Was die Bewegung von Sternen verrät
Redaktion
/ Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) astronews.com
24. Mai 2018
Mithilfe des Instruments MUSE am Very Large Telescope
der europäischen Südsternwarte ESO haben Astronomen die Bewegung von Sternen in
den größten und massereichsten Galaxien im Universum untersucht - mit einem
überraschenden Ergebnis: Offenbar hat die Hälfte dieser Galaxien eine sehr
spezielle Kollision hinter sich.

Karte der gemessenen mittleren
Sterngeschwindigkeiten einer Galaxie: Blau
bedeutet, dass sich die Sterne in diesem Teil der
Galaxie uns nähern und rot, dass sie von uns
wegfliegen.
Bild: MUSE / D. Krajnovic [Großansicht] |
Den Umlaufbahnen der Sterne in den massereichsten Galaxien widmet sich eine
neu erschienene Studie, deren Ergebnisse überraschen: Während sich die eine
Hälfte der untersuchten sehr massereichen Galaxien wie erwartet um ihre kleine
Achse dreht, rotiert die andere Hälfte um ihre große Achse. Diese Art der
Rotation ist wahrscheinlich das Ergebnis einer speziellen Form von
Galaxienkollisionen, bei der gasfreie Galaxien ähnlicher Masse verschmelzen.
Dies bedeutet, dass das Wachstum der massereichsten und größten Galaxien im
Universum von diesen seltenen Ereignissen bestimmt wird.
Die Vermessung der Sternenbewegungen innerhalb von Galaxien erlaubt
Rückschlüsse auf die innere Struktur von Galaxien, ihre dreidimensionale Form
und das zugrunde liegende Gravitationspotential. Um die größten und
massereichsten Galaxien zu untersuchen, beobachtete ein Team von
Wissenschaftlern unter der Leitung von Dr. Davor Krajnovic vom Leibniz-Institut
für Astrophysik Potsdam (AIP) besonders helle Galaxien bis zu einer Entfernung
von 800 Millionen Lichtjahren.
Diese "leben" in den dichtesten Regionen des Universums – beispielsweise in
Galaxienhaufen wie dem Shapley-Superhaufen. Zudem sind sie sehr selten und etwa
einhundertmal massereicher als unsere Heimatgalaxie Milchstraße, die bereits
eine Sternenmasse von 60 Milliarden Sonnen aufweist. Die massereichsten Galaxien
sind außerdem nahezu gasfrei, zeigen keine Sternentstehungsaktivität und ihre
Sterne sind mindestens zehn Milliarden Jahre alt.
Leider sind diese Galaxien zu weit von uns entfernt, um einzelne Sterne und
deren Bewegung beobachten zu können. Deshalb vermisst man die durchschnittlichen
Bewegungen der Sterne in bestimmten Regionen. "Dafür sind
Integralfeld-Spektrographen besonders gut geeignet", erklärt Krajnovic. "Wir
beobachteten die Galaxien mit MUSE, dem wunderbaren Integralfeld-Spektrographen
am Very Large Telescope der ESO auf dem Cerro Paranal in Chile.
Massereiche Galaxien können alle möglichen Bewegungsmuster aufweisen – einige
ähneln rotierenden Frisbees, andere zeigen keinen spezifischen Rotationssinn.
Die Form Letzterer erinnert an runde Bälle oder vielleicht Rugbybälle. Wir haben
die massereichsten Galaxien beobachtet und festgestellt, dass sie sich von
anderen Galaxien unterscheiden."
Der Großteil der Galaxien mittlerer Masse weist sehr regelmäßige stellare
Bewegungsmuster auf, wie man sie auch von Scheibengalaxien wie unserer
Milchstraße kennt. Zusätzlich zu der geordneten Bewegung der Sterne gibt es auch
einen klar definierten Drehsinn um die kleine Achse des Objekts; der Drehimpuls
ist an der kleinen Achse einer abgeflachten Kugel ausgerichtet.
"Wir wussten, dass nur 15 Prozent der Galaxien mittlerer Masse unregelmäßige
Bewegungsmuster aufweisen oder sogar generell wenig Rotation zeigen", erläutert
Krajnovic. "Für solche Galaxien ist der Gesamtdrehimpulsvektor oft nicht an
einer der Hauptachsen der Galaxie ausgerichtet und sie haben eine sphärische
Form oder sind leicht langgezogen, ähnlich wie Rugbybälle. Einige von ihnen
haben eine interessante Ausrichtung und rotieren um die längste Achse der
Galaxie. Bisher waren nur wenige Fälle bekannt."
In ihrer Studie stellt das internationale Team von Astronomen fest, dass
diese galaktischen "rotierenden Rugbybälle" viel häufiger vorkommen als bisher
angenommen, sobald man das extreme Ende der Galaxienpopulation betrachtet: die
massereichsten Galaxien im Universum. Das Ergebnis ist bemerkenswert, da es auf
ein sehr spezifisches Formationsszenario für die massereichsten Galaxien
hinweist.
Numerische Simulationen zeigen nämlich, dass die Rotation entlang der großen
Achse durch die Verschmelzung zweier massereicher Galaxien mit ähnlicher Größe
(und Masse) erzeugt werden kann, wenn diese sich auf speziellen Bahnen ereignet:
eine Art Frontalzusammenstoß im Weltraum. Diese Galaxienkollisionen sind
gewaltige Ereignisse, die die inneren Strukturen der Vorläufergalaxien
vollständig umformen.
Die verschmolzene Galaxie ähnelt einem drehenden Rugbyball. Die inneren
stellaren Bahnen werden zudem viel komplexer. Dies führt zu einer Kinematik, bei
der die einfache geordnete Bewegung durch eine komplexe Strömung um eine der
drei Hauptachsen eines Sphäroids ersetzt wird. Die massereichsten Galaxien
stehen am Ende der Galaxienbildung und erweisen sich als sehr komplexe
Sternsysteme. Die Studie trägt dazu bei, das Geheimnis der Entstehung dieser
gewaltigsten galaktischen Systeme zu enthüllen.
Über ihre Untersuchungen berichten die Astronomen in einem Artikel in der
Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society.
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