Dieser Thread beruht eigentlich auf einer falschen Ausdrucksweise von mir. Auf die Frage nach einer Singularität in Kugelschalenform schrieb ich:
Ich bitte zu vermerken, dass ich da manchmal an den Grenzen meines Wissens labern werden, und das Thema in den Lehrbüchern kaum behandelt wird. Also: Benutzung auf eigene Gefahr. (Ich glaube aber doch, die wesentlichen Punkte richtig zu haben.)
Fangen wir im Standardbild der Kosmologie an, in mitbewegten Koordinaten. Dort ist der Fall so, dass zu jeder kosmologischen Zeit t jedem mitbewegten Punkt (z.b. einem Galaxienhaufen) eine konstante Ortsvariable zugeordnet wird. Alle Ereignisse mit t=0, aber unterschiedlichsten Ortsvariablen, liegen auf der Singularität. Ein passendes Bild kann bei Davis und Lineweaver gefunden werden, das zweite Diagramm mit der "comoving distance" als Längenmaß. Dort ist der Urknall die Linie t=0.
Alle diese Ereignisse passieren gleichzeitig, sind also voneinander "raumartig" entfernt und können einander nicht beeinflussen. Der Urknall ist also eine raumartige Hyperfläche. Das ist die Ursache des Horizontproblems: wenn all diese Ereignisse nichts voneinander wissen können, wieso haben sie dann alle ziemlich exakt dieselbe Temperatur?
Im Standardbild der Populärwissenschaft sieht es etwas anders aus. Man verwendet dort entsprechend skalierte Koordinaten, im Englischen als "(cosmological) proper distance" bezeichnet, die den "wahren" Abstand der Dinge zueinander darstellen sollen. Das entsprechende Bild gibt's wieder bei Davis und Lineweaver. Da am Urknall die Ausdehnung gleich Null war, reden wir hier von einem Punkt, keiner Fläche - zumindest für endliche Universen. Bei unendlichen Universen können Dinge heute auch unendlich weit entfernt sein, multipliziert mit Nullausdehnung damals waren sie also... irgendwo. Egal, jedenfalls ist das der Ursprung der Vorstellung vom Big Bang als Punkt, der explodiert.
Ein weiteres Bild wird in der Kosmologie selten verwendet, sonst aber überall: Normalkoordinaten. Hier verwendet man im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Bildern nicht die "kosmologische Zeit" (also verstrichene Eigenzeit der mitbewegten Beobachter seit dem Urknall), sondern eher die Zeitdefinition, die Einstein für die spezielle RT einführte: je zwei benachbarte zueinander ruhende Punkte betrachten die Ereignisse als gleichzeitig, deren Licht sie nach t=Abstand/Lichtgeschwindigkeit sehen. Das ist subtil anders als die kosmologische Zeit, wo man ja zueinander bewegte Punkte als Definitionsgrundlage nimmt.
Der Unterschied ist - am Beispiel eines masselosen Universums, in dem wegen fehlender Raumzeitkrümmung ein direkter Vergleich mit SRT-Koordinaten möglich ist - bei Ned Wright dargestellt. Das erste Diagramm ("plotted using the Dnow and t of the Hubble law") zeigt unseren Zweiten Fall: bei endlich vielen Linien ist der Urknall definitiv ein Punkt bei t=0, bei unendlich vielen Linien ist er die ganze Linie - oder auch nicht, egal.
Im zweiten Diagramm, der SRT-Koordinaten (die ein Spezialfall der von mir bemühten Normalkoordinaten sind), ist der Urknall ein Ereignis, ein Punkt bei t=0. Aber das ist nicht alles: das ganze Universum ist da ein nach oben offener Kegel, begrenzt von zwei diagonalen Linien. Das sind die Linien, an denen sich Galaxien mit Lichtgeschwindigkeit von diesem Urknallereignis fortbewegen würden. Zwischen diese Linien passt ein ganzes unendliches Universum - man erkennt, wie wegen der Längenkontraktion die Abstände der - eigentlich gleichverteilten - Punkte zueinander nach außen hin immer kleiner werden. Auf der Linie selbst sind die Abstände gleich Null, dort kommen also unendlich viele Galaxien auf eine Längeneinheit: Dort ist die Singularität. Das zeigt sich auch daran, dass auf dieser Linie wegen der Zeitdilatation auch keine Zeit vergeht, der Urknall also noch nicht vorbei ist. Diese Linien gehören also auch noch zum Urknall - hier ist er also "lichtartig", das sind ja Linien, die eigentlich nur Photonen zustehen.
Wie auch immer, in beiden Diagrammen sind horizontalen Linien welche, die "gleichzeitig" bedeuten. Wenn man im SRT-Bild entlang einer horizontalen Linie schaut, was so alles "jetzt" passiert, trifft man in ca. 13.8 Mrd Lichtjahren tatsächlich auf diese beiden Begrenzungslinien, den Urknall. Im masselosen Universum ereignet sich der Urknall in diesen Koordinaten also "jetzt" in einer Entfernung von 13.8 Mrd Lj, bildet mithin also die Oberfläche einer Kugel mit Radius 13,8 Mrg Lj.
Das ist die "Schalensingularität", die ich damals im Kopf hatte.
Wie es nun aber ist mit Singularitäten im Kopf, ich habe nicht auf "Details" geachtet: Ja, auch in handelsüblichen massebehafteten Universen passiert in diesen Koordinaten der Urknall genau "jetzt" in einer Entfernung von xx Lichtjahren (die Zahlen hängen auch von "Details" ab). Aber: in diesen Universen gilt die SRT nicht, weil wegen Masse die Raumzeit gekrümmt ist. Deswegen ist dieser Raum, der durch die Normalkoordinaten beschrieben wird, auch nicht wie in Ned Wright's Beispiel der übliche flache Mionkowskiraum der SRT, sondern positiv gekrümmt. Wie eine (allerdings dreidimensionale) Kugeloberfläche. Und der Urknall befindet sich zwar immer gleich weit entfernt, egal in welche Richtung man schaut. Bildet aber doch keine Kugelschale, sondern nur einen Punkt.
Zur Anschaulichkeit: Bei einer Dimension weniger wäre der positiv gekrümmte Raum die zweidimensionale Oberfläche einer Kugel wie der Erde. Wenn wir uns an den Nordpol setzen, dann wäre der Urknall in alle Richtungen zwar gleich weit entfernt - allerdings am Südpol. Bildet also doch keinen Kreis, sondern nur einen Punkt.
Ok, also keine "Schalensingularität". Aber doch eine, die wir in alle Richtungen uns umgeben sehen, überall im gleichen Abstand. Mit ein bisschen gutem Willen zählt das auch, imho. Abgesehen davon, dass eh keiner so weit gelesen hat.
Noch eine kleine Anmerkung: "Schalensingularität" würde man ins Englische wohl als"shell singularity" übersetzen. Dort ist tatsächlich der Begriff der "shell crossing singularity" ein Begriff (pun intended), der allerdings etwas anderes meint. Wen's interessier, der kann hier nachlesen oder unter LTB dust, das sind aber keine so richtig echten Singularitäten und hier auch nicht gemeint.
Hintergrund ist, wie der Urknall in verschiedenen Koordinatensystemen "aussieht". Da der Urknall selber eine Singularität ist und somit nicht zur "Mannigfaltigkeit" (dem eigentlichen Universum) gehört, reden wir hier von einem geeigneten Grenzwert: welche Form haben die Raumkoordinaten, die man Ereignissen beliebig nahe an der Singularität zuordnen würde.Beim kosmologischen EH gibt es keine Singularität, und die Masse ist (in geeigneten Koordinaten) homogen verteilt und nicht in einem Punkt konzentriert. Definitionen, die eine solche Singularität fordern, sind nicht mit den kosmologischen Modellen vereinbar. (Das heißt, da ließe sich noch was machen: in Normalkoordinaten ist die Urknallsingularität tatsächlich eine Kugeloberfläche. Aber das lassen wir jetzt besser.)
Ich bitte zu vermerken, dass ich da manchmal an den Grenzen meines Wissens labern werden, und das Thema in den Lehrbüchern kaum behandelt wird. Also: Benutzung auf eigene Gefahr. (Ich glaube aber doch, die wesentlichen Punkte richtig zu haben.)
Fangen wir im Standardbild der Kosmologie an, in mitbewegten Koordinaten. Dort ist der Fall so, dass zu jeder kosmologischen Zeit t jedem mitbewegten Punkt (z.b. einem Galaxienhaufen) eine konstante Ortsvariable zugeordnet wird. Alle Ereignisse mit t=0, aber unterschiedlichsten Ortsvariablen, liegen auf der Singularität. Ein passendes Bild kann bei Davis und Lineweaver gefunden werden, das zweite Diagramm mit der "comoving distance" als Längenmaß. Dort ist der Urknall die Linie t=0.
Alle diese Ereignisse passieren gleichzeitig, sind also voneinander "raumartig" entfernt und können einander nicht beeinflussen. Der Urknall ist also eine raumartige Hyperfläche. Das ist die Ursache des Horizontproblems: wenn all diese Ereignisse nichts voneinander wissen können, wieso haben sie dann alle ziemlich exakt dieselbe Temperatur?
Im Standardbild der Populärwissenschaft sieht es etwas anders aus. Man verwendet dort entsprechend skalierte Koordinaten, im Englischen als "(cosmological) proper distance" bezeichnet, die den "wahren" Abstand der Dinge zueinander darstellen sollen. Das entsprechende Bild gibt's wieder bei Davis und Lineweaver. Da am Urknall die Ausdehnung gleich Null war, reden wir hier von einem Punkt, keiner Fläche - zumindest für endliche Universen. Bei unendlichen Universen können Dinge heute auch unendlich weit entfernt sein, multipliziert mit Nullausdehnung damals waren sie also... irgendwo. Egal, jedenfalls ist das der Ursprung der Vorstellung vom Big Bang als Punkt, der explodiert.
Ein weiteres Bild wird in der Kosmologie selten verwendet, sonst aber überall: Normalkoordinaten. Hier verwendet man im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Bildern nicht die "kosmologische Zeit" (also verstrichene Eigenzeit der mitbewegten Beobachter seit dem Urknall), sondern eher die Zeitdefinition, die Einstein für die spezielle RT einführte: je zwei benachbarte zueinander ruhende Punkte betrachten die Ereignisse als gleichzeitig, deren Licht sie nach t=Abstand/Lichtgeschwindigkeit sehen. Das ist subtil anders als die kosmologische Zeit, wo man ja zueinander bewegte Punkte als Definitionsgrundlage nimmt.
Der Unterschied ist - am Beispiel eines masselosen Universums, in dem wegen fehlender Raumzeitkrümmung ein direkter Vergleich mit SRT-Koordinaten möglich ist - bei Ned Wright dargestellt. Das erste Diagramm ("plotted using the Dnow and t of the Hubble law") zeigt unseren Zweiten Fall: bei endlich vielen Linien ist der Urknall definitiv ein Punkt bei t=0, bei unendlich vielen Linien ist er die ganze Linie - oder auch nicht, egal.
Im zweiten Diagramm, der SRT-Koordinaten (die ein Spezialfall der von mir bemühten Normalkoordinaten sind), ist der Urknall ein Ereignis, ein Punkt bei t=0. Aber das ist nicht alles: das ganze Universum ist da ein nach oben offener Kegel, begrenzt von zwei diagonalen Linien. Das sind die Linien, an denen sich Galaxien mit Lichtgeschwindigkeit von diesem Urknallereignis fortbewegen würden. Zwischen diese Linien passt ein ganzes unendliches Universum - man erkennt, wie wegen der Längenkontraktion die Abstände der - eigentlich gleichverteilten - Punkte zueinander nach außen hin immer kleiner werden. Auf der Linie selbst sind die Abstände gleich Null, dort kommen also unendlich viele Galaxien auf eine Längeneinheit: Dort ist die Singularität. Das zeigt sich auch daran, dass auf dieser Linie wegen der Zeitdilatation auch keine Zeit vergeht, der Urknall also noch nicht vorbei ist. Diese Linien gehören also auch noch zum Urknall - hier ist er also "lichtartig", das sind ja Linien, die eigentlich nur Photonen zustehen.
Wie auch immer, in beiden Diagrammen sind horizontalen Linien welche, die "gleichzeitig" bedeuten. Wenn man im SRT-Bild entlang einer horizontalen Linie schaut, was so alles "jetzt" passiert, trifft man in ca. 13.8 Mrd Lichtjahren tatsächlich auf diese beiden Begrenzungslinien, den Urknall. Im masselosen Universum ereignet sich der Urknall in diesen Koordinaten also "jetzt" in einer Entfernung von 13.8 Mrd Lj, bildet mithin also die Oberfläche einer Kugel mit Radius 13,8 Mrg Lj.
Das ist die "Schalensingularität", die ich damals im Kopf hatte.
Wie es nun aber ist mit Singularitäten im Kopf, ich habe nicht auf "Details" geachtet: Ja, auch in handelsüblichen massebehafteten Universen passiert in diesen Koordinaten der Urknall genau "jetzt" in einer Entfernung von xx Lichtjahren (die Zahlen hängen auch von "Details" ab). Aber: in diesen Universen gilt die SRT nicht, weil wegen Masse die Raumzeit gekrümmt ist. Deswegen ist dieser Raum, der durch die Normalkoordinaten beschrieben wird, auch nicht wie in Ned Wright's Beispiel der übliche flache Mionkowskiraum der SRT, sondern positiv gekrümmt. Wie eine (allerdings dreidimensionale) Kugeloberfläche. Und der Urknall befindet sich zwar immer gleich weit entfernt, egal in welche Richtung man schaut. Bildet aber doch keine Kugelschale, sondern nur einen Punkt.
Zur Anschaulichkeit: Bei einer Dimension weniger wäre der positiv gekrümmte Raum die zweidimensionale Oberfläche einer Kugel wie der Erde. Wenn wir uns an den Nordpol setzen, dann wäre der Urknall in alle Richtungen zwar gleich weit entfernt - allerdings am Südpol. Bildet also doch keinen Kreis, sondern nur einen Punkt.
Ok, also keine "Schalensingularität". Aber doch eine, die wir in alle Richtungen uns umgeben sehen, überall im gleichen Abstand. Mit ein bisschen gutem Willen zählt das auch, imho. Abgesehen davon, dass eh keiner so weit gelesen hat.
Noch eine kleine Anmerkung: "Schalensingularität" würde man ins Englische wohl als"shell singularity" übersetzen. Dort ist tatsächlich der Begriff der "shell crossing singularity" ein Begriff (pun intended), der allerdings etwas anderes meint. Wen's interessier, der kann hier nachlesen oder unter LTB dust, das sind aber keine so richtig echten Singularitäten und hier auch nicht gemeint.