Irgendwo sollte man vielleicht diesen Thread teilen und den "Wirtschaftsteil" in den smalltalk verschieben
Was sagst Du zu diesem Scherengesetz des mittleren Wachstums, wie ich es weiter oben erwähnt habe? Um diesen Wachstumsgedanken geht es ja im weitesten Sinne in diesem Thread.
Es ist eine Binsenweisheit aus der 7. Klasse (?) Mathematik, dass derjenige mit dem höchsten mittleren Wachstum im Lauf der Zeit alle anderen überwuchern wird. Dazu braucht man nichtmal Abitur, das lernt jeder mit oder ohne Schulabschluss.
In der Wirtschaftswissenschaft hat dieser Kurzschluss des Denkens jedoch zweimal zu folgenschweren Irrtümern geführt, beide übrigens in der Marxistischen Welt: Das Marx'sche Wachstumsmodell führte zu immer geringerer Bereitschaft der Unternehmen zur Investition, bis es schliesslich zum Investitionsstreik kommt. Der schwere theoretische Fehler von Marx war, dass er die abnehmenden Grenzerträge nicht in seinem Modell berücksichtigte. Es kam also nie zum Investitionsstreik.
Abnehmende Grenzerträge sind: Eine zusätzliche Investition erwirtschaftet weniger Ertrag pro investierten Dollar als die vorangegange. Das ist eine empirische Beobachtung, kann aber auch dadurch plausibel gemacht werden, dass immer mehr Menschen und Maschinen im Unternehmen immer höheren Verwaltungs- und Koordinationsaufwand erzeugen, was auf den Gesamtertrag drückt.
Ein weiteres historisches Beispiel ist die Wirtschaftspolitik der Sowjetunion: Konsumverziecht führt zu erhöhtem Sparen. Diese erhohte Ersparnis kann investiert werden. Eine höhere Investitionsquote führt zu höheren Wachstumsraten. So dachte man. Wenn man also in der sowjetischen Volkswirtschaft eine höhere Sparquote plant als im Westen (bzw. schlicht weniger Konsumgüter und mehr Investitionsgüter als im Westen produziert), so wird man den Westen qua höherer Wachstumsrate irgendwann einholen, überholen und schliesslich ihm wirtschaftlich über alle Massen überlegen sein.
Nun, auch dies ist nicht eigetreten, unter anderem auch wieder wegen der abnehmenden Grenzerträge der Investitionen.
Westliche Unternehmen der heutigen Zeit, die dem Scherengesetz glauben schenken, übersehen, dass sich das Wachstum in einem komplexen Geflecht aus anderen Einflussfaktoren befindet: Marktgrösse, Innovation bzw. Produktzyklus, zunehmende Komplexität der Verwaltung, etc.
Auch: Wenn eine Gruppe von Unternehmen in ihrem Segment den Markt gesättigt haben, so ist das Scherengesetz nicht mehr anwendbar, da man ständig an die Grenze des Marktvolumens stösst. Weiteres Wachstum ist bei einem homogenen Produkt (z.B. Rohstoffe) nur noch durch Verdrängungswettbewerb möglich. Und dieser läuft über andere Mechanismen: z.B. Markenbildung, Preiskampf, Qualität, Customer Service, etc.
Bei ausgeschöpftem Marktvolumen kann das Scherengesetz erst dann wieder zum Tragen kommen, wenn im Zug des Wachstums neue Märkte aufgenommen werden. Geschieht dies durch Zukauf, dann schlägt das Abnehmende Ertragsgesetz sehr offensichtlich zu: Das zugekaufte Unternehmen muss in das bestehende integriert und koordiniert werden. Das herrschende Unternehmen muss die Gesetzmässigkeiten des neu erworbenen Marktes erst lernen ... usw.
Ein Konkurrenzunternehmen, das organisch in neue Märkte vordringt kann damit viel nachhaltiger wachsen, denn traumatische Änderungen der internen Struktur, die die Effizienz des zukaufenden und wieder abstossenden Konkurrenten in seinem Kerngeschäft belasten, bleibt dem organisch wachsenden deutlich eher erspart.
Es gibt keine Patentstrategie. Es gibt jedoch häufig eine untere Schwelle, unter die ein Unternehmen nicht fallen darf ohne Gefahr zu laufen vollständig ais dem Markt geworfen zu werden, und zwar die Marktzutrittsschwelle. Diese ist das Kapital/knowhow, das nötig ist um als Neuling in den Markt einzutreten.
Bei Automobilherstellern beispielsweise die Fähigkeit ein konkurrenzfähiges Modell zu entwickeln, zu bauen und nach dem Kauf über ein Werkstättennetz warten zu lassen. Bei Pharmafirmen: ein Medikament zu entwickeln, seine Wissenschaftler und Laboranten während dieser Zeit zu bezahlen, die klinische Erprobung finanziell durchzustehen, bis zur Zulassung.
Fällt ein bestehendes Unternehmen also unter diese Marktzutrittsschwelle, dann kann es sein Geschäft früher oder später nicht mehr fortführen. Je nach Dynamik des Marktes steigt diese Schwelle im Lauf der Zeit mehr oder weniger schnell an. Ein Unternehmen, das am Markt bestehen möchte, muss also mindestens so schnell wachsen wie diese Schwelle steigt.
Dass diese Einsichten ein bisschen mehr Reflexion und Liebe zum Detail von den Managern verlangt als diese oft bereit sind zu erbringen, führt eben dazu, dass sie lieber den Kurzschluss gehen. Oder als Finanzinvestoren erst garnicht in der Lage sind diese Marktkenntnis zu entwickeln.