Bellsches Raumschiffparadoxon

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ispom

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Was ist nun?
wenn das Seil nicht reißt, dann glaube ich, ich habe verstanden.
reißt das Seil aber, dann verstehe ich die Begründungen nicht :confused:
 

jonas

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Ich bin nun auch ziemlich verwirrt. Allerdings denke ich, dass eines mit Sicherheit gelten muss: Wenn das Seil reisst, so muss dieses Ergebnis sich für jeden Beobachter ereignen und erklären lassen, sowohl für den vorderen Piloten, den hinteren sowie dem Beobachter auf der Tribüne. Grund: Das reissen des Seils ist ein Ereignis und somit unabhängig vom Beobachter. Entsprechendes gilt, wenn das Seil nicht reissen sollte.
 

Ich

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Ok, ich greifs nochmal auf, zweigeteilt in die Frage ob denn das Seil tatsächlich reißt, und dann in Erklärungen warum es reisst bzw. wie man sich das vorzustellen habe.
Zum ersten Teil: Ich hab's schon mal in 4 Punkten begründet. Man braucht nicht allzutiefes Wissen über die SRT um nachzuvollziehen, dass der "tatsächliche", also der im mitbewegten System gemessene Abstand der Raketen vor der Beschleunigung geringer ist als nachher. Ein Seil muss also auf diesen neuen tatsächlichen Abstand gedehnt werden, und wenn es das nicht mitmacht, reißt es.
Zumindest darüber sollte mal Einigkeit herrschen.

Bei den "Erklärungen" wird's natürlich schwieriger, weil jeder was anderes unter einer zufriedenstellenden Erklärung versteht. Nicht wenige finden auch gar keine Erklärung zufriedenstellend, weil man ja nicht mit unserer Niedriggeschwindigkeitsintuition draufkommen kann.
Was macht jetzt also die ART für Voraussagen über hintereinander beschleunigte Raumschiffe,
die sich von nebeneinander beschleunigten unterscheidet ?
Nochmal: Es gibt 2 Antriebe, nicht einen gemeinsamen !
Jetzt begeben wir uns in die Untiefen des "beschleunigten Bezugssystems". Das ist zwar noch nicht wirklich ART, aber doch ein Schritt auf dem Weg dahin.
Ein "beschleunigtes Bezugssystem" sollte sich dadurch auszeichnen, dass die Abstande von Objekten, die relativ zu diesem ruhen, während der Beschleunigung gleich bleiben.
Mit dieser Bedingung kann man ein solches System definieren (Rindler-Koordinaten).
Solche beschleunigten Bezugssysteme haben einige fiese Eigenschaften.
- die Zeit für darin ruhende Objekte vergeht vorne schneller als hinten.
- Es gibt, ganz weit hinten, einen Punkt, an dem die Zeit gar nicht mehr vergeht. Das ist ein handfester Ereignishorizont wie beim schwarzen Loch, mit allem drum und dran, z.B. Hawkingstrahlung - hier allerdings Unruh-Effekt genannt.
Das heißt natürlich nicht, dass das Weltall verschlungen wird, sobald sich wer bewegt. Nur, dass es nicht immer möglich ist, relativ zu einem beschleunigten Punkt "in Ruhe" zu bleiben, egal wie stark man beschleunigt.
- Grund: Objekte, die relativ zum System ruhen sollen, brauchen alle eine unterschiedliche Beschleunigung, je nachdem ob weiter vorne oder hinten. Und das liegt wiederum an der unterschiedlich schnell vergehenden Zeit.

Also folgt:
In einem beschleunigten System, in dem das hintere Raumschiff ruht, ruht das vordere Raumschiff nicht, sondern fliegt voraus. Der Abstand wächst.
In einem beschleunigten System, in dem das vordere Raumschiff ruht, ruht das hintere Raumschiff nicht, sondern bleibt zurück. Der Abstand wächst.

Dann müsste ja jedes Raumschiff für sich auch zerreissen,
und alles bis auf Quantenebene würde sich auseinanderziehen.
Und das, nur weil man schneller wird ?
Der wichtige Punkt war doch, dass wir definiert haben, dass Anfang und Ende mit gleicher Eigenbeschleunigung in Bewegung versetzt werden. In einem beschleunigten Bezugssystem bedeutet das aber, dass die beiden Enden unterschiedlich beschleunigt werden, sich also auseinanderbewegen. Wenn wir diese Bedingung auf eine einzelne Rakete anwenden, wird diese also auch gedehnt. Genauso wie ein ruhender Stab gedehnt wird, wenn ich dafür sorge, dass ein Ende beschleunigt wird und das andere nicht.
Nur tut man das bei Raketen ja normalerweise nicht. Man beschleunigt sie an irgendeinem Punkt, und zwar nur so stark, dass sie nicht auseinanderbricht. Dann wird definitiv ein Ende weniger Eigenbeschleunigung spüren. Die Rakete bleibt dann im beschleunigten System gleich lang. Vom ursprünglichen Ruhesystem aus wird sie immer mehr verkürzt erscheinen, weil alle Punkte unterschiedlich stark beschleunigen. Um welchen Punkt sie sich zusammenzieht hängt einfach davon ab, welchen dieser Punkte ich mir als den mit der "richtigen" Beschleunigung raussuche.
 
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JGC

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Hi..


Ich hab hier noch ein Gif, welches das Problem von meinem Standpunkt aus zeigt...

http://www.clausschekonstanten.de/schau/neu/racketenseil.gif


Durch die unterschiedlichen"Tribünen-Abstände" erhält man verschiedengradige diagonale "Verhältniswinkel"(A B) auf denen ja die Lichtstrahlen längere Strecken durchlaufen, wie bei der direkten Frontalansicht, die genau im 90° Winkel zur Gesichtsebene steht...

So gesehen dürfte alleine auf Grund der verschiedenen Lichtlaufzeiten das Seil nur auf Grund optischer Verzerrung länger werdend erscheinen, aber nicht reissen, da sich an der Verhältnisgrösse der Szene zueinander nichts verändert.

(mal davon abgesehen ist das Problem an sich doch sehr fiktivem Charakters und taugt meiner Ansicht nach einfach nichts.., da die 2 Raketen bei relativistischer Geschwindigkeit so schnell an mir vorbeirasen, das ich mindestens 10 000 Km Betrachtungsabstand brauche, um einen Schatten vorbeihuschen zu sehen und um gemütlich eine Messung zu machen, dann müsste ich schon eine Million Km davon entfernt sein... Nur, was gibt es denn da noch groß zu sehen...)


JGC
 

Ich

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JGC,

es geht hier wirklich nicht um optische Effekte, wie auch immer du dir die vorstellst. Lass bitte diese sinnlosen Querschüsse, es ist so schon verworren genug.
 

Orbit

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@JGC
Genau. Wieso sollten wir uns da von einer Theorie etwas vorgaukeln lassen, das unsere Augen ja doch nicht sehen könnten, auch wenn es so wäre.
:cool:
Gruss Orbit
 
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Mark Striper

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@Ich:
Danke für die ausführliche Erklärung.
Die Gesamtbeschleunigung des Inertialsystems Rakete-Seil-Rakete
unterscheidet sich ja nicht von der jeweiligen Eigenbeschleunigung der Raketen.
Aber innerhalb jeder Eigenbeschleunigung eines Inertialsystems gibt es also einen
Zeitunterschied zwischen "vorn" und "hinten" - das war mir neu.

Jetzt leuchtet mir das angebliche Paradoxon natürlich ein:
Das Seil reisst natürlich, weil wir es so definiert haben - jede Abstandsänderung der Raketen lässt das Seil reissen.
Eine fiktive große Rakete hält bis zu einem gewissen Grad aber wegen der Stabilität seiner inneren Materialverbindung,
so wie auch jede einzelne der beiden kleinen Raketen wegen seiner inneren Stabilität nicht auseinanderreisst.
Dem Seil haben wir aber lt. Definition keine innere Stabilität verliehen - es reisst deshalb.

Wie wärs, wenn du den Wikipedia-Artikel dahingehend mal ändern würdest/könntest ?
Damit es auch Laien wie ich auf Anhieb verstehen können.
Vielleicht auch mit einfachen Worten, wie ich sie benutze- hehe. ;)
 
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mac

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Hallo 'ich'

vielen Dank für Deine Erklärung! Die ist so anschaulich, daß sogar ich (also ich meine jetzt mich :D ) mir ein Bild machen kann.

Herzliche Grüße

MAC
 

Kunibert

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Vielen Dank ich, für die Erklärung. Habe ich richtig verstanden, wenn ich in einer blickdichten Kabine sitze und eine Beschleunigung in richtung Boden spüre, habe ich keine Möglichkeit festzustellen, ob ich auf einem Planeten oder in einem Beschleunigenden Raumschiff bin, da an der Decke die Zeit schneller vergeht als am Boden der Kabine?
 

ispom

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und wie ist es jetzt mit den Hochspannungsleitungen, die ein entfernter Astronaut beobachtet?
ich vermute, das ganze Stromnetz schrumpft aus seiner Sicht zusammen, und er sieht die Strippen nicht von den Masten reißen....
 

Toni

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Prima Erklärung!

Hallo Ich,

dankeschön für diese ausführliche Erklärung! :)
Also lag ich schon irgend wie richtig, dass dabei vergleichbare Erscheinungen auftreten wie bei der Annäherung an Schwarze Löcher. Und dass es mit der Zeitdilatation zu tun hat, war ja im Prinzip die einzig mögliche Lösung, die noch übrig blieb. ;)

Dankend nachschleichende Grüße von
Toni
 

Kunibert

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Hallo,

ich habe noch eine Zusatzfrage, macht das Bellsche Raumschiffparadoxon Weltraumfahrstühle nun prinzipiell unmöglich?
 

Ich

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Vielen Dank ich, für die Erklärung. Habe ich richtig verstanden, wenn ich in einer blickdichten Kabine sitze und eine Beschleunigung in richtung Boden spüre, habe ich keine Möglichkeit festzustellen, ob ich auf einem Planeten oder in einem Beschleunigenden Raumschiff bin, da an der Decke die Zeit schneller vergeht als am Boden der Kabine?
Ja, fast. Aber erstens passen die Verhältnisse im Allgemeinen nicht zu einer beschleunigten Bewegung, und zweiten wird man, wenn man gaanz genau hinschaut, auch Querbeschleunigungen finden. Die lassen sich nicht mehr mit einem beschleunigten Bezugssystem in flacher Raumzeit erklären, dann muss man den Schritt hin zur gekrümmten Raumzeit tun. Dann ist die Beschreibungsweise der ART nicht nur bequem, sondern unbedingt notwendig.
macht das Bellsche Raumschiffparadoxon Weltraumfahrstühle nun prinzipiell unmöglich?
Nein wieso? Hier wird ja die Länge des Seils konstant gehalten. Solang es die Spannungen packt spricht nichts dagegen.
und wie ist es jetzt mit den Hochspannungsleitungen, die ein entfernter Astronaut beobachtet?
@ispom:
ich vermute, das ganze Stromnetz schrumpft aus seiner Sicht zusammen, und er sieht die Strippen nicht von den Masten reißen....
Ja, richtig vermutet.
Wenn du natürlich Raketenantriebe an die Masten hängst, damit deren Abstand für den beschleunigten Beobachter gleich bleibt, könnte das zu Schadenersatzforderungen führen.
 
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