Wie Turbulenzen die Struktur und Entstehung von Galaxien
prägen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Heidelberg astronews.com
19. Mai 2025
In einer großangelegten Computersimulation hat ein
internationales Forschungsteam jetzt die gesamte Bandbreite der turbulenten
Energie im interstellaren Medium mit bisher unerreichter numerischer Auflösung
kartiert. Die Ergebnisse liefern Einblicke in Prozesse, die die Struktur und
Entwicklung von Galaxien prägen, darunter auch die Sternentstehung.

Künstlerische Darstellung unserer
Milchstraße.
Bild: NASA / JPL-Caltech [Großansicht] |
Wie verhält sich Turbulenz im Raum zwischen den Sternen unserer Galaxie? In
einer großangelegten Computersimulation hat ein internationales Forschungsteam
unter Beteiligung von Prof. Dr. Ralf Klessen, Wissenschaftler am Zentrum für
Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH), die gesamte Bandbreite der
turbulenten Energie im sogenannten interstellaren Medium mit bisher unerreichter
numerischer Auflösung kartiert. Berücksichtigt wurden bei dieser detaillierten
quantitativen Kartierung auch die komplexen magnetischen Eigenschaften dieser
kosmischen "Unordnung". Die Ergebnisse liefern wichtige Einblicke in Prozesse,
die die Struktur und Entwicklung von Galaxien prägen, darunter auch die
Sternentstehung.
Im Gegensatz zu dem auf der Erde zu beobachtenden Phänomen – chaotische,
scheinbar zufällige Bewegungen in Luft oder Wasser – entstehen Turbulenzen im
Weltraum in einem Plasma. Dabei handelt es sich um ein heißes, elektrisch
geladenes Gas, das von Magnetfeldern durchdrungen ist und von diesen stark
beeinflusst wird. Das macht es besonders schwierig, zu beobachten und zu
modellieren, was im interstellaren Medium vor sich geht. Das internationale
Forschungsteam hat nun die weltweit größte Simulation entwickelt, um
magnetisierte Turbulenzen unter galaktischen Bedingungen nachzubilden. Ihre
hochpräzisen Daten zeigen deutliche Abweichungen zu klassischen Modellen: Die
Forscherinnen und Forscher konnten beobachten, dass grundlegende Prinzipien der
Turbulenztheorie im Fall magnetisierter Plasmen nicht gültig sind.
Ein zentraler Prozess der Turbulenztheorie ist die sogenannte turbulente
Kaskade: Dabei wird Energie, die auf großen Skalen in ein Fluid oder Plasma
eingebracht wird, schrittweise auf immer kleinere Skalen übertragen, bis sie
schließlich als Wärme abgegeben wird. "Im Interstellaren Medium erstreckt sich
eine solche Kaskade über viele Größenordnungen – weit mehr, als sich bislang mit
gängigen Computern realistisch simulieren ließ", berichtet Klessen, der die am
ZAH angesiedelten Forschungsgruppe Sternentstehung leitet. Von besonderer
Bedeutung sei dabei der Übergang zwischen Überschall- und Unterschallturbulenz,
weil astrophysikalische Plasmen oft Überschallströmungen aufweisen. "Die
sogenannte Schallskala stellt einen entscheidenden Parameter in unseren
theoretischen Modellen zur Sternentstehung dar. Erstmals ist es uns in dieser
neuen Berechnung gelungen, diesen wichtigen Übergang unter dem Einfluss von
Magnetfeldern an einem Hochleistungs-Supercomputer detailliert aufzulösen und zu
beschreiben", erläutert Klessen.
Ein wichtiger Parameter der großangelegten Computersimulation ist die
sogenannte Reynolds-Zahl. Dabei handelt es sich um eine dimensionslose Größe,
die das Verhältnis von Trägheitskräften zu zähflüssigen Kräften in einer
Fluidströmung misst. Für die aktuellen Berechnungen mit Reynolds-Zahlen von über
einer Million wurden 80 Millionen Stunden an Prozessorzeit benötigt, verteilt
auf 140.000 Rechenkerne eines Hochleistungs-Supercomputers des
Leibniz-Rechenzentrums. Das Team fand heraus, dass Magnetfelder maßgeblich
beeinflussen, wie Energie im interstellaren Medium kaskadiert: Sie unterdrücken
kleinräumige Bewegungen und verstärken bestimmte wellenartige Störungen, die
lokal die Bedingungen für die Entstehung neuer Sterne schaffen.
"Mit unserer Simulation konnten wir charakterisieren, wie sich turbulente
Energie von den größten galaktischen Skalen bis hinunter zu den Skalen verteilt,
auf denen die Sternentstehung beginnt", so Klessen. "Unsere Galaxie ist kein
statisches, sondern ein dynamisches, von Turbulenzen beeinflusstes System, und
die aktuellen Forschungserkenntnisse bringen uns dem Verständnis der
physikalischen Gesetze, die diese kosmische 'Unordnung' bestimmen, einen Schritt
näher."
Die Forschungsergebnisse des internationalen Teams aus den USA, Kanada,
Australien und Deutschland wurden in der Fachzeitschrift Nature Astronomy
veröffentlicht.
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