ESO legt technische Analyse zu Industriekomplex in der Nähe von Paranal vor
von
Stefan Deiters astronews.com
18. März 2025
Die europäische Südsternwarte ESO hat erneut vor den Folgen
eines in der Nähe des Paranal-Observatoriums geplanten Industriekomplexes
gewarnt. In einer detaillierten Analyse bestätigt die ESO ihre Einschätzung aus
dem Januar, dass die Anlage einer Tochtergesellschaft des
US-Energiekonzerns AES den Standort Paranal für astronomische Beobachtungen
nahezu unbrauchbar machen würde.

Der Himmel über dem Paranal-Observatorium der ESO gilt als
einzigartig. Foto:
ESO / P. Horálek
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Schon im Januar hatte die europäische Südsternwarte ESO Alarm geschlagen:
Grund war das industrielle Großprojekt INNA, das das Unternehmen AES Andes, eine
Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Energiekonzerns AES Corporation,
wenige Kilometer vom Paranal-Observatorium der ESO entfernt plant: Es umfasst
mehrere Energie- und Verarbeitungsanlagen auf einer Fläche von mehr als 3000
Hektar. Schon eine erste Abschätzung hatte gezeigt, dass die Pläne, würden sie
realisiert werden, erhebliche Folgen für die astronomischen Beobachtungen in der
Region haben würden. Diese Einschätzung hat nun eine detailliertere technische
Analyse bestätigt, die die ESO gestern vorgestellt hat. Danach seien die
Auswirkungen von INNA "verheerend und irreversibel".
Konkret, so heißt es in der Analyse, würde die Lichtverschmutzung über dem
Very Large Telescope (VLT) durch den nur elf Kilometer entfernten
Industriekomplex um mindestens 35 Prozent zunehmen, am Standort des
Extremely Large Telescope (ELT) um immerhin noch fünf Prozent. Durch diese
Zunahme, so die ESO, wäre bereits ein Niveau an Lichtverschmutzung erreicht, das
"mit den für astronomische Beobachtungen von Weltrang erforderlichen Bedingungen
unvereinbar ist". Noch schlimmer würde es am Standort des Cherenkov
Telescope Array Observatory (CTAO-South) aussehen, das nur fünf Kilometer
von INNA entfernt liegen würde: Hier wäre der Anstieg der Lichtverschmutzung mit
mindestens 55 Prozent am stärksten.
"Mit einem helleren Himmel schränken wir unsere Möglichkeiten, erdähnliche
Exoplaneten direkt aufzuspüren, schwache Galaxien zu beobachten und sogar
Asteroiden zu überwachen, die unserem Planeten gefährden könnten, stark ein",
unterstreicht Itziar de Gregorio-Monsalvo von der ESO in Chile. "Wir bauen die
größten und leistungsstärksten Teleskope am besten Ort der Erde für die
Astronomie, damit Astronomen weltweit sehen können, was noch niemand zuvor
gesehen hat. Lichtverschmutzung durch Projekte wie INNA behindert nicht nur die
Forschung, sondern stiehlt uns auch den Blick auf das Universum."
Die
jetzt vorgestellte technische Analyse wurden von einem Expertenteam unter
Leitung des ESO-Direktors Andreas Kaufer durchgeführt, dem mit Martin Aubé ein
weltweit führender Experte für die Himmelshelligkeit an astronomischen
Beobachtungsstandorten zur Seite stand. Das Team führte Simulationen mit den
modernsten Lichtverschmutzungsmodellen durch, wobei als Grundlage die von AES
Andes bei der Einreichung des Projekts zur Umweltverträglichkeitsprüfung
vorgelegten Informationen dienten, aus denen hervorgeht, dass der Komplex von
über 1000 Lichtquellen beleuchtet werden soll.
"Unsere Zahlen zur
Lichtverschmutzung gehen davon aus, dass im Rahmen des Projekts die modernsten
verfügbaren Leuchtmittel so installiert werden, dass die Lichtverschmutzung auf
ein Minimum reduziert wird", erläutert Kaufer. "Wir befürchten jedoch, dass die
von AES vorgesehene Anzahl an Lichtquellen nicht ausreichend für das Vorhaben
sein wird. In diesem Fall würden unsere bereits alarmierenden Ergebnisse die
potenziellen Auswirkungen des INNA-Projekts auf die Helligkeit des Paranal-Himmels
unterschätzen." Außerdem seien die Berechnungen für eine klaren Himmel
durchgeführt, bei bewölktem Himmel sei alles noch viel schlimmer.
Doch nicht nur die Lichtverschmutzung ist Anlass zur Sorge: Das Team schaute
sich auch die Zunahme atmosphärischer Turbulenzen, die Auswirkungen von
Vibrationen auf die empfindliche Teleskopausrüstung und die Verschmutzung der
empfindlichen Teleskopoptiken durch Staub während der Bauarbeiten an. All diese
Faktoren würden die Auswirkungen von INNA auf die astronomischen
Beobachtungsmöglichkeiten von Paranal noch verstärken. So würde sich das
sogenannte "Seeing", das durch Turbulenzen in der Erdatmosphäre entsteht und zu
einem Flimmern von beobachteten Objekten führt, um bis zu 40 Prozent
verschlechtern. Grund seien hier vor allem die Luftturbulenzen, die durch die
Windturbinen des Projekts entstehen. Diese könnten auch für kaum messbare
Vibrationen im Boden sorgen, die Beobachtungen mit dem VLT-Interferometer und
dem ELT beeinträchtigen würden. Hinzu käme der der Staub, der während der
Bauarbeiten entsteht und sich auf den Teleskopspiegeln absetzt.
Langfristig würde dies die Einzigartigkeit des Paranal-Observatoriums und
sogar dessen Betrieb gefährden. "Die einzige Möglichkeit, Paranals unberührten
Himmel zu retten und die Astronomie für künftige Generationen zu schützen, ist
die Verlegung des INNA-Komplexes", so de Gregorio-Monsalvo. Außerdem befürchtet
man bei der ESO, dass es bei dem INNA-Komplex nicht bleibt, sondern er weitere
Industrieansiedlungen anzieht.
"Die ESO und ihre Mitgliedstaaten unterstützen die Dekarbonisierung der
Energieversorgung voll und ganz", betont ESO-Generaldirektor Xavier Barcons.
"Wir meinen, dass sich Chile nicht zwischen den leistungsstärksten
astronomischen Observatorien und der Entwicklung grüner Energieprojekte
entscheiden muss. Beides sind erklärte strategische Prioritäten des Landes und
sie lassen sich vollständig miteinander vereinbaren - wenn die verschiedenen
Einrichtungen in ausreichender Entfernung voneinander liegen".
Die Analyse der ESO wird im Rahmen eines öffentlichen Beteiligungsverfahren
zur Umweltfolgenabschätzung des INNA-Vorhaben bei den zuständigen Stellen
eingereicht. Eine Zusammenfassung der Analyse hat die ESO zudem auf ihrer
Website zum Download bereitgestellt.
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