Um auf die Eingangsfrage zu antworten:
Ja, ich glaube, wir brauchen die Kernenergie, bis wir eine andere Möglichkeit gefunden haben, Energie zu erzeugen.
Die derzeitige Menge Menschen kann nicht auf Steinzeitniveau überleben. Wir benötigen elektrischen Strom (Betrieb von Zügen, Umladeeinrichtungen) für die Transportkapazitäten für Güter (Lebensmittel, Wasser, Rohstoffe, Fertigprodukte) und Menschen, wir brauchen sehr große Mengen an Strom für Industriekomplexe, für Aufbereitung, Transport und Verteilung von Wasser, für Logistik, für Forschungseinrichtungen aller Art, für unser tägliches Leben.
Aber ich halte es für falsch, die Stromerzeugung, ihre Verteilung und ihren Verkauf in Privathände zu geben. Das gehört aus meiner Sicht in staatliche Hände. Und der Staat hat dafür zu sorgen, daß die technisch machbaren Sicherheitsvorkehrungen auch komplett umgesetzt werden. Der tatsächliche Preis der Stromerzeugung (inklusive Sicherheitsvorkehrungen, Abfallbeseitigung und Endlagerung) soll dann an die Verbraucher weitergegeben werden.
Eine völlige Abkehr von der Energieerzeugung mit Atomkraftwerken unter dem Eindruck der derzeitigen Katastrophe in Japan halte ich für falsch. Ich würde einen Mix aus AKW (Grundlast), Kohlekraftwerken, Wasserkraftwerken, Gaskraftwerken (Biogas?), Blockkraftwerken sowie Solar- und Windenergie anstreben. Solange die alternativen Kraftwerke Strom liefern können, sollten die Gas- und eventuell sogar die Kohlekraftwerke im "Standby" betrieben werden.
Das ist nicht "wirtschaftlich" und bedeutet Überkapazität. Aber ich halte eine solche "Überkapazität" für notwendig.
Zusätzlich sollten die Stromnetze innerhalb von Europa die Überkapazitäten der einzelnen Länder besser dorthin transportieren können, wo sie gebraucht werden.
Ich weiß, das sind fromme Wünsche...
Soweit ich aus den Berichten zur aktuellen Lage in Fukoshima herausgelesen habe, war der Ablauf so:
- die Notabschaltung aller Reaktoren beim Erdbeben hat funktioniert
- vor dem Eintreffen des Tsunamis hat auch die Kühlung überall funktioniert
- die Kühlung über die Akkus hat innerhalb der Zeitspanne, für die sie konzipiert waren, funktioniert
bis hier haben also die Sicherheitsmaßnahmen gegriffen.
- der Tsunami hat die (oberirdische?) Infrastruktur (Dieselgeneratoren, Anschlüsse, Treibstofflager?) zur Kühlung beschädigt, da diese dem Wüten des Wassers und des Treibguts ungeschützt ausgesetzt war
Und als die Akkus leer waren, gingen die Probleme los:
- Erdbeben + Tsunami haben bestehende Überlandleitungen zerstört, so daß kein externer Strom für den Betrieb der Kühlkreisläufe zur Verfügung stand
- schweres Gerät zur externen Stromerzeugung auf dem Gelände des Kraftwerks konnte durch die massiven Zerstörungen nicht "normal" über Land herbeigeschafft werden
- zusätzliches Personal für Wartung/Reparatur konnte nicht schnell genug auf normalem Weg zum Kraftwerkskomplex geschafft werden (zerstörte Straßen, Brücken, verletztes oder vermißtes Personal)
- durch die hohen Temperaturen kurz nach dem Abschalten und sinkender Kühlleistung stieg der Druck - es mußte "abgeblasen" werden, wodurch angeblich "leichte" Radioaktivität frei wurde
- nachdem durch mangelhafte/fehlende Kühlung sowol in den Abklingbecken (als auch den Reaktoren selber?) die Hitzeentwicklung anstieg, bildete sich Wasserstoffgas
- dieses bildete mit dem Sauerstoff der Luft Knallgas und explodierte, wobei die Gebäude, die Reaktoren und auch das Personal in Mitleidenschaft gezogen wurde und es kam zum weiteren Austreten von radioaktiven Stoffen.
So furchtbar die Ereignisse für das japanische Volk sind, zeigen sie auch klar, wo derzeit die Sicherheitsvorkehrungen weltweit verbessert werden müssen!
Einige (oder alle?) der Folgeexplosionen hätten aus meiner Sicht vermieden werden können, wenn
- Notstromgeneratoren innerhalb der durch das Beben nicht beschädigten Gebäuden die Notkühlung länger mit Energie versorgen hätten können
- die Batterien die Notkühlung länger aufrecht erhalten hätten können
- in den Abklingbecken weniger Brennstäbe zwischengelagert gewesen wären
- die Abklingbecken nicht im selben Gebäude wie die Reaktoren untergebracht worden wären
- in weiteren erdbebensicheren Gebäuden genügend Kühlwasser oberhalb vom Niveau der Abklingbecken und Reaktoren gespeichert gewesen wäre und bei einem Notfall schlicht über die Schwerkraft dorthin hätte gelangen können, wo es gebraucht wurde oder in einem weiteren Stockwerk oberhalb von Reaktor und Abklingbecken ein großer Tank mit Kühlwasser vorhanden gewesen wäre
Soweit ich das verstanden habe, war die fehlende Kühlung nach dem Abschalten schlußendlich für das teilweise oder völlige Schmelzen der Brennstäbe verantwortlich und hat zum GAU geführt.
Um die Kühlung auch im Notfall wirklich sicherzustellen, wäre keine "Supertechnik" notwendig gewesen. Alle diese Punkte hätte man mit "normaler" Ingenieursleistung und ein paar Bauarbeitern beim Bau und auch noch nachträglich während des normalen Betriebs über Jahrzehnte nachbessern können. Aber das hätte natürlich etwas Geld gekostet...
Falls ich das Szenario falsch verstanden habe, bitte ich um Korrektur.
Ich bin absolut kein Experte in Sachen Reaktorbau, aber ich halte es durchaus für denkbar, daß bei uns in Deutschland, in Europa oder anderen Ländern ebenfalls AKW´s durch Erdbeben eine "Notabschaltung" erleben. Wenn dann noch gleichzeitig Überlandleitungen durch Schnee- und Eislast, Sturmtiefs oder das Beben selber ausfallen, stehen auch unsere vermeintlich "sicheren" AKW´s vor Kühlungsproblemen!
Ich traue da den Beschwichtigungen der AKW Betreibern und unseren Politikern nicht über den Weg. Erstere wollen schlicht so viel Geld wie möglich verdienen und letztere wieder gewählt werden...
Weiß jemand, wie lange die (hoffentlich vorhandenen?) Notstromgeneratoren zum Betrieb der Kühlung in D laufen können müssen? Gibt es da z.B. Vorschriften über die Menge an Treibstoff, der definitiv vorrätig sein muß?
Sissy