Ein ungewöhnlich ruhiger Stern seiner Klasse?
Redaktion
/Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
4. Mai 2020
Die Aktivität unserer Sonne schwankt. Manchmal sind auf ihr
unzählige Sonnenflecken zu sehen und es kommt zu gewaltigen Protuberanzen.
Aktuell präsentiert sie sich hingegen als sehr ruhiger Stern. Eine Analyse von
369 sonnenähnlichen Sternen deutet nun darauf hin, dass die
Helligkeitsschwankungen der Sonne generell ausgesprochen schwach sind.

Vergleich der Helligkeitsschwankungen der
Sonne mit der eines typischen, sonnenähnlichen
Sterns.
Bild: MPS / hormesdesign.de [Großansicht] |
Die Sonne zeigt sich uns als wandelbarer Stern: Mal überziehen zahlreiche,
zum Teil riesige dunkle Flecke seine sichtbare Oberfläche, mal ist die
Oberfläche völlig "leer". Im kosmischen Vergleich jedoch ist die Sonne
außergewöhnlich eintönig. Zu diesem Ergebnis kommen Forscherinnen und Forscher
unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in
Göttingen in einer neuen, jetzt veröffentlichten Studie.
Erstmals verglichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Sonne
mit Hunderten anderer Sterne, die ihr in Bezug auf Rotationsgeschwindigkeit und
weitere fundamentale Eigenschaften gleichen. Die meisten erwiesen sich als viel
variationsreicher. Das wirft die Frage auf, ob die Sonne grundsätzlich zu den
stellaren Schlafmützen zählt oder lediglich seit einigen Jahrtausenden eine
ungewöhnlich ruhige Phase durchläuft.
Wie stark die Aktivität der Sonne (und damit auch die Anzahl ihrer
Sonnenflecke und ihre Strahlungsleistung) schwankt, lässt sich mit verschiedenen
Methoden nachvollziehen – zumindest für einen gewissen Zeitraum. Seit 1610 etwa
gibt es verlässliche Aufzeichnungen über die Sonnenflecke auf der Sonne; die
Verteilung radioaktiver Spielarten von Kohlenstoff und Beryllium in Baumringen
und Eisbohrkernen erlaubt Rückschlüsse auf die Sonnenaktivität der vergangenen
9000 Jahre. Für diesen Zeitraum finden sich regelmäßig wiederkehrende
Schwankungen vergleichbarer Stärke.
"Auf das gesamte 'Leben' der Sonne bezogen ist der Zeitraum, den wir
rekonstruieren können, jedoch nur ein Wimpernschlag", ordnet MPS-Wissenschaftler
Dr. Timo Reinhold den bisherigen Kenntnisstand ein. Schließlich ist unser Stern
nahezu 4,6 Milliarden Jahre alt. "Es ist denkbar, dass die Sonne seit
Jahrtausenden eine ruhige Phase durchläuft und wir deshalb ein verzerrtes Bild
von ihr haben", fügt er hinzu.
Da es keine Möglichkeit gibt zu untersuchen, wie aktiv die Sonne in Urzeiten
war, bleibt nur der Blick in die Sterne: Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen
der University of New South Wales in Australien gingen die
MPS-Forscherinnen und -Forscher der Frage nach, ob sich die Sonne im Vergleich
zu anderen Sternen "normal" verhält. Dies kann helfen, ihre derzeitige Aktivität
einzuordnen. Dabei wählten die Forscherinnen und Forscher solche Kandidaten aus,
die der Sonne in entscheidenden Eigenschaften gleichen.
Neben der Oberflächentemperatur, dem Alter und dem Anteil von Elementen, die
schwerer sind als Wasserstoff und Helium, schauten die Forscherinnen und
Forscher vor allem auf die Rotationsgeschwindigkeit. "Die Geschwindigkeit, mit
der sich ein Stern um die eigene Achse dreht, ist eine entscheidende Größe",
erklärt Prof. Dr. Sami Solanki, Direktor am MPS und Koautor der neuen
Veröffentlichung. Die Drehung trägt dazu bei, dass im Innern eines Sterns in
einem Dynamoprozess sein Magnetfeld entsteht. "Das Magnetfeld ist die treibende
Kraft, die für alle Aktivitätsschwankungen verantwortlich ist", so Solanki.
Der Zustand des Magnetfeldes bestimmt, wie häufig die Sonne in heftigen
Eruptionen Strahlung und Teilchen ins All schleudert, wie zahlreich dunkle
Sonnenflecke und besonders helle Regionen auf ihrer Oberfläche auftreten - und
damit auch wie hell die Sonne scheint. Ein umfangreicher Katalog der
Rotationsgeschwindigkeiten Tausender Sterne liegt seit wenigen Jahren vor. Er
beruht auf Messdaten des Weltraumteleskops Kepler der amerikanischen
Weltraumbehörde NASA, das von 2009 bis 2013 die Helligkeitsschwankungen von etwa
150.000 Hauptreihensternen (also solchen, die sich in etwa in der Mitte ihres
Lebens befinden) aufzeichnete.
Diese riesige Menge durchforsteten die Forscherinnen und Forscher und wählten
die Sterne aus, die sich innerhalb von 20 bis 30 Tagen einmal um die eigene
Achse drehen. Die Sonne benötigt dafür etwa 24,5 Tage. Diese Vergleichsgruppe
konnten die Forscherinnen und Forscher mithilfe von Daten des europäischen
Weltraumteleskops Gaia weiter einschränken. Es blieben 369 Sterne, die
der Sonne auch in weiteren grundlegenden Eigenschaften ähneln.
Die genaue Analyse der Helligkeitsschwankungen dieser Sterne in der Zeit von
2009 bis 2013 offenbart ein klares Bild. Während die Gesamtstrahlungsleistung
der Sonne zwischen aktiven und inaktiven Phasen im Mittel um gerade einmal 0,07
Prozent schwankte, zeigten sich ihre stellaren Kollegen deutlich
variationsreicher. Ihre Schwankungen sind typischerweise etwa fünfmal so stark.
"Wir waren sehr überrascht, dass die meisten sonnenähnlichen Sterne so viel
aktiver als die Sonne sind", so Dr. Alexander Shapiro vom MPS, der dort die
Forschergruppe "Verbindung Solarer und Stellarer Variabilität" leitet.
Allerdings lässt sich längst nicht für alle Sterne, die das Kepler-Teleskop
beobachtete, die Rotationsgeschwindigkeit bestimmen. Dafür müssen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Daten bestimmte, periodisch
auftretende Verdunklungen finden. Sie lassen sich darauf zurückführen, dass
Sternenflecke die Oberfläche dieser Sterne verdunkeln, sich mit einer festen
Geschwindigkeit aus dem Blickfeld des Teleskops drehen und dann nach einem
festen Zeitraum wiederauftauchen. "Bei vielen Sternen lassen sich solche
periodischen Verdunklungen nicht aufspüren; sie gehen im Rauschen der Messdaten
und in den anderen Helligkeitsschwankungen des Sterns unter", erklärt Reinhold.
Auch die Sonne würde durch das Kepler-Teleskop betrachtet ihre
Rotationsgeschwindigkeit nur schwerlich preisgeben. Die Forscherinnen und
Forscher untersuchten deshalb auch mehr als 2500 sonnenähnliche Sterne, deren
Rotationsgeschwindigkeit sich bisher nicht bestimmen lässt. Deren Helligkeit
schwankte deutlich weniger als die der anderen Gruppe.
Aus Sicht der Forscherinnen und Forscher lassen ihre Ergebnisse zwei
Interpretationen zu. So könnte es einen noch ungeklärten, grundsätzlichen
Unterschied zwischen den Sternen mit bekannter Rotationsgeschwindigkeit geben
und solchen, denen sich dieser Wert bisher nicht entlocken lässt. "Genauso
denkbar ist es, dass uns die Sterne mit bekannten und sonnenähnlichen
Rotationsgeschwindigkeiten zeigen, zu welchen Aktivitätsschwankungen die Sonne
grundsätzlich fähig ist", so Shapiro. Dies würde bedeuten, dass unser Stern in
den vergangenen 9000 Jahren, für die wir seine Aktivität abschätzen können,
ungewöhnlich langweilig war und dass auf sehr großen Zeitskalen auch Phasen mit
deutlich stärkeren Schwankungen denkbar sind.
Grund zur Sorge gibt es indes nicht. Für die absehbare Zukunft deutet nichts
auf eine solche solare "Hyperaktivität" hin. Im Gegenteil: Die Sonne zeigt sich
seit einem Jahrzehnt selbst für ihre Verhältnisse ziemlich schlapp. Vorhersagen
der Aktivität der nächsten elf Jahre deuten darauf hin, dass sich an diesem
"Schwächezustand" auf absehbare Zeit nichts ändern wird.
Die Studie wurde durch einen "Starting Grant" des Europäischen Forschungsrats
gefördert, die Ergebnisse jetzt in der Fachzeitschrift Science
veröffentlicht.
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