Was die nördliche Polkappe über das Innere des Planeten
verrät
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. astronews.com
28. Februar 2025
Radarmessungen der nördlichen Eiskappe des Mars lieferten
nicht nur neue Erkenntnisse über die Polkappe selbst, sondern auch über das
Innere des Roten Planeten: Die drei Kilometer dicke Eisschicht am Nordpol des
Mars ist geologisch jung und verformt die felsige Kruste darunter mit einer Rate
von 0,13 Millimeter pro Jahr. Der obere Mantel des Mars ist also vergleichsweise
starr.

Der eisbedeckte Nordpol des Mars. Bild:
ESA / DLR / FU Berlin, NASA MGS MOLA Science Team [Großansicht] |
Um herauszufinden, wie der felsige Mantel unter den Kontinenten der Erde
beschaffen ist, nutzen Forschende einen geophysikalischen Trick: Sie messen, wie
schnell sich große Landflächen, die während der letzten Eiszeit vor etwa 20.000
Jahren von kilometerdickem Eis bedeckt waren, noch heute anheben. Die massive
Eisschicht drückte damals die Erdoberfläche nach unten. Nach dem Abschmelzen des
Eisschildes begann sich die Oberfläche langsam wieder zu heben. Dieser als
glaziale isostatische Anpassung bekannte Prozess lässt sich bis heute in
Skandinavien beobachten, wo sich die Landoberfläche um bis zu einem Zentimeter
pro Jahr hebt. Diese Bewegung liefert wertvolle Erkenntnisse über den inneren
Aufbau unseres Planeten.
Solche Phänomene auf anderen Himmelskörpern blieben bisher unerforscht – bis
jetzt: Dr. Adrien Broquet vom Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)
hat in einem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der
Planetenforschung ein vergleichbares Phänomen auf dem Mars untersucht. Diese
Forschung ermöglicht es dem Team, mehr über die innere Struktur des Roten
Planeten zu erfahren und das Alter seiner nördlichen Polkappe zu datieren.
Der Nordpol des Mars ist von einer Eisschicht bedeckt, die rund 1000
Kilometer breit und drei Kilometer dick ist und hauptsächlich aus reinem
Wassereis besteht. "Die Berechnung der durch die Eisschicht verursachten
Deformationen am Nordpol des Mars ist entscheidend, um die innere Struktur des
Planeten zu bestimmen", erklärt Broquet, der am DLR-Institut für
Planetenforschung arbeitet. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen
untersuchte er die Entstehung dieser Eisschicht. Dazu kombinierten sie
geophysikalische Modelle zur thermischen Entwicklung des Mars mit Berechnungen
zur glazialen isostatischen Anpassung sowie mit Daten aus Gravimetrie-, Radar-
und seismischen Messungen. "Wir zeigen, dass die Eisschicht den
darunterliegenden Boden mit einer Rate von bis zu 0,13 Millimeter pro Jahr in
den Mantel drückt", so Broquet. "Die geringen Deformationsraten zeigen, dass der
obere Mantel des Mars kalt, hochviskos und wesentlich starrer ist als der der
Erde", ergänzt Dr. Ana-Catalina Plesa, Geophysikerin am DLR.
Die Oberflächen der Erde und anderer Gesteinsplaneten wirken sprichwörtlich
"felsenfest". Doch Ereignisse wie Vulkanausbrüche oder Erdbeben zeigen, dass
unser Planet dynamisch ist. Unter der kalten und starren Kruste besitzen
Gesteinsplaneten einen heißen und verformbaren Mantel. Ob es sich um die
einzelnen Kontinentalplatten der Erde handelt, die sich als lithosphärische
Blöcke wie Flöße aneinander vorbeibewegen, oder um die monolithische Kruste des
Mars – beide deformieren langsam den darunterliegenden Mantel, um ein
isostatisches Gleichgewicht zu erreichen. Das isostatische Gleichgewicht der
Kontinente wird seit mehr als einem Jahrhundert erforscht, indem die Veränderung
der Eislast durch Gletscher und Eiskappen sowie die Reaktion der Erdoberfläche
darauf untersucht werden. Die Geschwindigkeit der Landverformung ermöglicht es
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sowohl die inneren Eigenschaften der
Erde als auch die Form und Ausdehnung früherer Eisdecken zu bestimmen, die einst
große Teile unseres Planeten bedeckten.
Im Jahr 2002 wurden zwei Satelliten gestartet, um diesen Verformungsprozess
im Rahmen des Gravity Recovery and Climate Experiment (GRACE, GRACE-FO
und die geplante Erweiterung GRACE-C) zu untersuchen. Diese gemeinsame Mission
von NASA und DLR misst, wie sich das Gravitationsfeld der Erde durch die
Verformung des Planeteninneren verändert. "Die Beobachtung und das Verständnis
der glazialen isostatischen Anpassung waren für die Erdwissenschaften von
entscheidender Bedeutung – bisher jedoch nur für die Erde", erklärt Broquet.
Der Prozess der isostatischen Anpassung hängt stark von der Struktur und den
Eigenschaften des Planeteninneren ab – insbesondere von einer physikalischen
Größe namens Viskosität. Die Viskosität beschreibt, wie stark sich ein Material
dem Fließen widersetzt. Sie wird sowohl durch die Materialart als auch durch die
Temperatur beeinflusst. Honig und Kunststoff verformen sich beispielsweise bei
hohen Temperaturen leichter und werden bei niedrigen Temperaturen steifer (haben
eine höhere Viskosität). Zum Vergleich: Die Gesteine des Erdmantels sind mehr
als eine Billion Mal zähflüssiger als Asphalt, können sich aber dennoch über
geologische Zeiträume hinweg verformen und fließen.
In den Jahren 2003 und 2005 wurden mit Mars Express (ESA) und dem
Mars Reconnaissance Orbiter (NASA) zwei Raumsonden zum Mars geschickt,
die mit Radarmessgeräten ausgestattet waren. Diese erfassten die nördliche
Polkappe des Mars und ermöglichten es, die Grenzfläche zwischen Eis und Gestein
abzubilden. Überraschenderweise blieb die Marsoberfläche trotz der gewaltigen
Eismassen nahezu unverformt – im Gegensatz zur Erde, wo riesige Eisdecken vor
20.000 Jahren die Oberfläche stark eindrückten. Warum die Marsoberfläche über so
lange Zeit so starr und unverändert geblieben ist, war jahrzehntelang ein
Rätsel.
Durch die Kombination von Radardaten mit Schätzungen des sich zeitlich
verändernden Gravitationsfelds des Mars sowie mit Messungen des InSight-Seismometers
konnten Broquet und sein Team nun eine Erklärung liefern: Die extrem hohe
Viskosität und Kälte des Marsinneren haben bislang verhindert, dass sich die
Oberfläche vollständig verformen konnte. Numerische Simulationen zeigen, dass
sich der Boden am Nordpol des Mars derzeit mit einer Geschwindigkeit von maximal
0,13 Millimeter pro Jahr absenkt. Dies bedeutet, dass die Viskosität des oberen
Mantels des Mars zehn- bis hundertmal höher ist als die der Erde – ein klarer
Hinweis darauf, dass das Innere des Roten Planeten heute extrem kalt ist.
"Obwohl wir davon ausgehen, dass der Nordpol des Mars kalt ist, zeigen unsere
Modelle dennoch die Existenz lokaler Schmelzzonen im Mantel nahe dem Äquator",
erklärt Prof. Doris Breuer vom DLR.
Das Marsinnere hält also einige Überraschungen bereit: Während die Kruste am
Nordpol sehr kalt erscheint, gibt es in den äquatorialen Regionen noch Anzeichen
jüngerer vulkanischer Aktivität. Die Eiskappe am Mars-Nordpol ist deutlich
jünger als jede andere geologische Struktur dieser Größenordnung auf dem
Planeten. Mit einem geschätzten Alter von zwei bis zwölf Millionen Jahren ist
sie vermutlich die jüngste und zugleich größte geologische Formation, die wir
auf dem Roten Planeten beobachten können.
Die Arbeit von Broquet und seinem Team ist die erste, die eine glaziale
isostatische Anpassung auf einem anderen Planeten dokumentiert. Dies hat
weitreichende Auswirkungen auf unser Verständnis des Marsinneren und seiner
geologischen Entwicklung. In den vergangenen Jahren wurden mehrere
GRACE-ähnliche Gravimetrie-Missionen für den Mars vorgeschlagen, darunter
Oracle und MaQuIs. Neben der Erforschung des Marsklimas haben
künftige Gravimetrie-Missionen nun ein weiteres Ziel: präzisere Messungen der
Hebungs- und Senkungsprozesse auf dem Roten Planeten zu liefern.
Die Ergebnisse der Studie wurden in einem Fachartikel vorgestellt, der in der
Zeitschrift Nature erschienen ist.
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