Überleben der Eukarya-Stammlinie als eigenständige Domäne.
Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit dem ersten "Schneeball-Ereignis" vor etwa 2,2 Milliarden Jahren, in dessen Folge sich diese Endosymbiose ereignete, die dann nach dem Auftauen der Erde zu einer adaptiven Radiation der Eukarya geführt hat. Das zweite "Schneeball-Ereignis" vor etwa 700 Millionen Jahren bewirkte möglicherweise eine Selektion von Mehrzellern (Regression in den kommunalen Zustand, der dann zu einer Funktionsaufteilung des Gesamtsystems führte), die dann Ausgangspunkt für die Evolution von Tieren, Pflanzen und Pilzen wurden. Aber das ist derzeit noch Spekulation.
@ Bynaus:
Es ist meines Erachtens problemlos denkbar, dass das Leben am Anfang sehr viel einfacher strukturiert war, als das was der heutige "Reproduktionsapparatus" im Minimum umfasst.
Das was wir heute vorfinden, ist vor allen Dingen eins - hocheffizient und hochspezifisch. Beides war zu Anfang mit Sicherheit nicht der Fall. Folglich war der Aufwand, um eine Reproduktion (also Selbsterhaltung durch Stoffwechsel und Fortpflanzung durch Zellteilung) zu bewerkstelligen zum einen umständlicher (weil primitiver) und unschärfer (weil funktional "mehrdeutig"). Das bedeutet zugleich, dass die Basisfunktionen, die heute durch etwa 100 spezifische Gene repräsentiert werden (mit etwa 30.000 Basenpaaren insgesamt, wenn ich pro Protein eine Länge von 100 Aminosäuren annehme), ursprünglich ein Mehrfaches an DNA bzw. RNA benötigte.
Eine genaue Zahl kann ich nicht nennen, aber irgendwo zwischen 100.000 und 300.000 Basenpaaren (also dass 3 bis 10fache des heutigen Umfangs) wird die Genomgröße von LUCA gewesen sein - ohne die redundanten und funktionslosen Anteile einzubeziehen, die heute noch als Introns mitgeschleppt werden. Falls die 2 bis 3 Prozent kodierende DNA im menschlichen Gesamtgenom repräsentativ sind, dann kommen wir auf etwa 1 bis 3 Millionen Basenpaare für das Gesamtgenom von LUCA. In dieser Größenordnung müsste die Ausgangsgröße der ersten Genome vermutet werden.
Die Komplexität der heutigen Lebewesen ergab sich sukzessive durch zunehmende Eindeutigkeit sowohl des genetischen Codes wie auch der Funktionszuordnung der synthetisierten Proteine im Gesamtstoffwechsel der Zelle. Durch Genverdoppelungen, durch Horizontalen Gentransfer z.B. über Viren oder Bakterien sowie durch Polyploidie (bei Pflanzen) ergaben sich natürlich sukzessive auch Zunahmen der Genomgrößen, die z.T. mit einer Zunahme der Komplexität des Gesamtorganismus einherging, aber daraus rückzuschließen, dass sich diese Größenzunahme a) kontinuierlich und b) beliebig weit in die Vergangenheit erstreckt hat, ist falsch.
Die ersten Lebewesen waren zweifelsohne primitiv, aber Primitivität bedeutet hier nicht Einfachheit, sondern Umständlichkeit, die später durch Selektion in größtmögliche Effizienz evolvierte. Das heißt, dass der biochemische Aufwand zur Reproduktion anfangs größer und weitläufiger gewesen ist als heute. Die Struktur der ersten Lebewesen war zwar weniger komplex, aber dafür war das Reaktionsnetzwerk, das zur Aufrechterhaltung der Lebensprozesse und zur Fortpflanzung notwendig war, komplexer als heute.
Diese große biochemische Komplexität als Voraussetzung für die Entstehung und Fortdauer der ersten Lebewesen setzt voraus, dass diese Reaktionsnetzwerke zunächst in einem geschützten Rahmen allmählich "hochwachsen" konnten, bevor die "Erfindung" der Translation als entscheidenden Schritt in der Bioproteinsynthese gelingen konnte. Von daher ergibt sich notwendigerweise ein kommunales Szenario wie es von Richard Egel in seinem Essay beschrieben wurde. Und diese "Matrix" entwickelte sukzessive ein Gesamtgenom, bevor Bakterien und später Archaeen aus dieser "entwichen". Man darf daher davon ausgehen, dass der Ausgangszustand, aus dem sich die ersten Lebewesen entwickelten, hochkomplex - allerdings infolge der noch fehlenden Rückkopplung zwischen Nukleinsäuren und Proteinen, die später zu echten Genomen führte, noch hochgradig unorganisiert war.
Mit der Zunahme der Organisiertheit wurde das Reaktionsnetzwerk in Richtung Effizienz "ausgedünnt", so dass nur noch die Zyklen übrig blieben, die das Gesamtsystem einerseits stabilisierten, andererseits aber auch genügend Freiraum für Innovationen ließen, die später über den Horizontalen Gentransfer in den späteren Genomen fixiert wurden. Mit der "Erfindung" der Translation gelang dann der Sprung von der "Matrix" hin zu einem kommunalen Zellverbund, der der gemeinsame Vorläufer für die heutigen drei Domänen wurde.
Auf diese Weise kann man sich erklären, dass zu Beginn eine hohe Komplexität vorgelegen haben muss, die aber auf eine andere Weise zum Ausdruck kam als in heutigen Lebewesen. Also kurz: Die ersten Lebewesen waren anders komplex, aber nicht notwendigerweise weniger komplex als heutige Lebewesen. So weit meine Meinung dazu.