Sonnenfinsternis lässt Seismometer kippen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der ETH Zürich astronews.com
7. September 2020
Das Seismometer der NASA-Mission Insight zeichnet
nicht nur Marsbeben auf, sondern reagiert erstaunlicherweise auch auf
Sonnenfinsternisse: Zieht der Marsmond Phobos direkt vor der Sonne vorbei, kippt
das Instrument ein wenig zur Seite. Der winzige Effekt könnte bei der
Erforschung des Inneren des Roten Planeten helfen.

Seismometer auf dem Mars: Verdunkelt der
Mond Phobos die Sonne, kippt das Seismometer kaum
messbar zur Seite und registriert so den Transit
des Mondes vor der Sonne.
Bild: NASA / JPL [Großansicht] |
Steht man auf dem Mars, kann man den Mond Phobos beobachten, wie er alle fünf
Stunden den Planeten von West nach Ost umkreist. Seine Bahn verläuft so, dass er
an jedem Ort auf dem Mars etwa einmal pro Erdenjahr direkt vor der Sonne
vorbeizieht. Es kommt jeweils innerhalb von drei Tagen zu einer bis sieben
Sonnenfinsternissen, so auch am Landeplatz der NASA-Sonde InSight, die
seit November 2018 in der Region Elysium Planitia steht. Das Phänomen ist also
viel häufiger als auf der Erde, wenn unser Mond die Sonne verdunkelt.
"Allerdings sind die Finsternisse auf dem Mars kürzer, sie dauern nur 30
Sekunden und die Bedeckung ist nie vollständig", erklärt Simon Stähler,
Seismologe am Institut für Geophysik der ETH Zürich. Fotos der NASA-Marsrover
Opportunity und Curiosity zeigen denn auch einen kantigen
Brocken, der vor der Sonne hängt. Doch diese sogenannten Transite lassen sich
nicht nur auf Bildern beobachten. "Auf der Erde misst man bei einer
Sonnenfinsternis einen Temperaturabfall und rasche Windböen, weil die Atmosphäre
jeweils an einer Stelle kälter wird und und sich die Luft von dort weg bewegt",
erklärt Stähler. Eine Analyse der Daten von InSight sollte zeigen, ob
ähnliche Effekte auch auf dem Mars nachweisbar sind.
Im April 2019 war vom Landeplatz der NASA-Sonde eine erste Serie von
Sonnenfinsternissen zu sehen, doch nur ein Teil der damals gemessenen Daten
wurde gespeichert. Sie lieferten erste Hinweise, so dass sich Stähler und eine
internationale Gruppe von Forschenden gespannt auf die nächste Finsternis-Serie
am 24. April 2020 vorbereiteten.
Wie erwartet registrierten die Solarzellen von InSight die Transits.
"Steht Phobos vor der Sonne, gelangt weniger Sonnenlicht auf die Solarzellen und
diese produzieren dadurch weniger Strom", erklärt Stähler. "So lässt sich der
Abfall bei der Lichteinstrahlung durch die Bedeckung messen." Tatsächlich sank
die Sonneneinstrahlung während einer Finsternis um 30 Prozent. Die Wetterstation
von InSight jedoch zeigte keine atmosphärischen Veränderungen. Die
Winde drehten nicht wie erwartet. Dafür sorgten andere Instrumente für eine
Überraschung: Sowohl das Seismometer wie auch das Magnetometer haben einen
Effekt gemessen.
Das Signal des Magnetometers lässt sich höchstwahrscheinlich auf den
Stromabfall in den Solarzellen zurückführen, wie Anna Mittelholz zeigte, die
kürzlich dem Mars-Team der ETH beigetreten ist. "Das Seismometer-Signal haben
wir jedoch nicht erwartet, es ist eine Kuriosität", sagt Stähler. Normalerweise
zeichnet das Instrument, dessen Elektronik an der ETH entwickelt wurde, Beben
auf dem Planeten auf. Bisher hat der Marsbebendienst, der von John Clinton und
Domenico Giardini an der ETH geleitet wird, rund 40 klassische Beben
registriert, wobei die stärksten eine Magnitude von 3,8 aufwiesen, dazu mehrere
Hundert regionale, flache Beben.
Die Überraschung während der Sonnenfinsternis: Das Seismometer kippte ein
wenig in eine bestimmte Richtung. "Die Neigung ist wirklich äußerst gering",
erklärt Stähler: "Stellen Sie sich ein Fünffrankenstück vor und schieben Sie auf
der einen Seite zwei Silberatome darunter. Das ergäbe diese Neigung von 10-8."
So klein dieser Effekt war, so eindeutig messbar zeigte er sich."Die banalste
Erklärung wäre, dass die Anziehungskraft von Phobos dafür verantwortlich ist, so
wie der Erdmond die Gezeiten verursacht", sagt Stähler, "doch dies kann man
schnell ausschließen." Denn dann müsste das Seismometer-Signal alle fünf
Stunden, wenn Phobos vorbeizieht, für eine längere Dauer messbar sein.
Die wahrscheinlichste Ursache für das Kippen: "Während der Finsternis kühlt
sich der Boden ab. Er verformt sich ungleichmäßig und löst so die Neigung aus",
so Martin van Driel von der Gruppe für Seismologie und Wellenphysik. Tatsächlich
registrierte ein Infrarotsensor auf dem Mars eine Abkühlung des Bodens von zwei
Grad. Berechnungen zeigten, dass die Kältewelle während 30 Sekunden zwar nur
Mikro- bis Millimeter tief in den Boden eindringt, doch dieser Effekt hat die
richtige Größenordnung, um das Kippen zu verursachen.
Eine Beobachtung auf der Erde stützt Stählers Theorie. Am Black Forest
Observatory in einer alten Silbermine im Schwarzwald entdeckte Rudolf
Widmer-Schnidrig ein ähnliches Phänomen: Beim Test eines Seismometers wurde
versehentlich das Licht nicht ausgeschaltet. Es zeigte sich, dass die
Wärmestrahlung einer 60-Watt-Glühbirne ausreichte, um den Granit tief in der
Erde an seiner obersten Schicht zu erwärmen, so dass sich dieser ein wenig
ausdehnte und das Seismometer eine kleine Verschiebung zur Seite anzeigte.
Das winzige Kipp-Signal vom Mars könnte dazu verwendet werden, die Bahn von
Phobos genauer als bisher möglich zu bestimmen. Denn die Position von
InSight ist der am präzisesten vermessene Ort auf dem Mars. Weiß man, wann
hier ein Phobos-Transit genau beginnt und endet, lässt sich die Umlaufbahn des
Mondes exakt berechnen. Dies ist für künftige Raumfahrtmissionen wichtig. So
will die japanische Raumfahrtorganisation JAXA im Jahr 2024 eine Sonde zu den
Marsmonden schicken und Proben von Phobos zur Erde zurückholen. "Dafür muss man
wissen, wo man genau hinfliegen will", sagt Stähler.
Präzise Bahndaten von Phobos könnten aber auch mehr Aufschluss über das
Innere von Mars geben. Während unser Mond an Drehimpuls gewinnt und sich
kontinuierlich von der Erde entfernt, wird Phobos langsamer und nähert sich dem
Mars, bis er in 30 bis 50 Millionen Jahren auf den Planeten stürzen wird. "Diese
leichte Verlangsamung können wir benutzen, um abzuschätzen, wie elastisch und
damit wie heiß der Mars in seinem Innern ist, denn kaltes Material ist immer
elastischer als heißes», erklärt Amir Khan, ebenfalls vom Institut für Geophysik
der ETH.
Letztlich möchten die Forschenden wissen, ob der Mars aus dem gleichen
Material geformt wurde wie die Erde oder ob unterschiedliche Bausteine eine
Erklärung dafür liefern können, dass es auf der Erde eine Plattentektonik, eine
dichte Atmosphäre und lebensfreundliche Bedingungen gibt – Dinge, die auf dem
Mars fehlen.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem
Fachartikel, der in der Zeitschrift Geophysical Research Letters
erschienen ist.
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