Warum die weithin geläufige "Erklärung" der Hawkingstrahlung falsch ist

TomS

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Hallo Tom,

ich habe mir gestern die Arbeit aus dem Jahr 1976 angesehen. Die beiden Autoren berechnen dort den verallgemeinerten Propagator für skalare Teilchen und nutzen ihn für die Berechnung der Hawking-Strahlung. Da nun Propagatoren das Verhalten von virtuellen Teilchen beschreiben ist die anschauliche Interpretation mit Hilfe von virtuellen Teilchen meiner Meinung nach nicht ganz verkehrt.

MfG
das Paper ist stärkerer Tobak ;-)

die größte Leistung - und die größte Problematik beim Nachvollziehen der Argumentation - ist, die analytischen Eigenschaften des Pfadintegrals und der abgeleiteten Größen zu verstehen

zur Interpretation: H&H verwenden den quantenmechanischen Propagator eines freien relativistischen Teilchens; sie betreiben also letztlich wieder quantenmechanische Streutheorie; sie verwenden an keiner Stelle Quantenfeldtheorie, sie verwenden nie den Propagator eines (wechselwirkenden) Klein-Gordon-Feldes, ...; d.h. in diesem Artikel kommt wiederum nichts vor, was irgendwie mit einem "virtuellen Teilchen" zu tun hätte

meinst du, ich soll dazu etwas in der Wikipedia schreiben?
 

Bernhard

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sie verwenden nie den Propagator eines (wechselwirkenden) Klein-Gordon-Feldes
Da zeigt Abschnitt III, aber etwas anderes. K(x,x') ist doch genau der Propagator eines Klein-Gordon-Feldes in einer gekrümmten Raumzeit, siehe Gleichung (3.1). Die Frage ist eher, wie dann die Teilchenerzeugung und -vernichtung beschrieben wird, siehe Abschnitt IV. Ich muss mir das auch erst mal ansehen, aber die Teilchen, welche die beiden Autoren weiter oben immer wieder erwähnen sind natürlich die skalaren Teilchen, die auch schon in der 1975er Arbeit verwendet wurden.

meinst du, ich soll dazu etwas in der Wikipedia schreiben?
Das überlasse ich deinem "Gusto" :) .
MfG
 
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TomS

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Da zeigt Abschnitt III, aber etwas anderes. K(x,x') ist doch genau der Propagator eines Klein-Gordon-Feldes in einer gekrümmten Raumzeit, siehe Gleichung (3.1). Die Frage ist eher, wie dann die Teilchenerzeugung und -vernichtung beschrieben wird, siehe Abschnitt IV. Ich muss mir das auch erst mal ansehen, aber die Teilchen, welche die beiden Autoren weiter oben immer wieder erwähnen sind natürlich die skalaren Teilchen, die auch schon in der 1975er Arbeit verwendet wurden.
MfG
Sorry, das war sehr unglücklich formuliert.

Was ich sagen wollte war folgendes: sie verwenden den Propgator immer nur als Lösung der Wellenfunktion, also "gegeben sei ein Teilchen|x,t>, berechne die Amplitude von |x',t'>"; das liefert in der Tat den Propagator K(x',t',x,t) = <x',t'|x,t>. Das ist aber einfach eine Lösung der Klein-Gordon-Gleichung als relativistische Wellengleichung.

Sie verwenden den Propagator nie als Feynmanpropagator im Kontext der Schwinger-Dyson-Reihe für ein Quantenfeld phi. D.h. die Argumentation läuft wieder über die quantenmechanische Streuung einer Wellenfunktion bzw. eines Propagators K, nicht über die Schwinger-Dyson-Reihe bzw. Feynmandiagramme eines Quantenfeldes.

Alternativ kann man sagen, dass sie im Formalismus der ersten Quantisierung arbeiten, nicht im Kontext der zweiten Quantisierung.
 

Bernhard

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Alternativ kann man sagen, dass sie im Formalismus der ersten Quantisierung arbeiten, nicht im Kontext der zweiten Quantisierung.
Was die Abschnitte 1-3 angeht würde ich zustimmen. Dort wird nur mit dem freien Propagator argumentiert und das reicht ja auch völlig aus, weil die Gravitation nicht als Wechselwirkung mit dem skalaren Klein-Gordon-Feld angesehen wird, sondern als reine Geometrie, die den Propagator sozusagen nur etwas verzerrt. Eine Störungsreihe braucht man dabei nicht, weil man hier beliebige und damit auch globale Pfade berechnen will.

EDIT: Es stellt sich noch die Frage, was dabei herauskommt, wenn man mit dem angegebenen Propagator die 1-Loop-Korrektur, also die Vakuumpolarisation, berechnet. Ich sehe momentan keinen Hinderungsgrund hier die bekannte Störungsreihe zu verallgemeinern, außer dass die zugehörige Mathematik (wegen des komplizierteren Propagators) ganz schön unübersichtlich wird.
 
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TomS

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EDIT: Es stellt sich noch die Frage, was dabei herauskommt, wenn man mit dem angegebenen Propagator die 1-Loop-Korrektur, also die Vakuumpolarisation, berechnet. Ich sehe momentan keinen Hinderungsgrund hier die bekannte Störungsreihe zu verallgemeinern, außer dass die zugehörige Mathematik (wegen des komplizierteren Propagators) ganz schön unübersichtlich wird.
Dazu müsste man aber erst einen WW-Term des Skalarfeldes in die Lagrangedichte einbauen. Außerdem ist mir unklar, ob man die dann auftretenden Terme explizit berechnen kann; insbs. in der Nähe des EH, wo man entsprechend große Korrekturen erwartet, ist der Propagator selbst ja gar nicht explizit bekannt
 

Bernhard

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Es gibt keine Formel, in der der Propagator explizit berechnet wird, oder?
Doch schon. Im Paper wird sogar die klassische Wirkung des Teilchens hingeschrieben (unter dem Integral steht da das bekannte ds = g(v,v)dt) über die man den Propagator dann ausrechnet. Ich muss allerdings gestehen, dass ich diesen Weg auch erst seit kurzer Zeit kenne :) . Wie das für die nichtrelativistischen Propagatoren prinzipiell gemacht wird, findet man sehr gut erklärt in dem wenig zitierten Werk vom Meister selbst: "Quantim Mechanics and Path Integrals" von R.P.Feynman und A. Hibbs, falls es nicht bekannt sein sollte. Das Buch ist mMn eine exzellente Einführung in die Methode der Pfadintegrale, nicht zu vergleichen mit den undurchschaubaren und verwirrenden Beschreibungen von W. Greiner.
MfG
 

TomS

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Doch schon. Im Paper wird sogar die klassische Wirkung des Teilchens hingeschrieben (unter dem Integral steht da das bekannte ds = g(v,v)dt) über die man den Propagator dann ausrechnet. Ich muss allerdings gestehen, dass ich diesen Weg auch erst seit kurzer Zeit kenne :) . Wie das für die nichtrelativistischen Propagatoren prinzipiell gemacht wird, findet man sehr gut erklärt in dem wenig zitierten Werk vom Meister selbst: "Quantim Mechanics and Path Integrals" von R.P.Feynman und A. Hibbs ...
Aber diese Darstellung ist zunächst ebenfalls rein formal. Diese Wirkung steht in einem Pfadintegral. Ich kann nicht erkennen, dass H&H dieses Pfadintegral explizit lösen.
 

Bernhard

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Hallo Tom,

wenn man sich den Artikel zum Thema aus der Scholarpedia ansieht fällt der folgende Satz auf:
Scholarpedia schrieb:
When considering the propagation of light in the static spacetime obtained after the collapse, one finds that outgoing wave packets initially localized very near the horizon split into two waves: one with positive frequency that escapes and a partner wave ϕ−ω of negative frequency which is trapped inside the horizon

Ich wollte das nicht unerwähnt lassen, weil danach ja auch auf der Seite von John Baez gefragt wurde.

Daran schließt sich die Frage an, inwieweit die Hawking-Temperatur ortsabhängig ist. Denn wenn die meisten Photonen nur knapp neben dem Horizont entstehen erhalten diese eine entsprechende Rotverschiebung für entfernte Beobachter.
 

Bernhard

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aber die Frage ist gut, ich hab' noch nie über eine Koordinatendarstellung von I+ und I- nachgedacht
Ich habe heute festgestellt, dass der "Wald" (Robert M. Wald, "Gravitation", 1984) hier weiterhilft. Auf Seite 273 findet man fast am Ende der Seite:

Wald schrieb:
while all null geodesics begin at I- and end at I+
Ferner werden im Buch auch die von Hawking salopp als Penrose-Diagramm bezeichneten Diagramme erklärt. Es handelt sich dabei eher um eine Beschreibung der Schwarzschild-Metrik in Kruskal-S.-Koordinaten, gekoppelt mit einer konformen Transformation, was ebenfalls im Buch näher beschrieben wird.
 

TomS

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Daran schließt sich die Frage an, inwieweit die Hawking-Temperatur ortsabhängig ist. Denn wenn die meisten Photonen nur knapp neben dem Horizont entstehen erhalten diese eine entsprechende Rotverschiebung für entfernte Beobachter.
Ich würde nicht sagen, dass "die meisten Photonen knapp neben dem Horizont entstehen"; das folgt so nicht aus den Gleichungen.

Ja, man kann schon sagen, dass die Hawking-Temperatur ortsabhängig ist. Zum einen resultiert sicher eine Rotverschiebung; zum anderen löst Hawking die Gleichungen nur im asymptotischen Bereich.
 

Bernhard

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zum anderen löst Hawking die Gleichungen nur im asymptotischen Bereich.
Das steht in deutlichem Widerspruch zur Aussage in der Scholarpedia. Die betas der Bogoljubov-Transformation gibt es laut deren Aussage vorwiegend in der Nähe des Horizontes. Man sollte also vielleicht mal die Referenzen von dort lesen, allerdings reicht mir aktuell die Aussage der dortigen Autoren. Warum sollten die hier irgend etwas falsches erfinden?

EDIT: Ich habe mir gerade ein paper von Wald aus dem Jahr 1975 geladen: "On Particle Creation by Black Holes", Comm. Math. Phys. 45/1, 9-34. Dort wird schon mal darauf verwiesen, dass es bei I- eigentlich gar keinen Horizont gibt, weil es das SL dort noch gar nicht gibt. Auf S. 20 zerlegt Wald dann den Hilbertraum der asymptotischen Zustände in einen Teil, der im Außenraum nach I+ geht und einen Teil, der in das SL stürzt.
 
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TomS

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Das steht in deutlichem Widerspruch zur Aussage in der Scholarpedia. Die betas der Bogoljubov-Transformation gibt es laut deren Aussage vorwiegend in der Nähe des Horizontes. Man sollte also vielleicht mal die Referenzen von dort lesen, allerdings reicht mir aktuell die Aussage der dortigen Autoren. Warum sollten die hier irgend etwas falsches erfinden?
Nee, so meine ich das nicht.

Meine Kritik richtet sich gegen das Verb "entstehen". Da "entsteht" nichts; es gibt keine "Photonenquelle"; es gibt keinen Raumbereich mit einer "Lampe". Es gibt lediglich eine Art Streuprozess des einlaufenden Zustandes.

Richtig ist, dass der wesentliche Beitrag zur Streuung natürlich aus dem Bereich in der Nähe des Horizintes stammt. D.h. die Streuung (und die Koeffizienten der Bogoljubov-Trf.) werden von Beiträgen aus diesem Bereich dominiert.

Aber dennoch löst Hawking die Gleichungen nur im asymptotischen Bereich. Seine explizite Darstellung der Koeffizienten als Funktion der Frequenz gilt nur asymptotisch. D.h. dass die natürlich eine Hawkingstrahlung auch im nicht-asymptotischen Bereich folgt, nur wird sie in seiner Arbeit so nicht dargestellt.
 

Bernhard

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Aber dennoch löst Hawking die Gleichungen nur im asymptotischen Bereich. Seine explizite Darstellung der Koeffizienten als Funktion der Frequenz gilt nur asymptotisch. D.h. dass die natürlich eine Hawkingstrahlung auch im nicht-asymptotischen Bereich folgt, nur wird sie in seiner Arbeit so nicht dargestellt.
Am Anfang will man natürlich wissen, welche Strahlung einen Beobachter fern vom Horizont erreicht. Insofern ist es verständlich, dass man sich für die Zustände auf I+ interessiert, trotzdem finde ich beschreibt Hawkings anschauliche Erklärung mit Hilfe von virtuellen Teilchen das Geschehen schon relativ gut. Man sollte dabei nicht vergessen, dass diese anschauliche Erklärung erst etliche Jahre nach der Originalarbeit geschrieben wurde.
 

Bernhard

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Hallo Tom,

mich würde jetzt schon auch interessieren, wie man die "beta_ijs" berechnet. Hast Du da eventuell eine passende Arbeit, wo das explizit durchgeführt wird? Falls Du das rechnen kannst, wäre der Wikipedia-Artikel natürlich auch geeignet.
 

TomS

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Am Anfang will man natürlich wissen, welche Strahlung einen Beobachter fern vom Horizont erreicht. Insofern ist es verständlich, dass man sich für die Zustände auf I+ interessiert, ...
Hawking berechnet auch nur diese

... trotzdem finde ich beschreibt Hawkings anschauliche Erklärung mit Hilfe von virtuellen Teilchen das Geschehen schon relativ gut ...
Der Physiker versteht unter virtuellen Teilchen Artefakte der Störungstheorie ab erster Ordnung; Hawking verwendet freie Felder = nullte Ordnung. Dass er den Begriff "virtuelle Teilchen" einführt ist also falsch - zumindest, wenn er sich ab dem üblichen Sprachgebrauch orientiert.

Man sollte dabei nicht vergessen, dass diese anschauliche Erklärung erst etliche Jahre nach der Originalarbeit geschrieben wurde.
Bereits die Orginalarbeit enthält einen kurzen Absatz mit derartigen Ausführungen, die er aber gleich wieder deutlich relativiert. In seinen populärwissenschaftlichen Büchern relativiert er (leider) gar nichts mehr.



mich würde jetzt schon auch interessieren, wie man die "beta_ijs" berechnet. Hast Du da eventuell eine passende Arbeit, wo das explizit durchgeführt wird?
Ich kenne nur seine Orginalarbeit. Und ich hatte mal folgenden längeren Artikel dazu gelesen ... http://arxiv.org/abs/0710.4345v1
 
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