Brauchen wir die Kernenergie?

Alex74

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Nach dieser Aussage aus der Quelle:
Von den im vergangenen Jagdjahr bundesweit erlegten 440.350 Wildschweinen sei bei knapp über 1000 Tieren das Fleisch mit mehr als den erlaubten 600 Becquerel pro Kilo verseucht gewesen, sagte DJV-Sprecher Torsten Reinwald.
...muß ich meinen Bekannten doch mal demnächst fragen ob jedes geschossene Wildschwein gleich mit Geigerzähler kontrolliert und der Wert an eine Behörde weitergeleitet wird... :cool:
Wie gesagt, ich halte das für Unsinn, kein Jäger hat einen Geigerzähler dabei; und wenn einige einen dabei haben sollten dann basieren die 1000 Tiere einzig auf diesen seltenen Stichproben (was einen generell höheren Wert verstrahlter Tiere implizieren würde).
 

hardy

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Es gibt aber eine ganze Reihe von indirekten Wegen, wie ein deutscher Atomausstieg weltweite Folgen haben könnte:

- Verlust von Expertenwissen. Ohne deutsche AKWs brauchts auch keine deutschen Nuklearingenieure, kein Siemens-Konzern, der sein Know-How weltweit einbringen und Drittweltländer beim Aufbau von AKWs unterstützen kann. Dieses Wissen geht nun verloren (oder wandert ins Ausland ab). Zudem ist es unplausibel, dass Deutschland künftig entscheidend zur Entwicklung der Reaktoren der 4. Generation (die wir dringend brauchen, wenn wir die radioaktiven Abfälle jemals loswerden wollen) beitragen wird.

Der Verlust von deutschem Expertenwissen auf dem Gebiet der Kernenergie ist tatsächlich bedauerlich. Das Kernenergiegeschäft übernehmen nun andere Konzerne wie z.B. AREVA, General Electric-Hitachi u.a.

Deutschland ist, anders als etwa die kleine Schweiz, auch nicht explizit Mitglied des in 2001 gegründeten "Generation IV International Forum (GIF)". Lediglich über die Mitgliedschaft der EURATOM seit 2003 kann Deutschland einen Teil seines Expertenwissens einbringen.

- Kohleförderung: Ein Ausbau des Kohlestroms wird dazu führen, dass der Kohleabbau weiterhin subventioniert wird und neue Vorkommen erschlossen werden, statt diese Gelder endlich in erneuerbare und/oder nukleare Energiequellen umzuleiten.

Ist es nicht vielmehr so, dass in deutschen Kohlekraftwerken sogar australische Steinkohle verbrannt wird?


- Verlust von Glaubwürdigkeit in künftigen Klimaabkommen: Warum soll ein Drittweltland sich bemüssigt fühlen, teure Alternativeenergien einzusetzen, wenn selbst Deutschland - Europas grösste Wirtschaftsmacht - den Kohlestrom ausbaut?

Mit diesem Argument kann ich mich anfreunden.
Den Drittweltländern soll man gestatten, auch fossile Energien einzusetzen. Sache der industriell entwickelten Länder sollte es sein, vorwiegend nicht-fossile und nukleare Energien einzusetzen.

Es ist aber eine Illusion, zu glauben, dass der Stromverbrauch der Zukunft unter dem heutigen liegen werde: nur schon die Elektromobilität und der Verzicht auf Ölheizungen wird ein Ausbau des Stromangebots erzwingen.

Das sehe ich auch so.
Deshalb muss man die Studie von 2010 des deutschen Umweltbundesamtes zur Energieversorgung im Jahre 2050 äusserst kritisch hinterfragen.

Wir könnten, wenn wir wollten, für eine CO2-freie Energieerzeugung auf die Erneuerbaren verzichten - aber wir können umgekehrt nicht auf die AKW verzichten.

Bei einem Verzicht geht es immer um den Preis, den man dafür zahlen muss.
Sind wir bereit, die Kernenergie auch dann zu bejahen, wenn wir z.B. alle 25 Jahre einen Super-GAU verkraften müssen?

Gruss
hardy
 

Bynaus

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Sind wir bereit, die Kernenergie auch dann zu bejahen, wenn wir z.B. alle 25 Jahre einen Super-GAU verkraften müssen?

Wer sagt, dass wir das einfach so hinnehmen müssen? Wenn alte Reaktoren konsequent durch neue ersetzt und die Kontrollen international streng, einheitlich und für alle transparent geregelt werden, wird es möglich, dass Fukushima der letzte (grosse) solche Unfall war.
 

Luzifix

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Wenn ich mir überlege, daß Länder wie Kenia oder Nigeria ihre ersten KKW haben wollen und wohin die dann ihren radioaktiven Müll verkippen oder auch verschießen, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß das die ingenieurtechnischen Bemühungen von wem auch immer irgendwie im Zaum zu halten vermögen.

Und selbst wenn Bynaus recht behält, dann wird man uns Verbraucher wohl an der Nase herum führen. Heute habe ich eine Werbung der lokalen Stadtwerke im Briefkasten. Darin wird Strom angeboten, "Garantiert CO²-frei und 0% Atomstrom" . Nun gibt es hier aber in ganzen Landkreis keine einzige Windmühle und die paar Solarzellen auf den Einfamilienhäusern oder Schulen kann man vergessen. Der Strom ist ca 10% teurer als meiner von Lichtblick. Geht man auf die Internet-Seite dieses Versorgers, bekommt man zu lesen:
Unser Energiemix setzt sich zusammen aus 23,40 % Kernenergie, 42,30 % fossilen und sonstigen Energieträgern, sowie 34,30 % erneuerbaren Energien. Damit sind 327 g/kWh CO2 - Emissionen und 0,0006 g/kWh radioaktiver Abfall verbunden.

Ich nehme trotzem an, daß etliche Kunden sofort auf diesen Humbug herein fallen. Dazu ist auch die Quote an Importstrom gar nicht ausgewiesen. Wenn man dieses Zertifikate-Unwesen so weiter wuchern läßt, wird man die KKW wohl auf dem Papier abschaffen und in der Realität können sie weiter produzieren.
 
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Laserdan

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Bei einem Verzicht geht es immer um den Preis, den man dafür zahlen muss.
Sind wir bereit, die Kernenergie auch dann zu bejahen, wenn wir z.B. alle 25 Jahre einen Super-GAU verkraften müssen?

Gruss
hardy

Ich bin ja momentan noch weder für noch gegen Kernkraft; ich sammle noch Fakten und Daten um mir eine Meinung zu bilden.

Aber deinem Satz stimme ich zu, und mir kommt sofort eine Analogie in den Sinn:
wieviele Verkehrstote haben wir, national wie weltweit? Wie sind die langfristigen Umweltfolgen unserer Mobilität?

Ich will ja nicht zynisch klingen aber Autos sind auch nicht wichtiger als Energieversorgung; trotzdem scheint kaum jemand Autos verbieten zu wollen.

Um die Analogie zu vervollständigen - nur auf den ersten Blick gibt es "keine Alternativen zum Auto und schon welche für KKWs". Wir müssen massiv investieren wenn wir KKWs sinnvoll und dauerhaft unterhaltbar ersetzen wollen. Eine vergleichbare Investition beim massiven Ausbau des Gemeinschaftsverkehrs ist auch nicht unmöglich, und im Gegensatz zur Atomkatastrophe ist die Klimakatastrophe unmittelbar greifbar und sehr viel weniger "vermeidbar".

Mir schwant, es hat etwas mit der Vertrautheit der Gefahr zu tun. Die Gefahren des Autofahrens kann jeder (zumindest glaubt das jeder...) einschätzen und kennt sie aus dem Alltag. Die unsichtbare Bedrohung durch Strahlung ist viel ominöser. Trotzdem ist auf den ersten Blick klar, wo es mehr Opfer gibt.

Ich will hier auch keins von beidem verharmlosen; die Dissonanz in den Köpfen der Menschen zwischen Ansichten zu in der Essenz nah verwandten Themen ist aber mindestens rätselhaft.

@Luzifix: ich habe vor einiger Zeit einen Bericht zu den Besorgungspraktiken diverser Anbieter von "sauberer" Energie gelesen und darin hieß es, dass es viele Verträge gibt, die im besonders kleingedruckten dem Anbieter erlauben, Lücken durch Import von Energie aus dem Ausland, unabhängig der Erzeugungsart, zu füllen, in dem man quasi den Preis "swappt". So wie ich das verstehe kann man z.B. hier im Inland fossilen Strom als Ökostrom verkaufen, wenn woanders Ökostrom als fossiler Strom verkauft wird (somit also sozusagen CO2 gegengerechnet wird). Wenn das wahr ist, ist es zumindest eine sehr clevere Marketingstrategie.

Ah, gefunden: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,526807,00.html

Meione Frage: kennt sich jemand damit aus und kann seriöse Quellen verlinken, die das widerlegen oder bestätigen bzw. weitere Infos haben?
 
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galileo2609

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Bei einem Verzicht geht es immer um den Preis, den man dafür zahlen muss.
Sind wir bereit, die Kernenergie auch dann zu bejahen, wenn wir z.B. alle 25 Jahre einen Super-GAU verkraften müssen?

Wer sagt, dass wir das einfach so hinnehmen müssen? Wenn alte Reaktoren konsequent durch neue ersetzt und die Kontrollen international streng, einheitlich und für alle transparent geregelt werden, wird es möglich, dass Fukushima der letzte (grosse) solche Unfall war.

@Bynaus: genau das glauben die Menschen, die gegen Kernenergie sind, eben nicht (mehr). Sie misstrauen jedem noch so ausgeklügelten technischen System, im Zweifel, weil die Sicherheitsgarantien durch menschliches Versagen oder nicht einberechnete Faktoren an die Wand gefahren werden.

Deshalb ist hardys Frage auch wesentlich realistischer. Über die Lager hinweg war in den letzten Jahrzehnten das Ziel, dass es nie zu einem GAU oder Super-GAU kommen sollte, breiter Konsens. Gerade das Verbannen dieser Möglichkeit in den Begriff des "Restrisiko" hat dieses völlige Versagen der kerntechnischen Anlagen in den emotionalen Status des "Gottseibeiuns" erhoben. Wer für den Nutzen der Kernenergie werben will, wird um den Abbau dieses irrationalen Potentials nicht herumkommen.

Ob das aber gelingt? Selbst wenn die unmittelbaren und langfristigen Gefährdungen der Menschen durch einen GAU oder Super-GAU wesentlich geringer sein mögen, als es oft in der Wahrnehmung als Gewissheit erscheint, gibt es neben der "unsichtbare[n] Bedrohung durch Strahlung" eine objektive Erfahrung. Das sind die Sperrzonen um Tschernobyl und Fukushima. In sehr dicht besiedelten Regionen wären diese nicht nur ein unmittelbarer hoher Preis. Sie sind vor allem wirklich wahrnehmbare objektive Entfremdungen für die Menschen, die im Verlust von Heimat, Kultur und Identität kulminieren. Dieser Preis war bisher durch die Nutzung der Kernenergie nicht eingeplant. Ich bin wirklich neugierig, ob man diese Diskussion führen könnte.

Grüsse galileo2609
 

Alex74

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Ich bin ja momentan noch weder für noch gegen Kernkraft; ich sammle noch Fakten und Daten um mir eine Meinung zu bilden.
So in etwa geht es mir, und habe dabei noch ein Dilemma:
Prinzipell befürworte ich die Kernenergie, aus physikalisch-praktischen Gründen soweit es mein Wissen um die Vor- und Nachteile zuläßt.
Dieses Wissen sagt mir: Ein Verzicht auf die effektivste Stromerzeugungsmethode zugunsten ineffektiver (wenngleich sicherer) Methoden muß in höheren Kosten, damit Mehrbelastung der Wirtschaft und damit weniger Wohlstand und folglich großen sozialen Problemen münden.
Die Argumentpalette von Bynaus spiegelt meine Ängste rund um einen Ausstieg ganz gut wider.
Ich kann andererseits nicht von der Hand weisen, daß es viele Fachleute gibt, das nicht so sehen; das muß ich zur Kenntnis nehmen und die werden sicher nicht nur ideologische Gründe für ihre Position haben.

Diese Positionen führen in mir auch einen kleinen Kampf aus, der im Grunde darauf hinausläuft, daß ich hoffe daß die Befürworter eines Ausstiegs recht damit damit haben, daß es ohne größere Einbußen mittel- bis langfristig durchzuführen ist.

Ein interessantes System das im Moment hier in Mannheim getestet wird ist ein Apparat, der in den Haushalten steht und regelt, wann energieintensive Geräte (wie Spülmaschine etc.) angeschaltet werden; dieser ist irgendwie mit dem Stromerzeuger verbunden und bekommt quasi Signal, wenn Stromproduktion und aktueller Bedarf passend sind.
Das fand ich sehr interessant, weil ein solches System das Totschlagargument "Wind/Wasser/Sonne=Nicht Grundlastfähig" zumindest abschwächt. Man kann zwar sicher nicht alle Verbraucher zeitlich so steuern, aber einige mit Sicherheit - evtl. sogar ausreichend?

Ähnlich geht es mir mit unserer neuen Regierung hier in BaWü; ich kann mich noch gut an das Chaos erinnern als 1998 Rot-Grün erstmal viel Mist produzierten (erinnert sich noch jemand an die abgeschafften Minijobs infolgedessen die Schwarzarbeit boomte? Auch daß die Krankenversicherung keine Pflicht mehr war fußte auf der Politik der "Sozial"demokraten). Hier lebe ich in ähnlicher weise zwischen meinen Befürchtungen und dem Hoffen, daß die Leute die nun dran sind doch Recht haben könnten und was positiv bewegen.
(Habe ich klein gemacht weils doch politisch ist und hier so nicht wirklich rein gehört, aber vielleicht als Beispiel für mein Denken mit der Kernenergie dienen kann)

Gruß Alex
 
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Laserdan

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Diese Diskussion muss man zumindest implizit führen; siehe meine Analogie mit der Mobilität - die Menschen haben das Risiko akzeptiert. In Deutschland hatten wir 2010 3657 Verkehrstote, das sind 4.5 Tote pro 100k Einwohner. Nicht mit drin sind all die, die überleben und lebenslang Narben (seelisch oder körperlich) davontragen.

Wir sind offensichtlich bereit, das im Namen der Mobilität zu akzeptieren (da gehöre ich dazu), und sind sogar bereit, im Rahmen subjektiv erhöhten Komforts ("Spaß") diese mit Fahrzeugleistungen weit über dem Notwendigen zu betreiben.

Die gleiche Frage, implizit oder explizit, muss man sich auch mit Kernkraft stellen. Sind wir bereit, die Risiken bewusst zu akzeptieren? Sind wir auch bereit die möglicherweise erhöhten Risiken erhöhten Komforts (mehr Energieverbrauch durch steigende Anzahl nicht essentieller Geräte), repräsentiert durch mehr Kraftwerke, zu tragen?

Momentan bin ich persönlich bereit, dieses Risiko für mein Leben einzugehen; das zeige ich ja implizit durch mein Verhalten an. Da für mich aber genügend Wissen dazugehört, bevor ich "Atomkraft, Nein Danke" oder "Atomkraft, Ja Bitte" sage, steht eine endgültige Antwort noch aus.

Die Frage muss sich jeder stellen und entsprechend in der Demokratie agieren. Letztendlich müssen auch Politike rin die Pflicht genommen werden, hier rational zu agieren und vor allem zu informieren. Genauso gehört aber auch ein Bürger dazu, der zuhört und rational abwägt.

Populismus heißt ja nicht deswegen so weil er nicht funktioniert.
 

Luzifix

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Ja, ich denke auch, wenn die Verbreitung von DSL in überregionalen Stromnetzen möglich ist, dann kann man damit auch hochintelligente Steuerungen für die Lastverteilung realisieren. Bis an jeden einzelnen privaten Zähler. Aber ob das dem Bedürfnis nach Lebensqualität schmeckt, bleibt abzuwarten.

Was ich heute so vom "Ethikrat" gehört habe, macht mich skeptisch, da wird man wahrscheinlich versuchen, alle Probleme auf dieser Welt irgendwie mit der deutschen KKW-Frage zu verbinden. Damit der deutsche Ausstieg aus der Kernenergie nicht versehentlich dazu führt, daß auf Sumatra eine Gattung seltene Kokosmäuse ausstirbt. ;)
 

hardy

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Sind wir bereit, die Kernenergie auch dann zu bejahen, wenn wir z.B. alle 25 Jahre einen Super-GAU verkraften müssen?

Die Störfälle von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima haben gezeigt, dass die theoretischen Abschätzungen für die Häufigkeit eines Kernschmelzunfalls nicht fiktiv sind. Allerdings muss nicht jeder Kernschmelzunfall in einem Super-GAU (unzulässig hohe Freisetzung von Radioaktivität in die KKW-Umgebung) enden, siehe Harrisburg.

Die Häufigkeit eines Kernschmelzunfalls liegt heutzutage zwischen 10^-4 und 10^-5 pro Reaktor und pro Betriebsjahr.
Unterstellt man den schlechteren Wert (10^-4), so ergeben sich bei weltweit 440 KKW-Reaktoren 0,044 Unfälle pro Betriebsjahr. Das heisst, dass im Durchschnitt alle 23 Jahre (1/0,044) ein solcher Unfall passieren würde.

Wenn alte Reaktoren konsequent durch neue ersetzt und die Kontrollen international streng, einheitlich und für alle transparent geregelt werden, wird es möglich, dass Fukushima der letzte (grosse) solche Unfall war.

Grundsätzlich ist das der richtige Weg, Bynaus.

Die IAEA fordert für neue KKW-Reaktoren eine Kernschmelzhäufigkeit von weniger als 10^-5 pro Reaktor und pro Betriebsjahr. Würde man die 440 'alten' KKW (mit unterstellten 10^-4) durch solche neuen ersetzen, dann würde (s. oben) im Durchschnitt nur alle 230 Jahre ein Kernschmelzunfall passieren.

Allerdings werden diese neuen KKW erheblich teurer sein als die alten.
 

Luzifix

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Bynaus

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Bei einem Ausbau der Kernenergie (um die Kohle abzulösen und die Zeit bis zur Übernahme durch Kernfusion oder Solarenergie zu überbrücken) gäbe es natürlich während einiger Jahrzehnte nochmals viel mehr AKW, allerdings mit einer jeweils geringeren Gefahr eines Unfalls.

Was mir aber auch ganz wichtig scheint: Die Wahrscheinlichkeit einer Kernschmelze allein muss ja nicht heissen, dass auch Radioaktivität in die Umwelt austritt. Harrisburg / Three Mile Island ist ja gerade ein relativ gutes (nicht perfektes) Beispiel dafür, dass solche Unfälle auch sehr stark begrenzt werden können. Man muss vielleicht den Reaktor oder das Kraftwerk aufgeben, aber man muss niemanden evakuieren. Ähnlich lief das bei Lucens: Das kennt wohl kaum jemand, obwohl es einer der weltweit schwersten Unfälle mit Kernreaktoren überhaupt war. In den frühen 60er Jahren wollte die Schweiz eigene Reaktoren entwickeln. Ein Experimentalreaktor, der bei Lausanne im Berg eingegraben war, schmolz durch: das Problem wurde gelöst, in dem der Zugangsstollen versiegelt wurde (das Vergraben von KKW ist ein Weg, der leider nur selten diskutiert wird, obwohl er viele Vorteile hätte - bloss wäre es teuer).

Und selbst, wenn alle 25 Jahre bei jeder Kernschmelze ein Gebiet evakuiert werden müsste: verglichen mit den Gebieten, die wir dereinst werden evakuieren müssen, wenn die Auswirkungen der Klimaerwärmung sich voll auf den Meeresspiegel auswirken, ist das nichts. Sicher, ich fände es überhaupt nicht toll, wenn ich die Schweiz wegen eines SuperGAUs hier verlassen würde. Aber auf globaler Ebene betrachtet - und genau diese Perspektive müssen wir einnehmen, wenn wir die globalen Probleme lösen wollen - ist es vertretbar.
 

UMa

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Hallo Schmidts Katze, hallo Alex

Hallo Alex,
Kannst du einen Fall in den letzten 25 Jahren nennen, in dem ein Schaden im Bereich von Billionen € eingetreten ist?

Gesamtschäden:

Irak Krieg: 3 Billionen $
Quelle: Wikipedia
http://en.wikipedia.org/wiki/Iraq_War#Criticism_and_cost

Finanzkrise: viele Billionen $
Quelle: Wikipedia
http://en.wikipedia.org/wiki/Financial_crisis_of_2007–2010

Zusammenbruch der Sowjetunion, viele (10-15?) Billionen $
Quelle: Wikipedia, geschätzt aus Graphik des GDP
http://en.wikipedia.org/wiki/Economy_of_the_Soviet_Union#1970-1990


Jährliche Schäden:

Verzögerung der Verringerung von Treibhausgasemmisionen um ein Jahr: mehr als 1 Billion $
Quelle: IEA World Energy Outlook 2010
http://www.worldenergyoutlook.org/

Ölpreisanstieg: ca. 1 Billion $ Verlust für Ölimporteure pro Jahr
Quelle: Überschlagsrechnung aus Ölpreis und Ölnettoexport

Grüße

UMa
 
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Monod

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@ Bynaus:

Niemand sollte sich diesbezüglich irgendwelchen Illusionen hingeben: so lange die Technische Entwicklung weitergeht, so lange es Drittweltländer gibt, die den Anschluss an die erste Welt suchen, so lange die Bevölkerung weiter wächst, wird auch der Energieverbrauch weiter wachsen.

Dem stimme ich in vollem Maße zu, aber die Frage ist dann, wie lange das noch weitergehen kann. Wie man aus dieser Studie entnehmen kann, deuten die meisten Indizes auf Kollaps binnen 50 Jahren hin. Der massive Ausbau von Kernenergie kann vielleicht das Tempo etwas drosseln, aber der Aufwand, der zur Entwicklung und zum Bau modernerer Reaktoren betrieben werden muss, trägt seinerseits zum Ressourcenverbrauch bei, so dass der Gesamtdynamik, die uns in den Kollaps führt, noch eine Spitze drauf gesetzt wird.

Ich habe hier zwar keine Patentlösung parat, aber wenn der ohnehin ablaufenden Dynamik, die sich derzeit unkontrolliert vollzieht, etwas Substanzielles entgegengesetzt werden soll, das diese Dynamik lenkbar und damit letztlich beherrschbar werden lässt, dann kann das nur darauf hinauslaufen, den Energiebedarf global gesehen zurückzufahren, die Bevölkerungszahl zu senken und den Lebensstandard der ersten Welt so weit herunterzuschrauben, dass die zweite und dritte Welt eine Chance hat, einen ökologisch verträglichen Anschluss zu finden.

Inwiefern diese Notwendigkeit eine Chance hat, politisch umgesetzt zu werden, lässt sich schwer beurteilen. Gemessen an den Beharrungskräften der Conditio humana, die uns zu immer mehr Wohlstand treiben, so lange er verfügbar ist, steht es schlecht um unsere Zukunft als Hochtechnologiezivilisation. Zwar ist der Spruch: "Wo die Gefahr wächst, da wächst das Rettende auch." ein beliebtes Bonmot, aber wenn die Gefahr groß genug geworden ist, dass ernsthaft und energisch eine Rettungspolitik angegangen wird, kann es inzwischen bereits zu spät geworden sein.

Monod
 
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Luzifix

Registriertes Mitglied
... wenn die Gefahr groß genug geworden ist, dass ernsthaft und energisch eine Rettungspolitik angegangen wird, kann es inzwischen bereits zu spät geworden sein.

Solange es Religionen gibt, welche den Kinderreichtum als Segen propagieren, und Gläubige, die ihrem Gott danken, wenn sie von Rettern unter großer Gefahr aus den Trümmern der Katastrophen gezogen werden - so lange wird man mit reinen Vernunftlösungen nicht weit kommen. Man sieht es doch derzeit in Libyen und Syrien, wie sich die Überbevölkerungsprobleme quasi von selbst lösen. Je länger der Frieden andauert und je mehr Wohlstand möglich ist, je lockerer sitzen die Colts. Ich wundere mich jeden Tag, wie leicht, fast spielerisch sich die Nato in so eine Situation hinein hat manövrieren lassen. Der Dritte Weltkrieg ist nicht unmöglich!
 

Bynaus

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@Monod: Vielen Dank für den Verweis auf die Studie - klingt hochinteressant (muss sie mir noch durchlesen). Ich denke allerdings nicht, dass der Ausbau der Kernenergie die angesprochenen zerstörerischen Prozesse nochmals beschleunigen kann, auf jeden Fall nicht deutlich. Dafür ist ihr Anteil am Ressourcenverbrauch insgesamt viel zu klein.

Ich habe hier zwar keine Patentlösung parat, aber wenn der ohnehin ablaufenden Dynamik, die sich derzeit unkontrolliert vollzieht, etwas Substanzielles entgegengesetzt werden soll, das diese Dynamik lenkbar und damit letztlich beherrschbar werden lässt, dann kann das nur darauf hinauslaufen, den Energiebedarf global gesehen zurückzufahren, die Bevölkerungszahl zu senken und den Lebensstandard der ersten Welt so weit herunterzuschrauben, dass die zweite und dritte Welt eine Chance hat, einen ökologisch verträglichen Anschluss zu finden.

Das würde natürlich helfen, ist aber politich-gesellschaftlich nicht durchsetzbar - und damit muss man sich abfinden. Es muss also noch einen anderen Weg geben, und das ist das, was ich als "Flucht nach Vorn" bezeichnen würde: Wir müssen mit neuen Technologien dafür sorgen, dass die Auswirkungen des Menschen auf seine natürliche Umwelt verringert werden. Wir müssen einfach weniger "CO2-Intensiv", weniger "Bodenqualitäts-intensiv" etc. werden. Der Natur ist es völlig egal, wieviel Energie der Mensch im täglichen Leben verbraucht: Für sie spielt nur eine Rolle, wie diese Energie produziert wird, ob dabei CO2 entsteht, und anderes. Kernenergie ist in dieser Sichtweise eine der sanftesten, saubersten Energiequellen überhaupt: es werden grosse nutzbare Energiemengen aus geringsten Materialmengen hergestellt (eigentlich: umgewandelt), und die Erzeugungsprodukte (Wärme, Strom, Abfälle) sind selbst ebenfalls von geringer Auswirkung auf die Umwelt.

Wenn die Menschen weiterhin in die Städte strömen wie bisher, wenn wir dereinst unsere Nahrungsmittel und den Strom dafür in Städten produzieren, werden wir eines Tages grosse Teile der Erdoberfläche wieder der Natur überlassen können, so dass sie sich wieder erholen kann. Das mag heute noch zweifellos eine Utopie sein, aber eine, die sich nicht durch Einsparen, Verzichten, Aufgeben auszeichnet, sondern allein durch Technologieentwicklung und die Fortsetzung bestehenden Trends.

PS: Überbevölkerung ist längst kein langfristiges Problem mehr. Der Zuwachs der Bevölkerung sinkt nun seit Jahrzehnten, dh, das Wachstum wird immer langsamer - bis 2050 wird es sich umkehren. Grössere Probleme wird es jedoch dort geben, wo das Bevölkerungswachstum zu schnell abgewürgt wurde (etwa: China), weil eine überalterte Bevölkerung die "Gesellschaftsverträge" unter hohen Druck setzen wird. Mehr Menschen bedeutet immer auch mehr Ideen, mehr Potential, mehr Technologie: solange es gelingt, die "Intensitivität" jedes einzelnen Menschen auf die Natur zu verringern (wie oben erwähnt) sind mehr Menschen weniger ein Problem, vielmehr eine Chance.
 

Monod

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@ Bynaus:

Ob die "Flucht nach Vorn" nicht eher ein "Schuss nach Hinten" ist, der die Fallhöhe des Absturzes eher vergrößert als verringert, wäre noch zu hinterfragen. Hier äußert sich Dennis Meadows sehr skeptisch dazu - und wie ich finde, recht überzeugend.

Monod
 
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