Mit Statistik dem dunklen Universum auf der Spur
Redaktion
/ Pressemitteilung des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF astronews.com
6. September 2023
Um aus den Datenbergen der neuen ESA-Sonde Euclid
künftig Informationen über Dunkle Materie und Dunkle Energie zu gewinnen, setzt
ein Team aus Innsbruck auf neue statistische Methoden. Sobald Euclid
erste Daten zur Erde schickt, soll ein Tool zur Verfügung stehen, das neue
Informationen zu den wichtigsten Fragen der unsichtbaren Seite des Kosmos
liefert.

Das Weltraumteleskop Euclid in einer
künstlerischen Darstellung. Bild:
ESA / ATG, CC BY-SA 3.0 IGO [Großansicht] |
Gasnebel, Sternhaufen und majestätische Galaxien – so zeigt sich unser
Universum im Blick moderner Weltraumteleskope wie Hubble und James
Webb. Das All erscheint von einer leuchtenden Struktur durchzogen. Doch was
unseren Kosmos wirklich prägt, bleibt auf diesen Bildern unsichtbar. Wie
astronomische Messungen zeigen, liegt versteckt zwischen all den Sternen, Nebeln
und Galaxien eine unbekannte Welt. Dieser als "dunkles Universum" bekannte Teil
des Kosmos hat zwei Bestandteile: Dunkle Materie und Dunkle Energie. Erst diese
beiden Komponenten ergeben gemeinsam mit der herkömmlichen Materie das
Standardmodell der Kosmologie.
"Dieses Modell ist eine sehr gute Beschreibung des Universums, da es
Beobachtungen auf unterschiedlichsten Größen- und Zeitskalen erklären kann",
sagt die Astrophysikerin Laila Linke von der Universität Innsbruck. "Wir wissen,
dass dieses Modell Dunkle Materie und Dunkle Energie enthalten muss, wir wissen
aber nicht, worum es sich dabei handelt." Dunkle Materie liefert zusätzliche
Schwerkraft, um etwa Galaxien und Galaxienhaufen zusammenzuhalten, die es ohne
die rätselhafte Substanz nicht geben könnte. Dunkle Energie dagegen bewirkt die
beschleunigte Expansion des Universums, wie Messungen von entfernten
Supernova-Explosionen zeigen.
Doch völlig offen ist, was hinter den beiden Begriffen steckt. Fachleute
haben zur Dunklen Materie zahlreiche Theorien vorgeschlagen, etwa noch
unbekannte, massereiche Teilchen, die kaum mit Materie interagieren. Dunkle
Energie lässt den Kosmos wie einen Kuchen aufgehen. Doch Versuche, diesen
Überdruck etwa mit Einsteins "kosmologischer Konstante" zu erklären, überzeugen
bisher nicht: Der so vorhergesagte Wert für die Dunkle Energie liegt um viele
Größenordnungen daneben. Weltweit sucht die Wissenschaft nach Antworten auf die
Rätsel des dunklen Universums – eine Aufgabe, deren Bedeutung nicht überschätzt
werden kann, denn wie Berechnungen zeigen, macht die gewöhnliche Materie nur
fünf Prozent aller im Kosmos enthaltenen Masse aus. Der Löwenanteil des
Universums ist also dunkel.
Licht in das dunkle Universum zu bringen, diesem Ziel hat sich die
Euclid-Mission der Europäischen Weltraumorganisation ESA verschrieben. Doch wie
kommt die Anfang Juli dieses Jahres gestartete Sonde ihren unsichtbaren
Beobachtungszielen näher? Linke erklärt: "Konkret wird Euclid Galaxien
vermessen, und zwar über etwa ein Drittel des Himmels hinweg." Euclid wird
planmäßig die Form von unglaublichen eineinhalb Milliarden Galaxien erfassen,
die teils weit entfernt sind. Da große Distanz im All wegen der endlichen
Lichtgeschwindigkeit gleichbedeutend mit einem Blick in die Vergangenheit ist,
enthalten Euclids Daten auch Informationen über die zeitliche
Entwicklung des Alls.
Um den Rätseln des kosmologischen Standardmodells auf die Schliche zu kommen,
betrachten Fachleute vor allem die Formen der Galaxien: Wie bereits
Hubble-Bilder eindrücklich zeigen, gleicht keine Galaxie der anderen. Dennoch
lassen sich die Systeme danach ordnen, wie weit sie vom Kreis abweichen. "Wir
sprechen dabei von Elliptizität", erläutert Linke. Jede Galaxie ist also mehr
oder wenig eiförmig. Doch es gibt einen Haken: Ihre wahre Form können wir von
der Erde, selbst mithilfe von Weltraumteleskopen, nicht wahrnehmen. Das liegt am
Gravitationslinseneffekt: Passiert Licht auf seinem Weg zu uns eine Ansammlung
von Materie, wird es von seinem Pfad abgelenkt, da die Masse den Raum krümmt und
den Lichtstrahlen so neue Wege aufzwingt.
Dieser Vorgang hat spektakuläre Folgen: Galaxien, die hinter massereichen
Galaxienhaufen liegen, schlagen wilde Bögen oder werden sogar mehrfach
abgebildet. Da beinahe jede Sichtlinie zwischen extragalaktischen Objekten und
der Erde an Massenansammlungen vorbeiführt, ist praktisch jedes Bild verzerrt –
wenn auch mitunter nur geringfügig.
Doch von der Verzerrung einer Galaxis lässt sich allein noch nichts über das
dunkle Universum lernen: "Galaxien können an sich elliptisch sein. An einzelnen
Exemplaren sehen wir also nicht, wie viel davon durch Gravitationslinsen
entstanden ist", erklärt Linke. Daher werten die Astrophysikerin und ihr Team
mehrere Galaxien gleichzeitig aus. "Wir messen die Elliptizität vieler
benachbarter Galaxien. Waren sie alle zufällig orientiert, fällt deren
intrinsische Elliptizität im Mittelwert weg", so Linke. "Übrig bleibt also nur
der Anteil, der auf Gravitationslinsen zurückgeht."
Ist die Galaxiengruppe also in eine gemeinsame Richtung verschmiert –
Fachleute sprechen von Scherung –, fällt das mit dieser Methode auf. Damit lässt
sich etwas über die Verteilung der Masse im Kosmos aussagen – wertvolle
Information, wie Linke weiß: "Dadurch können wir zwei Dinge verstehen: Zum
einen, wie sich Strukturen im Universum gebildet haben. Und zum anderen können
wir aus Veränderungen der Massenverteilung im Laufe der Zeit auf die
Expansionsgeschichte des Alls schließen, die durch Dunkle Energie bestimmt ist."
Die Massenverteilung ist eine statistische Größe, die für kosmologische
Aussagen relevant ist. Kennt man sie für jeden Abstand, wissen wir, wie sich
Materie in der Vergangenheit geballt hat oder auseinandergedriftet ist. Doch um
an die Parameter der Verteilung, wie etwa die Varianz, zu kommen, müssen
Fachleute in den Datenbergen von Sonden wie Euclid wühlen. Linke
erklärt die bisherige Methode: "Ausgehend von einer Galaxie vergleichen wir die
Elliptizität vieler Galaxienpaare im gleichen Abstand. Damit wissen wir, wenn es
an einem Punkt eine gewisse Verzerrung gibt, wie groß die Scherung an einem
anderen Ort ist. Diese Information korreliert mit der Varianz der
Massenverteilung."
Doch da die kosmische Massenverteilung nicht gaußförmig ist, sondern
komplizierter aussieht, reicht die Varianz nicht aus, um sie zu
charakterisieren. Es braucht mehr Information. Anstatt jeweils Paare zu bilden,
gruppiert Linke daher die Galaxien zu Dreiergespannen. "Dadurch erhalten wir ein
höheres Moment der Verteilung, das von den Parametern der Verteilung anders
abhängt", sagt Linke. "Gemeinsam mit den Messungen an den Paaren lernen wir
durch die Dreiergrüppchen mehr über die Massenverteilung."
Obwohl diese statistische Methode tiefe Einblicke in den Kosmos erlaubt,
wurde sie bisher kaum eingesetzt. Der Grund: Um je drei Galaxien miteinander zu
vergleichen, braucht es bei den gigantischen Galaxienkatalogen erhebliche
Rechenleistung – die es bis vor Kurzem nicht gab. Linke konnte allerdings
zeigen, dass dieses Problem mit Grafikkarten behebbar ist. Darüber hinaus
fehlten jedoch praktische Algorithmen. Das soll sich im Rahmen des vom
Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderten ESPRIT-Projekts von Linke
ändern.
"Die Modelle der Statistik dritter Ordnung sind zudem komplizierter, es
treten systematische Effekte auf, die bisher nicht berücksichtigt wurden. Das
müssen wir jetzt einfach mal machen", ergänzt Linke. Momentan feilen die
Astrophysikerin und ihr Team noch an ihren Methoden. Doch sobald Euclid
erste Daten zur Erde schickt, soll ein neues Tool bereitstehen, um den
Datenmengen Informationen zur unsichtbaren Seite des Kosmos zu entlocken.
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