Hohle Glasfasern für präzise Lagebestimmung im All
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und
Mikrointegration IZM astronews.com
23. August 2022
Mithilfe optischer Gyroskope wird in der Luft- und Raumfahrt
die Lage von Flugkörpern im Raum bestimmt. Die Messungen sind allerdings
störanfällig, was bei autarken Systemen zum Problem werden könnte. Nun hat ein
deutsch-polnisches Forschungskonsortium eine störungsfreie Lichtübertragung für
Gyroskope entwickelt.

Durch die Verwendung von Hohlkernfasern
werden faseroptische Gyroskope weniger anfällig
gegenüber äußeren Störfaktoren.
Foto: Fraunhofer IZM [Großansicht] |
Die moderne Telekommunikation basiert auf optischen Fasern: Röhrchen, dünn
wie ein einziges Haar, mit einem nochmals um das Zehnfache dünneren Glaskern im
Inneren, in dem sich Licht so gut wie ungehindert ausbreiten kann. Durch den
nach außen abnehmenden Brechungsindex des Materials durchdringt das Licht nicht
die hauchdünnen Rohrwände, sondern bewegt sich in einem Zickzackmuster
ausschließlich innerhalb der inneren Schicht – die sogenannte totale interne
Reflexion findet statt. Auch die Messtechnik profitiert von der Funktionsweise
der optischen Fasern: So sind sie beispielsweise elementarer Bestandteil von
Gyroskopen, also hochgenauen Rotationssensoren. Muss nur eine Bewegungsrichtung
erfasst werden, verwendet man in der Regel Beschleunigungssensoren. Soll dagegen
die dreidimensionale Bewegung eines autonomen Objekts im Raum gemessen werden,
benötigt man ein Messsystem, das aus jeweils drei Beschleunigungssensoren und
Gyroskopen besteht.
Die Rotationsmessung mit einem optischen Gyroskop kann man mit einer
Weltrundreise vergleichen: Je nach Fahrtrichtung gewinnt oder verliert man Zeit.
Bei einem Fasergyroskop wird eine Faser ringförmig auf eine Spule gewickelt und
bildet einen Ringresonator indem das Licht im Uhrzeigesinn und in Gegenrichtung
strömt. Bei einer Drehung des Objekts verlängert sich der Weg einer Lichtwelle
geringfügig, während er sich für die andere verkürzt. Diesen feinen Unterschied
misst ein Detektor und schließt wie ein hochgenauer Kreisel auf die Rotation.
Hier stoßen optische Fasern jedoch an ihre Grenzen, denn magnetische und
elektrische Felder beeinträchtigen die Interpretationen des Sensors. Zudem
können Wechselwirkungen zwischen Licht und Material dazu führen, dass sich die
optischen Eigenschaften des durchdrungenen Materials verändern.
Diese sogenannten nichtlinearen Effekte wirken sich wiederum direkt auf die
Ausbreitung des Lichts selbst aus. Während solche feinen Abweichungen etwa in
der Telekommunikation keine relevante Größe darstellen, können sie bei der
Navigation autonomer Objekte bis zu einer messbaren Abweichung vom Kurs führen.
Um diese Störeffekte zu verhindern, untersuchen Forschende vom
Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM neueste
Technologien und Materialien und setzen auf einen vielversprechenden Neuling auf
dem Markt, die Hohlkernfasern. Diese sind genauso dünn wie optische Fasern,
beinhalten in ihrem Inneren jedoch statt einer gläsernen Füllung lediglich Luft.
Das Licht kann den hohlen Kern ungehindert und somit störungsfrei durchdringen.
Risikofaktoren wie die genannten Materialveränderungen werden deutlich
reduziert. Das Licht breitet sich in Hohlkernfasern anderthalbmal schneller aus
als in Standardfasern. Daher sind Hohlkernfasern auch für die Datenübertragung
von hohem Interesse. Bislang sind sie in der Herstellung aber noch viel zu
teuer.
Um sich die Hohlkernfasern und ihre störungsresistenten Eigenschaften für den
Aufbau hochgenauer Gyroskope zu eigen zu machen und die Herstellungskosten zu
reduzieren, musste das Forschungsteam rund um die Photonik-Experten Wojciech
Lewoczko-Adamczyk und Stefan Lenzky einen Weg finden, wie die Aufbau- und
Verbindungstechnik mit den neuen Fasern umgesetzt werden kann. Eine besonders
große Herausforderung war dabei die Aufteilung des Lichtsignals auf mehrere
Kanäle. Die hierfür übliche Kopplung einzelner Lichtwellenleiter durch
Verschmelzen kommt für Hohlkernfasern nicht infrage, da sich ihre Röhrenstruktur
beim Schmelzvorgang verformen würde. Deshalb bauen die Forschenden
miniaturisierte Kollimatoren auf: Die hochpräzisen Linsen fangen das Licht an
einem Faserausgang auf und lassen es parallel wieder austreten, noch bevor es
sich zerstreut. Ist dieser Schritt einmal geschafft, kann das Licht mittels
halbreflektierender Spiegel aufgeteilt und in den Ringresonator geführt werden.
Am Ausgangspunkt wird seine Leistungsstärke gemessen und durch einen zweiten
Kollimator zurück in die Faser geführt.
Die Herstellung einer Kopplung mit zwei Kollimatoren benötigt jedoch äußerst
hohe Genauigkeit: In Laboren können die Bauteile durch präzise Positionierer
ausgerichtet und geklebt werden, doch nicht alle industriellen
Produktionsstätten verfügen über solche Anlagen, weshalb vor allem kleine und
mittelständische Unternehmen diesen Prozess bislang nicht anbieten können. Um
die Technologie dennoch in individuelle Anwendungen integrieren zu können,
entwickelt das deutsch-polnische Konsortium eine passive Kopplungsplattform.
Durch ihre Geometrie ermöglicht sie es, die gefertigten Kollimatoren wie in eine
Passform einzusetzen, so dass eine haargenaue Justage bei Kundinnen und Kunden
obsolet wird.
Obwohl das Projekt noch bis zum Jahresende läuft, verzeichnen die Forschenden
bereits Erfolge: So ist es zwar unabdingbar, dass Kollimatoren den Lichtstrahl
krümmen, doch die optischen Bauteile vom Fraunhofer IZM weisen einen maximalen
Brechungswinkel von 0,04° auf und sind damit um ein Zehnfaches präziser als
handelsübliche Lösungen. Somit ist es gelungen, die Kollimatorenpaare ohne
Justage auf der passiven Kopplungsplattform einzusetzen und dabei eine
Koppeleffizienz von über 85 Prozent zu demonstrieren. Im dritten und letzten
Projektjahr gilt es nun, die Plattform auf ihre Zuverlässigkeit zu testen, mit
weiteren optischen wie mechanischen Bauteilen auszustatten und in ein Gyroskop
einzusetzen. Ist der Rotationssensor einmal aufgebaut, kann die Technologie im
realen Umfeld getestet werden.
Die Montage-Plattform für Kollimatoren könnte nicht nur optische Gyroskope in
Flugzeugen und Satelliten robuster gegenüber Störfaktoren machen. Darüber hinaus
bietet sie eine hybride Ergänzung für integrierte optische Systeme, die zum
Beispiel beim Einsatz eines optischen Elements eine Freistrahl-Auskopplung
benötigen. Divergierendes, aus dem Wellenleiter austretendes Licht kann somit
parallelisiert und wieder verlustarm in Wellenleiter eingespeist werden. Die
optische Lösung spielt zudem bei der präzisen Materialbearbeitung durch
Lichtübertragung mit Ultra-Hochleistung sowie der Übertragung von Infrarot- und
kurzwelligem UV-Licht eine Rolle. Ebenfalls bietet die Telekommunikation
vielversprechende Anwendungsszenarien.
Die Forschungsergebnisse entstanden in dem vom Europäischen Fonds für
regionale Entwicklung (EFRE) geförderten Projekts ROYCE (Resonant hOllow-core-fiber
gYrosCopE), an dem die Nicolaus Copernicus Universität in Torun, Piktime Systems
sp. z o.o. sowie die Eagleyard Photonics GmbH beteiligt sind.
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