Besserer Blick auf gefährliche Trümmer
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bern astronews.com
29. Mai 2018
Am Observatorium Zimmerwald bei Bern sind in den letzten
Monaten zwei zusätzliche Teleskopkuppen entstanden. Ein bereits vorhandener
Kuppelbau wurde erneuert. Jetzt stehen hier sechs vollautomatische Teleskope zur
Himmelsüberwachung zur Verfügung. Sie sollen vor allem eingesetzt werden, um
Weltraumschrott zu entdecken und zu katalogisieren.
Die beiden neuen Kuppelbauten des
Observatoriums Zimmerwald mit 5,3 Metern (links)
und 4,5 Metern (rechts) Durchmesser.
Bild: Universität Bern / Manu Friederich [Großansicht] |
Am Nachmittag des 10. Februars 2009 stieß über Sibirien in einer Höhe
von rund 800 Kilometern der noch aktive Satellit Iridium 33 mit dem
ausgedienten Kommunikationssatelliten Kosmos 2251 zusammen. Der
Aufprall erfolgte mit einer Geschwindigkeit von elf Kilometern pro Sekunde und
erzeugte eine Trümmerwolke aus über 2000 Bruchstücken mit einer Größe von mehr
als zehn Zentimetern. Innerhalb weniger Monate breiteten sich diese Trümmer
weiträumig aus und drohen seither mit weiteren aktiven Satelliten
zusammenzustoßen.
"Dieses Ereignis war ein ultimativer Weckruf für alle Satellitenbetreiber,
aber auch für die Politik", sagt Thomas Schildknecht, Direktor des
Observatoriums Zimmerwald. Die Problematik von sogenanntem Weltraumschrott –
ausgediente künstliche Objekte im Weltraum – erhielt eine neue Dimension. Mit
der Problematik befassen sich Experten und Weltraumagenturen bereits seit bald
50 Jahren. So liefern Forschungen an der Universität Bern die wissenschaftlichen
und empirischen Grundlagen für Modelle und Maßnahmen, um die Anzahl der Objekte
zu stabilisieren, damit auch in Zukunft eine sichere und nachhaltige Nutzung des
Weltraums möglich ist.
Um die aktuelle Population von Weltraumschrott besser zu verstehen, sind
aufwendige Beobachtungen mit bodengestützten Radaranlagen und optischen
Teleskopen nötig. Mit solchen Messungen können größere Objekte regelmäßig
verfolgt und ihre Bahnen bestimmt werden. Heute sind die Bahnen von etwa 20.000
Objekten in Höhen von 300 bis 40.000 Kilometern bekannt. Für Teile kleiner als
etwa zehn Zentimeter sind nur statistische Angaben möglich. Die Messungen weisen
auf eine Gesamtzahl von etwa 700.000 Raumschrottobjekten der Größe von einem
Zentimeter bis zehn Zentimetern hin.
"Die Teilchen mögen klein sein, sind aber keineswegs ungefährlich: Bei einer
Kollision mit einem Teilchen von einem Zentimeter Durchmesser wird
beispielsweise die Energie einer explodierenden Handgranate freigesetzt", sagt
Schildknecht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Astronomischen
Instituts der Universität Bern (AIUB) suchen mit Teleskopen am Observatorium in
Zimmerwald bei Bern, genannt "Swiss Optical Ground Station and Geodynamics
Observatory", sowie mit einem Teleskop der Europäischen Raumagentur ESA im
spanischen Teneriffa nach solchen kleinen Raumschrottteilen, die sich in hohen
Erdumlaufbahnen befinden.
Zusätzlich zu den Bahnregionen der Navigationssatelliten (in etwa 20.000 km
Höhe) wird die Region des "geostationären Rings", der sich auf 36.000 Kilometern
Höhe befindet, genauer untersucht. In dieser Region scheinen die Satelliten
bezüglich der Erde still zu stehen und können daher immer den gleichen
Ausschnitt der Erdoberfläche beobachten oder in die gleiche Region Signale
ausstrahlen. Der geostationäre Raum wird sehr stark genutzt und ist jetzt schon
dicht besetzt, was das Kollisionsrisiko zunehmend erhöht. Der Platz ist daher
beschränkt, was zu Spannungen zwischen Satellitenbetreibern oder sogar Staaten
führen kann.
In den letzten 20 Jahren entdeckten die Forschenden am AIUB mithilfe dieser
Messungen unzählige Schrottteilchen, darunter eine neue, unerwartete Population
sehr leichter Objekte. Genauere Untersuchungen dieser Einzelobjekte lassen
darauf schließen, dass es sich um Bruchstücke von Folien handelt, die zur
thermischen Isolation von Satelliten verwendet werden. Diese Resultate leisten
einen wesentlichen Beitrag zu den Modellen, welche die heutige
Raumschrottpopulation beschreiben und die als Ausgangspunkt zur Berechnung von
Zukunftsszenarien dienen.
Die Modelle deuten alle auf eine starke Zunahme der Raumschrottpopulation in
den nächsten Jahrzehnten hin. Um diese Zunahme zu begrenzen, werden zahlreiche
Maßnahmen notwendig sein – wie etwa das Vermeiden von Kollisionen (etwa durch
Ausweichmanöver), das Entfernen der Objekte aus den kritischen Regionen am Ende
ihrer Mission (beispielsweise durch Verglühenlassen in der Erdatmosphäre) und
möglicherweise das aktive Beseitigen alter, ausgedienter Satelliten und
Raketen-Oberstufen mit Hilfe eines "Räumroboters".
Die beiden kürzlich erstellten Kuppelbauten sowie der Ausbau der bestehenden
Sechs-Meter-Kuppel ermöglichten es, drei neue Teleskope modernster Generation
zur Erforschung und Überwachung der Weltraumschrottpopulation zu installieren.
Eines dieser Instrumente mit zwei 40cm-Weitfeldteleskopen wird es erlauben,
Schrottobjekte im geostationären Ring permanent zu beobachten, um ihre Bahnen in
einem Katalog zu überwachen. Das neue 80cm-Teleskop erfüllt die Voraussetzungen,
um kleine Bruchstücke zu finden und mittels spektroskopischer Messungen ihre
Beschaffenheit und damit ihren Ursprung zu ermitteln.
In einer der zwei neuen Kuppeln wird in Zusammenarbeit mit dem Deutschen
Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR ein Teleskop aufgebaut und getestet. Dieses
Instrument soll im Hebst 2018 nach Australien gebracht werden, um zusammen mit
einem schon bestehenden AIUB-DLR-Teleskop in Südafrika ein weltweites optisches
Netzwerk zu etablieren.
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