Das überrascht mich nicht – mit Ausnahme der Bezeichnung, "modellabhängiger Realismus"; das ist m.E. Humbug (nicht die Idee, nur der Begriff). Hawking hat sich immer als Positivist bezeichnet, und so sollte man seine Idee auch einsortieren.
Was existiert ist eine philosophische Frage an die Natur, die Welt, das Sein … Wir gehen davon aus, dass wir dies teilweise mehr oder weniger zutreffend erkennen können. Wären wir davon nicht überzeugt, wären wir keine Naturwissenschaftler.
Was tatsächlich existiert, hat wohl nichts damit zu tun, was wir interpretieren oder definieren. Das habe ich auch nicht geschrieben!
Und wohl auch Hawking nicht.
Ich glaube jedenfalls nicht, dass sich die Natur nach unseren Vorstellungen richtet, oder nach einer physikalischen Theorie.
Und auch Hawking ist wohl nicht dieser Meinung.
Der Zustand im Formalismus der Quantenmechanik ist ein mathematisches Konstrukt. Was genau beschreibt er? …
- Wenn der Zustand [im Rahmen der Quantenmechanik] beschreibt, was tatsächlich real existiert, existieren dann unendlich viele Katzen, obwohl wir nur eine wahrnehmen?
- …
Das sind keine Fragen, was wie existiert, sondern Fragen –
unter der Voraussetzung, dass wir uns dazu bereits eine Meinung gebildet haben – was die Quantenmechanik auf Basis dieser metaphysischen Grundhaltung zu sagen hat.
Hawking behauptet nicht, dass sich die Realität nach den Modellen richtet, sondern dass sich das, was wir
beobachten – durch unterschiedliche Modelle unterschiedlich jedoch immer zutreffend beschreiben lässt. Das ist eine positivistische Haltung, und das ist völlig OK. Dass er recht hat, zeigen uns bessere Beispiele als die im Video genannten, z.B. die Schrödingersche und die Heisenbergsche Formulierung der Quantenmechanik.
Das folgende ist jedoch m.E. ziemlich irreführend bis falsch.
Kernaussage ist, dass alle Modelle, die eine zutreffende Vorhersage liefern, gleichwertig als real angesehen werden können. Man könne also keines dieser Modelle als „realer“ einstufen. Dies hat zur Folge, dass es keine „richtige“ Realität gibt.
Nein. Insbs. haben unsere Modelle
keinerlei Konsequenzen für die Realität.
Wenn es so lauten würde
Kernaussage ist, dass alle Modelle, die eine zutreffende Vorhersage liefern, gleichwertig als zutreffend angesehen werden können. Man könne also keines dieser Modelle als „zutreffender“ einstufen. Dies hat zur Folge, dass diese Modelle wenig bis gar nichts zur Realität aussagen können.
wäre logisch und begrifflich alles in Ordnung.
Zumindest im YouTube-Video wird implizit das, was ihr beobachten, und das, was real existiert, verwechselt oder unbewusst / implizit identifiziert – jedoch ohne diese philosophische Grundhaltung explizit zu nennen. Wie gesagt, das passt zu Hawkings positivistische Grundhaltung, derzufolge er über eine Realität, die nicht unmittelbar mit einer Beobachtung identisch ist, gar nicht sprechen will.
Gegen diese Haltung ist nichts einzuwenden – man kann sie einnehmen, muss aber nicht – jedoch gegen den Missbrauch des Begriffs der Realität.
Meine Sichtweise ist grob folgende:
- Realität = das, was tatsächlich existiert
- Phänomen = das, was ich wahrnehme
- Theorie (Modelle) = mathematische Repräsentation von X
- Observable = konkrete mathematische Entitäten im Rahmen von (3) zur Beschreibung von (2)
Nach dem Video sehe ich an zwei Stellen große Fragezeichen.
- Identifiziert Hawking (1) und (2), ignoriert er (1), hält er die Idee von (1) unabhängig von (2) oder "hinter" (2) für sinnlos? Dazu sagt das Video nicht.
- Was genau ist das X in (3)? Wenn jemand meint, X wäre auf der Ebene (2) zu verorten, so hat er noch nie Quantenfeldtheorie betrieben. Praktisch kein mathematisches Objekt in einer QFT hat irgend etwas mit (2) zu tun, und praktisch keine Observable (4) ist eine brauchbare Beschreibung von (2).
Wenn Hawking wirklich der Meinung ist, unsere Beobachtung seien der Maßstab, dann zeigt die schlichte Existenz der mathematischen Repräsentation vieler Katzen in (3) ohne eine vernünftige Erklärung in (3,4) für die Beobachtung nur einer Katze in (2), dass dieser Ansatz heute schlicht ungenügend ist. Wir haben nicht mehrere Modelle wie im Falle des helio- bzw. geozentrischen Weltbildes,
wir haben keines.
Dazu müsste ich aber die entsprechende Arbeite von Hawking lesen.
Umgekehrt kann man natürlich gegen den Realismus einwenden, es wäre anmaßend, zu meinen, dass das von uns konstruierte (3) irgendetwas über (1) aussagen könne. Stattgegeben. Dennoch sehe ich einige Punkte die dafür sprechen:
- Wir begehen damit nicht von vornherein den Fehler, (1) und (2) zu identifizieren
- Wir begehen keineswegs den im Video genannten Fehler, (3) und (1) zu identifizieren; das ist ein Strohmann; wir wissen, dass (3) immer nur unzureichend, unvollständig, verzerrend … über (1) sprechen kann.
- Wir begehen nicht den Fehler, (3) auf (2) zu beziehen; das war bei Newton OK, im Rahmen der QM / QFT ist es Käse.
- Da (3) in vielen Fällen nahezu perfekt zutreffende (4) für (2) liefert, (3) und (2) jedoch strukturell nichts gemein haben, trauen wir uns, anzunehmen, das X in (3) sei tatsächlich (1); und wir formulieren das vorsichtig.
Da schon Hawking angeführt wird, nenne ich noch Penrose. Dieser ist im von mir beschriebenen Sinne Realist bzw. folgt eher Platon, d.h. fasst das X in (3) als Repräsentation von Aspekten von (1) auf.
Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht.
(Alfred North Whitehead, 1861-1947)