doch Leben auf dem Mars?

Mahananda

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Hallo Alex,

mit deiner Schlussfolgerung, dass komplexes alias mehrzelliges Leben wesentlich seltener als einfaches einzelliges ist, hast du bestimmt recht. Also: Wenn es anderswo eine Vielzahl belebter Planeten gibt, dann ist die Mehrzahl davon ausschließlich mit Einzellern besiedelt. In meiner Argumentation ging es vorrangig darum, zu zeigen, dass die gern bemühte "Platzverschwendung" kein sachliches, sondern ausschließlich ein emotionales Argument ist. Da es keine Vergleichsdaten gibt, lässt sich kein Wert angeben, auf wie viele Planeten im Durchschnitt ein belebter kommt. Das Vorhandensein von Wasser allein ist zwar ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für die Entstehung von Lebewesen. Ebenso gilt dies für das Vorhandensein von Kohlenstoffverbindungen. Erst wenn die passenden Makromoleküle sich in ihren Funktionen wechselseitig ergänzen, kann die chemische Evolution in eine biologische umschlagen. Wie oft das im Durchschnitt passiert, ist wie gesagt unbekannt.

Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens weiterer Entwicklungsschritte ist ebenfalls ein reines Ratespiel ohne Datenbasis. Das beginnt bereits bei der Entstehung von Analoga zu unseren eukaryotischen Zellen (kernhaltige Zellen), die die Voraussetzung für alle weiteren Entwicklungsschritte darstellen. Der Übergang von Zellverbänden zu echten Mehrzellern mit spezialisierten Organen; von Mehrzellern mit ZNS-Analoga zu Wesen mit Selbstbewusstsein; von diesen wiederum zu solchen mit Sprachfähigkeit; dann zu Wesen mit Schrift, mit Hochkultur, mit maschineller Technologie, mit elektronischer Technologie, mit Computertechnologie usw. usf. ist mit so vielen Unbekannten versehen, dass sich in keiner Weise daraus allgemeingültige Szenarien mit bestimmbarer Wahrscheinlichkeit ableiten lassen.

Blicken wir in unsere eigene Geschichte zurück, erscheint der technologische Durchbruch, der sich in den letzten Jahrhunderten in Westeuropa vollzogen hat, eher als Anomalie, denn als Normalfall. Selbst solche alten Kulturen wie in Indien und China würden heute noch agrarische Despotien sein, wenn sich die Westeuropäer nicht dazu entschieden hätten, den Rest der Welt als Weltmarkt zu erschließen bzw. als Siedlungsgebiet zu kolonisieren und damit ihren technologischen Fortschritt zu exportieren. Zumindest spricht nichts dafür, dass außerhalb Europas ein vergleichbarer Durchbruch stattgefunden hätte. Von daher hast du mit deiner Feststellung recht, dass intelligente Lebewesen "noch ein paar Ligen höher" anzusiedeln sind als Mehrzeller im Vergleich zu Einzellern.

Viele Grüße!
 

Alex74

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@Mahananda:
Genau :)
Ich reagiere zugegebenermaßen auch ein wenig allergisch auf solch weit verbreiteten Sätze wie "Du hast nur zu wenig Fanstasie, Dir vorstellen zu können daß das Leben woanders ganz anders sein kann" (nein, nicht zu wenig Fantasie sondern zu viel Wissen darüber was wirklich möglich ist), "25.000 UFO-Sichtungen im Jahr, wenn da nur EINE von einem Außerirdischen Raumschiff herrührt...!" (es rührt aber nichtmal eine daher) "Vor 200 Jahren dachte auch noch niemand daß man je fliegen könnte und in Zukunft wird man daher auch mit Lichtgeschwindigkeit fliegen können" (was einen größeren Exkurs über die Natur der Lichtgeschwindigkeit, Masse und Energie zu Folge hätte...). etc...

Ich schätze die Wahrschenilichkeit von fossilem (und auch evtl. noch vorhandenen) Leben auf dem Mars ja sogar als recht groß ein, wenn auch eben nur primitives. Aber das macht doch überhaupt nichts, und wenn es nur ein beschissenes kleines Bazillus wäre was wir da finden - es wäre die wichtigste Entdeckung der Menschheit seit der Feststellung daß die Erde um die Sonne kreist. Sollte sich dieses Leben autark - also nicht durch Panspermie von Erdbrocken - entwickelt haben dann wird man alleine mit den Erkenntnissen daraus endlich genau das Riesen-AHA haben, was Du mit der ungelösten Frage der Spezifität der Erd-Biochemie ansprachst.

Ganz blöd ists genau dann, wenn man tatsächlich nen Marsianer in Bakterienform findet, bei dem...
...es von der DNS her keinen Hinweis auf Verwandschaft mit Erdlingen gibt,
...der sich aber trotzdem aus den identischen Kohlenstoffverbindungen (Aminosäuren etc.) zusammensetzt wie das Leben auf der Erde.

Dann stünde, vermutlich für alle Zeiten, die große Frage im Raum ob das nun ein Riesenzufall war, ob hier doch Panspermie vorliegt oder das Leben tatsächlich aus unbekannten Gründen auf diese speziellen Verbindungen angewiesen ist.

Gruß Alex
 
Zuletzt bearbeitet:

Mahananda

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Hallo Alex,

wenn sich die Strukturen in ALH 840001 tatsächlich als Fossilien erweisen sollten, wäre das der Nachweis, dass es auf dem Mars Einzeller gegeben hat (und eventuell noch gibt). Ganz anders steht es mit der Frage, ob es auch dort entstanden ist. Dazu müsste man die Biochemie der Fossilien analysieren - vorausgesetzt, es sind noch Reste der beteiligten Chemikalien erhalten bzw. man findet rezente Mikroben in tieferen Schichten des Marsbodens. Der Abgleich mit irdischen Mikroben - insbesondere Art und Anzahl der Aminosäuren sowie der Zusammensetzung des genetischen Materials, inklusive des "Genetischen Codes" - dürfte sehr schnell den Nachweis erbringen, ob die Marsmikroben irdische Exilanten sind oder echte "Marsianer".

Im Falle von Letzterem hätten wir einen Hinweis darauf, dass das "Schließen des Kreises" doch von recht hoher Wahrscheinlichkeit ist, so dass mit einer Vielzahl von belebten Planeten in der Galaxis zu rechnen ist. Natürlich wäre das ein Durchbruch ersten Ranges hinsichtlich der Beurteilung unserer Stellung im Universum. Aber auch der gegenteilige Fall - wenn es sich bei den Marsmikroben um versprengte Erdlinge handelt - würde uns einen ungeheuren Erkenntnisgewinn bescheren. Schließlich hätten diese einen eigenen Evolutionszweig begründet, der wiederum unerwartete Formen hervorgebracht haben wird, um sich den rauen Marsbedingungen anzupassen. So oder so - es bleibt in jedem Fall spannend!

Viele Grüße!
 

CAP

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Irgendwie gleich typisch wie die Annahme der Physiker, dass überall im Universum dieselben physikalischen Gesetze gelten.

Findest Du das so abwegig?
Orbit

Physikalische Gesetzmäßigkeiten lassen sich auch aus der Ferne mit Teleskopen beobachten.Trotzdem behauptet kein noch so gelehrter Physiker, dass er alles weiß und es auch nichts anderes mehr geben kann.

Von nicht all zu langer Zeit konnte laut der Wissenschaft kein Leben ohne Sonnenlicht (direkt oder indirekt) existieren.
Nachdem dann aber komplexes Leben an den schwarzen Rauchern entdeckt wurde, kam es plötzlich auch auf weit entfernten Monden in Frage und es wird sogar spekuliert, ob das Leben nicht sogar dort entstanden ist.

Und im Augenblick wissen halt alle, dass es nur so geht wie hier im Thread erklärt, weil man es genau so weiß.
 

Alex74

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CAP, hier gehts nicht darum unter welchen Umständen Leben entstehen kann.
Ich glaube da sind wir uns alle recht einig und auch wenn wir von der Erde aufs Universum schließen kommen wir dann zu dem Schluß: das Leben an sich scheint recht flott zu entstehen.

Mit der Aussage, daß man dachte daß sich Leben ohne Licht nicht entwickeln kann liegst Du allerdings völlig daneben; es ist schon seit sehr langer Zeit bekannt, daß das erste Leben anärobe Organismen gewesen sein müssen die irgendwo im Schlamm andere Kohlenstoffverkettungen verzehrt hatten.
Daß es bei den Schwarzen Rauchern war ist auch nur eine Theorie von vielen. Ich persönlich favorisiere immernoch flache Gewässer.
Daß es auf der Erde Leben unter -zig bar Druck und über 100°C gibt, bzw. auch bei -50°C bedeutet nicht, daß es dort auch entstanden ist - das vergessen viele leider. Die Schutzmechanismen um in diese Gebiete vordringen zu können hat das Leben erst nach seiner Entstehung entwickelt.

Aber das spielt keine Rolle für die Frage nach vielzelligen/komplexen Lebensformen. Unsere kälteresistenten Antarktisbaktierien haben auch keine Füße und machen "Muh". Denk mal nach, warum das so ist: weil diese Lebewesen nur als Einzeller in dieser Nährstoffarmen Gegend genug Resourcen finden und dabei die größtmögliche Unempfindlichkeit gegen die Widrigkeiten vor Ort haben. Jetzt bist Du dran: wieso sollte ein Einzeller auf einem anderen Planeten mit suboptimaler Natur (sagen wir mal Antarktis-Niveau...) evolutionstechnisch sich zum Mehrzeller entwickeln? Es bietet keine Vorteile.

Gruß Alex
 

Mahananda

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Hallo CAP,

man muss unterscheiden zwischen dem, was prinzipiell gegeben sein muss und dem, was die konkrete Verwirklichung dieser Prinzipien ist. Letzteres muss nicht universell sein, da die Molekülvielfalt sich nicht auf 20 Aminosäuren und 4 Nucleotide beschränkt, auf deren Basis sich hier bei uns die wesentlichen Lebensphänomene entfalten. Ersteres hingegen bezieht sich auf grundlegende Mechanismen, die sich vollziehen müssen, damit ein System als lebend charakterisiert werden kann. Stoffwechsel gehört dazu - unabhängig davon, welche Stoffe auf welche Art und Weise verwertet werden. Dieser bedarf einer Reihe von Hilfsstoffen, damit die Reaktionsprodukte verwertet bzw. ausgeschieden werden können. Je effizienter diese Hilfsstoffe funktionieren, um so dringender ist es, dass sie möglichst lange zur Verfügung stehen. Dies erfordert einen Mechanismus, der diese Stoffe möglichst rein herstellt. Das gelingt aus prinzipiellen Gründen - egal mit welchen Stoffen verwirklicht - nur mit einer Art Konservierung von gefundenen Lösungen für Stoffwechselprozesse. Also irgendetwas in der Art wie unsere Proteinbiosynthese - auch wenn vielleicht anderswo keine Proteine synthetisiert werden, sondern vielleicht Lipide mit funktionellen Seitenketten oder etwas noch exotischeres. Egal. Das Prinzip bleibt identisch und damit die Notwendigkeit einer konkreten Lösung des anstehenden Problems. Völlig egal ist auch die Art der Energiequelle, aber irgendeine muss es geben, die angezapft werden kann, damit der Zustand hoher Ordnung des Gesamtsystems zu Lasten der Ordnung der Umgebung aufrecht erhalten werden kann. Ob das nun Sonnenlicht oder die Abwärme eines hydrothermalen Schlotes ist oder meinetwegen eine Lagerstätte radioaktiver Mineralien, spielt für das Prinzip keine Rolle.

Auf diese Weise kann man schon ein Set an Minimalbedingungen zusammenstellen, die vorhanden sein müssen, damit Lebewesen entstehen, bestehen und sich entwickeln können. Insbesondere der Blick auf die irdischen Extremophilen - du hast die hydrothermalen Schlote angeführt - erleichtert doch geradezu den Blick über den Tellerrand des ansonsten "gewöhnlichen" Lebens auf der Erde, um die Grenzen abzustecken, was als lebend zu gelten hat und was nicht. Die fundamentalen Voraussetzungen für lebende Systeme sind zwar aus der Beobachtung der irdischen Lebewesen abgeleitet worden - es gibt ja nur dieses eine Beispiel! - aber doch nicht, um zu behaupten, es ginge nur so wie hier, sondern um herauszufiltern, welche Probleme gelöst werden müssen, damit ein System ein lebendes ist. Die Art und Weise, wie diese Probleme gelöst werden, wird mit Sicherheit nicht identisch sein, was die stoffliche Basis betrifft, aber die grundlegende Strategie wird ähnlich sein. Spannend ist jedoch, auf welchen Wegen die Strategie konkret verwirklicht ist. Es geht nicht um Geozentrismus, sondern um das genaue Gegenteil!

Viele Grüße!
 

CAP

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Jetzt bist Du dran: wieso sollte ein Einzeller auf einem anderen Planeten mit suboptimaler Natur (sagen wir mal Antarktis-Niveau...) evolutionstechnisch sich zum Mehrzeller entwickeln? Es bietet keine Vorteile.

Gruß Alex

Ist es nicht von Vorteil, wenn der Einzeller die Möglichkeit hat sich fortzubewegen um sich seine Nahrung aktiv zu beschaffen anstatt nur darauf zu warten bis zufällig mal etwas vorbeifliegt?
Aber warum ausgerechnet suboptimale Natur?
Also wir sind uns einig, dass auf erdähnlichen Planeten auf jeden Fall Leben entsteht ja? Uneinig sind wir uns, ob auch zwangsläufig mehrzelliges Leben entsteht.
Ich denke schon, aber werde mich nochmal intensiv damit beschäftigen, versprochen!
 

Schmidts Katze

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Also wir sind uns einig, dass auf erdähnlichen Planeten auf jeden Fall Leben entsteht ja?

Hallo CAP,

du meinst damit Gesteinsplaneten mit einem Durchmesser von etwa 12000 km, die zu 2/3 mit Wasser bedeckt sind, einen Gelben Zwerg im Abstand von 8 Lichtminuten umkreisen und von einem Trabanten mit etwa 1/100 der eigenen Masse in einem Abstand von 1 Lichtsekunde umkreist werden?

Das sind ganz gute Ausgangsbedingungen, mehr nicht.

Grüße
SK
 

CAP

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Hallo CAP,

Ich glaube Du unterschätzt die Fähigkeiten von Einzellern. http://de.wikipedia.org/wiki/Bakterien#Aufbau

Herzliche Grüße

MAC

Da es um eine Umgebung wie die in der Antakrtis ging, dachte ich, dass auch Geißeln nicht viel nützen, sondern etwas anderes her müsste.
Dann nenn ich eben den Grund, dass es immer günstiger ist größer zu sein als der Feind und wenn die maximale Größe einer Zelle erreicht ist müssen halt mehr Zellen her.
Es muss ja einen Grund geben, warum sich Mehrzellen entwickelt haben?!
 
Zuletzt bearbeitet:

Alex74

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wenn die maximale Größe einer Zelle erreicht ist müssen halt mehr Zellen her.
Es muss ja einen Grund geben, warum sich Mehrzellen entwickelt haben
Wie ich oben schrieb haben Vielzeller genau da Vorteile wo leicht erreichbare Nahrungsquellen in großer Menge vorliegen und eine Arbeitsteilung sinnvoll ist.

Man muß sich ja bewußt machen daß der erste Schritt zum Mehrzeller ein Defekt eines Einzellers ist: daß nämlich eine Zellteilung nicht mehr funktioniert und die neu entstehende Zelle weiter an der Mutterzelle klebt, was für einen Einzeller erstmal an sich einen Nachteil u.a.an Mobilität bedeutet. Ist die Nahrung nur in Form anderer (evtl.abgestorbener) Einzeller oder Kohlenstoffverbindungen im Urmeer vorhanden bringt die Mutation rein gar nichts sondern behindert die bisherigen Eigenschaften des Bakteriums.
Erst durch z.B. die Entwicklung von Photosynthese lohnt es sich, sich flächenartig schwimmend auszubreiten, woraufhin es sich für nichtphotosynthesierende Einzeller lohnt, größer zu werden um solche Algenteppiche besser abzugrasen. Und die Photosynthese, das ist wieder noch ne ganz eigene komplexe Geschichte weil der dadurch freiwerdende Sauerstoff erstmal die Vielzahl der bisherigen Einzeller vernichtet hat, es andererseits aber auch ewig brauchte bis der Sauerstoffanteil in der Atmosphäre so weit gestiegen war daß er für die Versorgung größerer Vielzeller ausreichte.
Und das ging verflucht langsam: erst vor 600 Millionen Jahren stieg der O2-Anteil auf über 5%.
Fazit: auf der Erde war komplexes Leben offenbar zwingend vom Vorhandensein freien Sauerstoffs abhängig. Sauerstoff ist für den Stoffwechsel ein echter Turbo, anärobe Einzeller sind in der Energiegewinnung nicht so effektiv.
Auch an den Schwarzen Rauchern ist das Leben nicht auf Schwefelbasis vielzellig geworden; die dortigen Makroorganismen sind auch von außen gekommen und haben sich an die vorhandenen schwefelfressenden Bakterien angepaßt. Selber vielzellig zu werden ist an einem solchen Ort aber für Einzeller überhaupt nicht vorteilhaft. Wie gesagt darf man nicht vergessen daß die ersten Vielzeller im Grunde kaputte, fehlerhafte und anfällige Fehlentwicklungen sind, die eine nährstoffreiche ungefährliche Umgebung brauchen um erstmal überhaupt überleben zu können.

Gruß Alex
 

mineralkerbe

Registriertes Mitglied
Ist es nicht von Vorteil, wenn der Einzeller die Möglichkeit hat sich fortzubewegen um sich seine Nahrung aktiv zu beschaffen anstatt nur darauf zu warten bis zufällig mal etwas vorbeifliegt?
Herumschwimmen kostet Energie ;)

Könnte mir vorstellen dass sich solche Antriebsmechanismen
nur entwickeln, wenn zwar ausreichend Nahrung vorhanden,
diese aber nicht gleichmäßig verteilt ist. So würde es sich lohnen
zu den Nahrungsquellen schwimmen zu können.
 

Mahananda

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Hallo,

CAP schrieb:
Also wir sind uns einig, dass auf erdähnlichen Planeten auf jeden Fall Leben entsteht ja?

Schön, dass ihr euch einig seid, aber auf welcher Grundlage? Ohne Datenbasis, die einen Vergleich mit dem Fall Erde erlaubt, ist das ein reines Glaubensbekenntnis.

Alex74 schrieb:
Man muß sich ja bewußt machen daß der erste Schritt zum Mehrzeller ein Defekt eines Einzellers ist: daß nämlich eine Zellteilung nicht mehr funktioniert und die neu entstehende Zelle weiter an der Mutterzelle klebt, was für einen Einzeller erstmal an sich einen Nachteil u.a. an Mobilität bedeutet.

Wenn es ein Nachteil gewesen wäre, hätten sich die Mutanten nicht durchgesetzt. Der Vorteil einer Einzellerkolonie, die sich daraufhin bildete (weil der letzte Schritt der Abtrennung von der Mutterzelle ausblieb), bestand möglicherweise darin, dass eine größere Gesamtoberfläche zur Verfügung stand, die Nahrung aufnehmen konnte. Auch wenn echte Organe noch fehlten, bildeten sich u.a. Hohlräume aus, in denen sich nährstoffreiches bzw. mit einzelliger Nahrung versehenes Wasser verfing, so dass für die Nahrungsaufnahme mehr Zeit zur Verfügung stand, so dass die Gesamtversorgung der Zellkolonie optimiert werden konnte. Die Zellkolonien waren nicht unbedingt auf Mobilität angewiesen sondern hätten ebenso ortsfest wie heute noch Seeanemonen, Korallen u.a. Polypen sein können.

Alex74 schrieb:
Ist die Nahrung nur in Form anderer (evtl.abgestorbener) Einzeller oder Kohlenstoffverbindungen im Urmeer vorhanden bringt die Mutation rein gar nichts sondern behindert die bisherigen Eigenschaften des Bakteriums.

Mehrzeller entstanden aus kernhaltigen Einzellern, also Eukaryonten, während Bakterien wie auch Archaeen Prokaryonten sind. Das macht auch Sinn, da die Kernmembran der Eukaryonten das teilweise Blockieren von Genomabschnitten begünstigt, so dass sich differenzierte Zelltypen herausbilden konnten, die dann Organe bilden. Der Trick bei Mehrzellern besteht darin, die Totipotenz der Zellen selektiv zu unterdrücken und nur die Bereiche des Genoms zur Entfaltung kommen zu lassen, die zur spezifischen Funktion nötig sind. Das Genom der Prokaryonten liegt zu offen, so dass sich derartige Differenzierungen nicht herausbilden können. Ein weiterer Beleg dafür ist das Fehlen von Introns in Bakteriengenen. Es gibt im Bakteriengenom keine "sinnfreien" Lücken zwischen den "codierenden" Sequenzen, weil stets das ganze Genom in Aktion ist, während bei Eukaryonten weite Bereiche der DNA brach liegen.

Alex74 schrieb:
Erst durch z.B. die Entwicklung von Photosynthese lohnt es sich, sich flächenartig schwimmend auszubreiten, woraufhin es sich für nichtphotosynthetisierende Einzeller lohnt, größer zu werden um solche Algenteppiche besser abzugrasen.

Die ältesten Stromatolithenfunde sind über 3 Milliarden Jahre alt. Da sie aus Cyanobakterien bestanden, ist der Zeitpunkt des Einsetzens der Photosynthese ebenso früh anzusetzen. Der gebildete Sauerstoff reagierte jedoch zunächst einmal mit den im Meerwasser gelösten reduzierenden Mineralien zu unlöslichen Oxiden, die dann als Sediment ausfällten (u.a. Bändereisenerz). Erst nachdem diese Sauerstoffsenke erschöpft war und die Löslichkeitsschwelle des Meerwassers überschritten wurde, begann sich Sauerstoff in der Atmosphäre anzureichern. Vor etwa 2,2 Milliarden Jahren wurde die für anaerobe Lebewesen kritische Schwelle von 0,2 Prozent überschritten. Die ersten unsicheren Spuren von Vielzellern (Wühlgänge von wurmartigen millimetergroßen Lebewesen) datiert man auf den Zeitraum von vor 600 bis 800 Millionen Jahren, also ins späte Proterozoikum. Somit bleibt ein Zeitraum von etwa 1,5 Milliarden Jahren, in dem sich echte Vielzeller entwickelt haben.

Alex74 schrieb:
... weil der dadurch freiwerdende Sauerstoff erstmal die Vielzahl der bisherigen Einzeller vernichtet hat, ...

Das ist richtig, aber es gab auch Bakterien, die mit dem Sauerstoff etwas anfangen konnten. Diese wurden von einigen Eukaryonten in das schützende Innere gelassen und leben heute in Symbiose mit ihnen. Sie sind als Mitochondrien der Hauptlieferant für ATP im Zellhaushalt, das als Energiequelle dient. Offenbar haben bevorzugt diejenigen Eukaryonten-Stämme überlebt, die Mitochondrien besaßen, während die anderen ausgestorben sind. Damit war der Weg frei zu komplizierteren, weil energieaufwändigeren Stoffwechselreaktionen, die u.a. zum Aufbau eines inneren Zellskeletts aus Kollagen führten - eine wesentliche Vorbedingung für die Stabilität der späteren Vielzeller.

Alex74 schrieb:
Fazit: auf der Erde war komplexes Leben offenbar zwingend vom Vorhandensein freien Sauerstoffs abhängig.

Das ist vollauf zutreffend.

Alex74 schrieb:
Wie gesagt darf man nicht vergessen daß die ersten Vielzeller im Grunde kaputte, fehlerhafte und anfällige Fehlentwicklungen sind, die eine nährstoffreiche ungefährliche Umgebung brauchen um erstmal überhaupt überleben zu können.

Das sollte man vielleicht besser doch vergessen, denn der Wert einer Neuentwicklung ergibt sich erst nach der Selektion. Und diese setzt erst ein, wenn ein hinreichender Druck durch wechselnde Umweltbedingungen gegeben ist. "Kaputte, fehlerhafte und anfällige Fehlentwicklungen" haben keine Chance auf Vermehrung, wenn die Konkurrenz besser ist. Es genügt zunächst, dass eine Mutation nicht nachteilig ist, so dass sich Variationen derselben anhäufen können. Erst im Verlauf der nächsten Krise zeigt sich, ob die Neuerung Bestand haben wird, also a posteriori vorteilhaft war, oder nicht. Sämtliche Fehlentwicklungen sind bereits ausgestorben, anderenfalls wären es keine Fehlentwicklungen gewesen.

Viele Grüße!
 

mineralkerbe

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Das ist richtig, aber es gab auch Bakterien, die mit dem Sauerstoff etwas anfangen konnten. Diese wurden von einigen Eukaryonten in das schützende Innere gelassen und leben heute in Symbiose mit ihnen. Sie sind als Mitochondrien der Hauptlieferant für ATP im Zellhaushalt, das als Energiequelle dient.
Ist das mittlerweile erwiesen? Ich bin auf dem (vielleicht veralteten) Stand,
dass die Herkunft der Mitochondrien noch nicht eindeutig (!) geklärt ist...
 

Alex74

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Das kann man sogar sehr leicht simulieren.
Habe selber mal so ein Programm geschrieben; das Ergebnis ist - wie so oft - eine phasenweise Zweiteilung der Evolutionsschritte.

Gegeben waren Pflanzen, die wachsen und sich durch Sporen in Wind/Strömung aber auch weiter entfernt vom Stamm verbreiten können, sowie Lebewesen (nenne ich jetzt mal "EZ" wie Einzeller) die diese fressen.
Vererbbare Eigenschaften waren dabei u.a. wie vollgefressen ein EZ sein muß ehe er sich vermehrt, wie schnell er sich fortbewegen kann (je schnller=desto höher der Energieverbrauch) und ob eher kräftiger Nachwuchs geboren wird (enspricht exakter Zweiteilung) oder schwacher Nachwuchs (Zelle teilt sich, Tochterzelle bekommt aber kaum Energiereserven mit).

Das ganze simulierte Leben unterteilte sich in folgende Phasen:

1. Pflanzen sehr weit verbreitet => die EZ vermehren sich wie Sau, es findet kaum Selektion statt weil alle EZ genug Nahrung haben. Es haben jene einen leichten Vorteil, die langsam sind, sich früh vermehren und nur schwache "Kinder" bekommen (weil diese direkt in einem Nest aus Nahrung hocken).

2. Die Pflanzen sind arg dezimiert und nur noch inselweise vorhanden => das ist die große Phase der Selektion. Übermäßig schnelle EZ sind auch jetzt nicht im Vorteil weil die Energie knapp ist, aber übermäßig langsame schaffen es nicht, neue Nahrungsquellen zu suchen. Auch jene, die sich früh vermehren werden jetzt ausselektiert und sparsame, einigermaßen agile EZ überleben.

Insgesamt findet sich auf Dauer jedoch ein Mittelwert an Geschwindigkeit, Sparmsamkeit und Vermehrungsrate zwischen den beiden Phasen, vor allem wenn man die Mutationsrate deutlich langsamer einstellt als diese Populationsphasen.

Ich fand das mal ganz interessant sowas selbst zu programmieren und so Evolution "live" zu beobachten, ist aber schon ne Weile her.

In dem Zusammenhang:
Wenn es ein Nachteil gewesen wäre, hätten sich die Mutanten nicht durchgesetzt.
Wie man an Phase 1 sieht, muß sich eine Mutation nicht immer sofortkampfeslustig durchsetzen - es genügt zunächst daß sie keinen allzu großen Nachteil bildet; kommt Generationen später noch eine Mutation hinzu kann daraus dann etwas wirklich Durchsetzungsfähiges werden.


Gruß Alex
 
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Mahananda

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Hallo mineralkerbe,

Nach dem, was hier steht, gibt es innerhalb der Endosymbiontentheorie mehrere Ansätze, aber die Endosymbiontentheorie als solche ist bislang recht gut durch zytologische Belege gestützt.

Viele Grüße!
 

Mahananda

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Hallo Alex,

von "Kampfeslust" war bei mir keine Rede. Mich hatte nur irritiert, dass du die Mutanten von vornherein als "kaputt" und "anfällig" charakterisiert hast. Davon kann keine Rede sein. Aber mittlerweile hast du das ja relativiert:

Alex74 schrieb:
... es genügt zunächst daß sie keinen allzu großen Nachteil bildet ...

Viele Grüße!
 
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