Aber es gibt noch einen dritten Punkt, den ich äußerst beunruhigend finde...
Hallo!
Alex74, das ist eine prima Ausgangsposition, um sich - ich schätze mal - die nächsten 50 Jahre damit zu beschäftigen.
ist man selbst also das überirdische Wesen, das durch sein Bewußtsein erst das Universum (bzw. hierin seine geeignete Umgebung) erzeugt und schließlich nur noch in das passende neuronale Netz schlüpft?
Das Leben ist eine Schachtel voller zusammengewürfelter und notdürftig sortierter Software, die ständig mit Hilfe ihrer Sinnesorgane die Umgebung reflektiert. Jeder Eindruck, der von außen kommt, wird versuchsweise als Input in diese chaotische Softwaresammlung hineingegeben, um zu erfahren, ob etwas für die Schachtel Nützliches dabei herauskommt. Wenn das Milliarden von Schachtel-Individuen tun, die sozial in einem Zusammenhang stehen, dann optimieren sich diese Softwaresammlungen individuell und erreichen ebenso eine große Vielfalt. Und wenn das über Millonen von Jahren so vor sich geht, dann fangen irgendwann Individuen an, sich selbst gedanklich zu reflektieren und den Unterschied zwischen Subjekt und Objekt zu erkennen, sich also ihrer selbst bewußt zu sein. Ein Stück vorher liegt vielleicht der Punkt, wo sie den Unterschied zwischen Tod und Leben erkennen, davor ein Stadium, wo man Freund und Feind auseinander zu halten gelernt hat usw.
Wenn es so etwas wie eine unsterbliche Seele gäbe, müßte man sich fragen, wo sie sich aufhält, ob sie an irgend einer Materie klebt, oder ob sie im Raum hinter der Erde zurückbleibt oder allen Raum zugleich ausfüllt, ob sie sich darin ausbreitet wie das Licht und die Gravitation usw. Und ob sie einen Kollaps des Universums überstehen würde. Entscheidend ist dabei: Solange die Schachtel oben nicht über sich selbst reflektiert, macht die Annahme einer Seele keinen Sinn. Einen Sinn macht Unsterblichkeit nur, wenn man sie in der Kultur und im Bewußtsein der nachfolgenden Generationen vermutet, wie das hier schon jemand angedeutet hat. Das hat aber mit dem religiösen Seele-Begriff, wie er gemeinhin verwendet wird, wenig zu tun, vielleicht gar nichts. Es hat etwas mit dem Eigenleben von Theorien, Ideologien und Technologien zu tun, die (laut Popper) in einer eigenen, vom biologisch materiellen Sein abgetrennten Welt stattfinden. Der religiös verwurzelte Seele-Begriff verlangt ja, daß die individuelle Seele dem Individuum biografisch und intellektuell verhaftet bleibt, auch in der Unsterblichkeit. Genau das aber ist bei Softwaren, Theorien, Ideologien und Technologien nicht der Fall. Diese sind nach ihrer Abtrennung von Individuum völlig eigenständige und unabhängige Entitäten, die einen eigenen Existenzkampf führen, sich durchsetzen, sich verallgemeinern oder zugrunde gehen.
Der religiöse Begriff von Seele, wie er besonders in den christlichen Religionen gebraucht wird, bekommt in diesen dadurch ihren Sinn, daß man ihn benutzt, um die Gläubigen mit dem Leiden nach dem Tode zu erpressen. Vor einem fiktiven Paradies, das es in fast allen Religionen in irgend einer Spielart gibt, muß man sich nicht fürchten, vor dem natürlichen Tod nach einem erfüllten Leben auch nicht. Es bedurfte schon der Androhung ewiger Höllenqualen, um der Existenz von Seelen einen nützlichen Gehalt zu verleihen. Nutzbringend in diesem Fall nicht für die so Eingeschüchterten. Aber das kennen wir ja, jeder aus seinem eigenen Leben.