Wo Philae das zweite Mal aufsetzte
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
28. Oktober 2020
Nach Jahren der Detektivarbeit haben europäische
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der ESA-Mission Rosetta jetzt auf dem
Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko die Stelle finden können, an der das
Landemodul Philae am 12. November 2014 seinen zweiten und vorletzten
Bodenkontakt hatte. Dabei hinterließ Philae Spuren - und die verraten
einiges über den Kometen.

Beim Flug von Philae über die Oberfläche des
Kometen 67P traf der Lander an mehreren Stellen
auf die Oberfläche. Der Ausschnitt zeigt die
jetzt identifizierte zweite Touchdown-Site.
Bild: ESA / Rosetta / MPS for OSIRIS Team MPS
/ UPD / LAM / IAA / SSO / INTA / UPM / DASP /
IDA; Analysis: O’Rourke et al (2020)
[Grafik
mit dem gesamten Flug über den Kometen] |
"Nun kennen wir endlich den genauen Ort, wo Philae zum zweiten Mal
den Kometen berührte. Damit können wir die Flugbahn des Landers vollständig
rekonstruieren und prägnante wissenschaftliche Ergebnisse aus den
Telemetriedaten sowie Messungen einiger während des Landevorgangs angeschalteter
Messinstrumente ableiten", erklärt Dr. Jean-Baptiste Vincent vom DLR-Institut
für Planetenforschung, der an der jetzt veröffentlichten Forschungsarbeit
beteiligt ist.
"Philae hatte uns noch ein allerletztes Rätsel aufgegeben",
erläutert Laurence O’Rourke von der europäischen Weltraumagentur ESA die
Motivation hinter der mehrjährigen Suche nach "TD2", dem Touchdown-Punkt 2. "Es
war sehr wichtig, den Landeplatz zu identifizieren, denn die an Philae
angebrachten Sensoren zeigten an, dass der Lander sich in die Oberfläche
hineingegraben und so höchstwahrscheinlich das darunter liegende, urzeitliche
Eis freigelegt hatte." Über die vergangenen Jahre wurde die Stelle in den
zahlreichen Bildern und Daten von Philaes Landegebiet wie die
sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen gesucht.
Immer wieder suchten die Wissenschaftler in den hoch aufgelösten Aufnahmen
der OSIRIS-Kamera, einem Instrument des Max-Planck-Instituts für
Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen auf dem Rosetta-Orbiter, nach
Stellen von blankem Eis in der vermuteten Region – lange Zeit ohne Erfolg. Erst
die Auswertung von Messungen mit dem Magnetometer ROMAP, das unter der Leitung
der Technischen Universität Braunschweig für Philae gebaut wurde,
brachte die Wissenschaftler auf die richtige Spur.
Das Team untersuchte in den Daten auftretende Änderungen, als sich der 48
Zentimeter vom Lander abstehende Magnetometerausleger beim Treffen auf die
Oberfläche bewegte – also weggebogen wurde. Dabei ergab sich ein
charakteristisches Muster in den ROMAP-Daten, das zeigte wie sich der Ausleger
relativ zu Philae bewegte. Das ermöglichte es den Forschenden
abzuschätzen, wie lange die Sonde in das Eis eingedrungen war. Die Daten von
ROMAP wurden mit denen des RPC-Magnetometers auf Rosetta korreliert, um
die genaue Orientierung von Philae zu bestimmen.
Die Analyse der Daten ergab, dass Philae fast zwei volle Minuten –
in dieser Umgebung mit winziger Gravitation ist das nicht ungewöhnlich – an der
zweiten Bodenkontaktstelle verbracht hatte und dabei mindestens vier
verschiedene Oberflächenkontakte hatte, während die Sonde durch die zerklüftete
Landschaft "pflügte". Ein besonders bemerkenswerter Abdruck, der in den Bildern
sichtbar wurde, entstand, als die Oberseite von Philae an der Seite
einer offenen Spalte 25 Zentimeter in das Eis sank und dort erkennbare Spuren
des Bohrturms und der Oberseite hinterließ. Die Spitzen in den Magnetfelddaten,
die sich aus der Auslegerbewegung ergaben, zeigten, dass Philae drei
Sekunden brauchte, um diese spezielle "Delle" zu erzeugen.
Die ROMAP-Daten halfen, diese Stelle mit der eisgefüllten, hellen offenen
Spalte in OSIRIS-Aufnahmen zu entdecken. Von oben betrachtet erinnerte ihr
Anblick die Forscher an einen Totenschädel, und so tauften sie die Kontaktstelle
"Schädeldecken-Grat". Das "rechte Auge" des Schädels entstand, als Philaes
Oberseite den Kometenstaub hier zusammenpresste, während Philae wie
eine Windmühle durch den Spalt zwischen den staubbedeckten Eisblöcken kratzte,
um schließlich wieder abzuheben und die letzten wenigen Meter bis zum
endgültigen Ruheort zurückzulegen.
"In den Daten sahen wir damals, dass Philae mehrmals Bodenkontakt
hatte und letztlich in einer schlecht beleuchteten Stelle gelandet ist. Wir
kannten auch aus CONSERT-Radarmessungen den ungefähren endgültigen Landeplatz.
Das genaue Szenario der Philae Trajektorie und die exakten Punkte mit
Bodenkontakt konnten jedoch nicht so schnell interpretiert werden", erinnert
sich Philae-Projektleiter Dr. Stephan Ulamec vom DLR.
Die Auswertung der OSIRIS-Fotos und mit dem abbildenden Spektrometer VIRTIS
bestätigten, dass das helle Material pures Wassereis ist, das durch den
Philae-Kontakt auf einer Fläche von 3,5 Quadratmetern exponiert wurde.
Während dieses Kontakts lag die Region noch im Schatten. Erst Monate später fiel
Sonnenlicht darauf, so dass das Eis immer noch hell in der Sonne glänzte und
kaum von der Weltraumumgebung verwittert war und nachdunkelte, lediglich das Eis
anderer flüchtiger Stoffe wie Kohlenmonoxid oder -dioxid verdampfte.
Ist diese Rekonstruktion der Ereignisse allein schon eine anspruchsvolle
Detektivarbeit, bietet diese erste direkte Messung der Konsistenz von Kometeneis
vor allem auch wichtige Erkenntnisse: Die Parameter des Bodenkontakts zeigten,
dass diese Milliarden Jahre alte Eisstaubmischung außerordentlich weich ist: Sie
ist poröser als der Schaum auf einem Cappuccino, dem Schaum in der Badewanne
oder in den Schaumkronen von an die Küste auslaufenden Wellen.
"Die mechanische Spannung, die das Kometeneis in diesem von Staub bedeckten
Brocken zusammenhält, beträgt gerade einmal 12 Pascal. Das ist nicht viel mehr
als "nichts"", erläutert Vincent, der sich mit der Druck- und
Zugfestigkeit von "primitivem" Eis beschäftigt, das in Kometen seit viereinhalb
Milliarden Jahren wie in einer kosmischen Tiefkühltruhe als Zeugnis der
frühesten Stunden des Sonnensystems aufbewahrt ist.
Die Untersuchung ermöglichte auch eine Schätzung der Porosität des "Felsens",
der von Philae touchiert wurde: Etwa 75 Prozent, also drei Viertel des
Inneren, besteht aus Hohlräumen. Die auf den Bilder allgegenwärtigen
"Felsbrocken" sind also eher mit Styroporfelsen in einer Fantasielandschaft im
Filmstudio vergleichbar als mit echten, harten, massiven Felsen. An einer
anderen Stelle bewegte sich ein in mehreren Fotos festgehaltener, sechs Meter
großer Block, durch den Gasdruck verdampfenden Kometeneises sogar hangaufwärts.
Diese Beobachtungen bestätigen ein Ergebnis der Rosetta-Orbitermission,
die einen ähnlichen Zahlenwert für den Anteil von Hohlräumen ermittelte und
zeigte, dass das Innere von 67P/Churyumov-Gerasimenko bis auf eine Blockgröße
von einem Meter homogen sein dürfte. Das zieht die Schlussfolgerung nach sich,
dass die "Felsbrocken" an der Oberfläche den Gesamtzustand des Kometeninneren
darstellen, als er sich vor etwa 4,5 Milliarden Jahren gebildet hat.
Das Ergebnis ist nicht nur wissenschaftlich für die Charakterisierung von
Kometen, der zusammen mit den Asteroiden ursprünglichsten Körper des
Sonnensystems, relevant, sondern ermöglicht auch Abschätzungen für zukünftige
Kometenmissionen, bei denen auf einem dieser "Schweifsterne" aufgesetzt und
Probenmaterial für die Rückführung zu Erde gewonnen werden soll, was gegenwärtig
in Überlegung ist.
Philae wurde am Nachmittag des 12. November sanft von der
Muttersonde Rosetta abgetrennt und fiel mit der Geschwindigkeit eines
Fußgängers in Richtung des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko. Wie Bilder der
DLR-Kamera ROLIS später zeigten, traf die etwa kubikmetergroße Landesonde die
vorgesehene Landestelle Agilkia nahezu perfekt. Allerdings konnte sich
Philae nicht auf dem Kometen verankern, weil die dafür vorgesehenen
Ankerharpunen nicht zündeten. Da der Komet nur etwa ein Hunderttausendstel der
Anziehungskraft im Vergleich zur Erde an ihrer Oberfläche hat, prallte
Philae vom Kometen ab, erhob sich bis in einen Kilometer Höhe und schwebte
über die Region Hatmehit auf dem kleineren der beiden Kometenhalbkörper.
Nach über zwei Stunden meldete sich Philae: Die während der beiden
Stunden zu Rosetta übertragenen Daten zeigten, dass die Sonde nach
ihrem turbulenten Hüpfflug, einer unsanften Kollision mit einer Geländekante und
zwei weiteren Bodenkontakten zur Ruhe gekommen war. Wenig später konnte
Philae auch Bilder des Abydos getauften endgültigen Landeplatzes via
Rosetta zur Erde funken. Aus diesen ging schnell hervor, dass der Lander
nun nicht wie geplant an einer günstigen Stelle mit ausreichend Sonnenlicht
stand.
Für das Team im DLR-Kontrollraum fing nach der unerwartet verlaufenen Landung
die Arbeit erst richtig an: Fast 60 Stunden betrieben sie den Lander,
kommandierten seine zehn Instrumente an Bord und drehten ihn am Ende auch noch
etwas in Richtung Sonnenstrahlen. Dennoch ging der Strom der Primärbatterie zur
Neige, weil zu wenig Strom produziert werden konnte. Die Akkus konnten nicht
ausreichend aufladen, da die Sonne den Lander an jedem 12,4-Stunden-Kometentag
nur für knapp anderthalb Stunden beschien.
Tatsächlich rätselte das vielhundertköpfige Rosetta-Team 22 Monate lang, wo
denn Philae tatsächlich stand: Erst eine Nahaufnahme der OSIRIS-Kamera,
wenige Wochen vor dem Missionsende am 2. September 2016 aufgenommen, zeigte, wie
Philae in einer Art Felsspalte unter einem das Sonnenlicht
abschirmenden Überhang aufrecht festgeklemmt war. Zum Missionsende wurde die
Raumsonde Rosetta am 30. September 2016 ebenfalls auf
Churyumov-Gerasimenko in einem letzten Manöver hart abgesetzt.
Über ihre Analyse berichtet das Team heute in einem Fachartikel der Zeitschrift
Nature.
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