@enteri73: Ja, das Öl kommt aus Ländern, die dem Westen teilweise feindlich gesinnt sind. Anderseits hat es der Westen verstanden, mit autoritären Regimes in der Gegegend zusammen zu arbeiten. Bei solchen Regimes kann man durchaus über davon ausgehen, dass sie vor allem ihr Eigeninteresse vertreten und deshalb bis zu einem bestimmten Grad "käuflich" sind.
Bei einem demokratischen Staat hingegen muss man davon ausgehen, dass die Regierung auch tatsächlich den Willen des Volkes abbildet. Und der ist nun eben dem Westen nicht unbedingt freundlich gesinnt. In der arabischen Welt gelten Westler vielerorts als reich, aber arrgoant, vulgär, unzivilisiert und ungläubig (auch wenn man sich natürlich bemüht, das den Touristen nicht zu zeigen).
Und soweit ich weiss, hat noch kein europ. Politiker gesagt: "Wir nehmen arabisches/orientalisches/iranisches (was auch immer) Öl, also müssen unsere Frauen Kopftücher tragen und die Männer mit einem Turban rumlaufen."
Natürlich nicht - von voreilendem Gehorsam von europäischer Seite habe ich aber auch nicht gesprochen, deshalb bin ich jetzt ein bisschen irritiert, dass du das schreibst.
Die Erpressung läuft natürlich in die andere Richtung. Wenn die Stromversorgung Europas erst in den Händen von demokratisch gewählten Islamisten in Nordafrika liegt, dann sehe ich durchaus das Potential, dass diese Abhängigkeit dazu gebraucht würde, um politischen Einfluss zu nehmen. Nicht weil Islamisten allesamt böööse sind oder so, sondern weil Einflussmöglichkeiten in der Politik stets auch genutzt werden, und sei es nur, um die nächsten Wahlen zu gewinnen.
Mit Strom geht das besonders gut: Erstens kann er jederzeit ohne Aufwand an- und abgeschaltet werden, bzw. für, sagen wir, zeitlich begrenzte Bewässerungsprojekte im Inland abgezweigt werden. Zweitens lässt er sich nicht richtig speichern. Drittens haben die Europäer keine Möglichkeit, auf die Schnelle irgendwo anders Ersatz zu besorgen. All dies gilt bei einem Ölboykott nur begrenzt.
Und was unsere Reserven angeht: die reichen ca. 90 Tage, was mich bei einem wirklichen Krisenfall nicht wirklich beruhigt.
Ja, aber die Ölproduktion ist heute viel differenzierter als auch schon. Die USA sind mittlerweile (dank "Fracking") schon fast wieder selbstversorgend.
Da ist eine schöne Grafik in dem Artikel, die zeigt, wie die Knoten verteilt werden könnten, um den - wie auch imer begründeten - Ausfall eines Landes zu kompensieren.
Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, wie eine noch so intelligente "Verteilung von Knoten" den Leistungsausfall bei einem Boykott "kompensieren" könnte. Kann ich die Steckdosen bei mir zu Hause intelligent verteilen, um Strom zu sparen?
Spätestens wenn die Ölmogule gerade in den arabischen Ländern Ihre Ölfelle davonschwimmen sehen, werden sie sich nach Alternativen umschauen, die dauerhaft Ihren Status sichern.
Ich weiss nicht, ob wir ihnen wirklich dabei helfen sollten, ihren Status zu sichern...
Desertec ist für mich auch das stillschweigende Eingeständnis, dass erneuerbare Energien in Europa nicht in dem Umfang ausgebaut werden können, wie nötig wäre, um die fossilen Energierohstoffe zu ersetzen. Wenn das möglich wäre, würde sich wohl niemand gross dafür erwärmen, Strom aus Nordafrika zu importieren. Diese "Unmöglichkeit" muss nicht einmal rein physikalisch begründet sein: Man sieht es an den zahllosen Einsprachen gegen Windkraftwerke oder Solarzellenfarmen. Ein Ausbau von Gezeiten- und Wellenkraft in dem Umfang, wie hier vorgeschlagen würde, würde tausende Kilometer Küste verändern und drastisch in ihre Ökosysteme eingreifen. Gleiches muss man bei den gigantischen Windkraftwerkfeldern vermuten, die in der Nordsee geplant sind.
Erneuerbare Energien produzieren zwar kein CO2, aber weil sie sehr diffuse Energiequellen nutzen, müssen sie entsprechend viel Raum einnehmen - Raum, um den sie - in Europa - in vielen Fällen mit der Natur konkurrieren (oder mit den Menschen, die diesen Raum bewohnen). AKWs brauchen dagegen praktisch keinen Platz.