Millisekundenpulsar schweigt im Radiobereich
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
1. März 2018
Im Rahmen des Projekts Einstein@Home können sich
Computerbenutzer auf der ganzen Welt an der Suche nach bislang unentdeckten
Millisekundenpulsaren beteiligen. Jetzt ging dadurch ein ganz besonderes
Exemplar ins Netz: ein Pulsar, der sich nur im Gammastrahlenbereich nachweisen
lässt, im Radiobereich jedoch still ist. Von solchen Objekten könnte es noch
viel mehr geben.

Künstlerische Darstellung eines Gammapulsars
mit Gammastrahlung (violett) und Radiowellen
(grün). Die Rotation entlang der Sichtlinie lässt
den Pulsar so periodisch am Himmel aufleuchten.
Bild: NASA / Fermi / Cruz de Wild [Großansicht] |
Das verteilte Rechenprojekt Einstein@Home aggregiert von zehntausenden
Freiwilligen aus aller Welt gespendete Rechenleistung. In einer Durchmusterung
des Himmels im Gammastrahlenbereich hat dieses Computernetzwerk nun zwei zuvor
unbekannte schnell rotierende Neutronensterne in Daten des Weltraumteleskops
Fermi entdeckt.
Während alle anderen dieser sogenannten Millisekundenpulsare auch mit
Radioteleskopen beobachtbar sind, ist eine der beiden Entdeckungen der erste
Millisekundenpulsar, der sich nur anhand seiner pulsierenden Gammastrahlung
nachweisen lässt. Das lässt die Wissenschaftler hoffen, weitere neue
Millisekundenpulsare zu finden, beispielsweise aus einer vorhergesagten großen
Population solcher Objekte nahe dem Galaktischen Zentrum.
"Wir haben diese zwei neuen Entdeckungen in unserer groß angelegten
Gammapulsar-Durchmusterung mit Einstein@Home gemacht. Dieses Kunststück war nur
möglich, weil wir neuartige und effizientere Suchmethoden, verbesserte Daten des
Fermi Large Area Telescope (LAT), und die gewaltige Rechenleistung von
Einstein@Home nutzen konnten", sagt Dr. Colin Clark vom Jodrell Bank Centre
for Astrophysics, der Doktorand am Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik war, als er die Entdeckungen machte. "Nachdem wir die zwei
Millisekundenpulsare gefunden hatten, richteten wir ein großes Radioteleskop auf
sie und erwarteten, pulsierende Radiostrahlung zu finden, wie es bei allen bis
dahin bekannten Millisekundenpulsaren der Fall war. Zu unserer Überraschung
blieb eines unserer neu entdeckten Objekte im Radiobereich vollkommen still."
Dies beweist, dass diese "blinden" Gammapulsar-Suchprojekte das Potenzial
haben, eine bisher unbekannte Population von radiostillen Millisekundenpulsaren
aufzuspüren. Diese könnten hinter weiteren nicht identifizierten
Fermi-LAT-Quellen oder dem Gammastrahlenglühen aus der Richtung des Galaktischen
Zentrums stecken.
Neutronensterne sind kompakte Überreste von Supernova-Explosionen und bestehen
aus exotischer und extrem dichter Materie. Sie haben einen Durchmesser von etwa
20 Kilometern und haben mehr Masse als unsere Sonne. Aufgrund ihrer starken
Magnetfelder und schnellen Eigendrehung strahlen sie gerichtet Radiowellen und
energetische Gammastrahlen ab – ähnlich einem kosmischen Leuchtturm. Wenn diese
Strahlen während der Rotation des Neutronensterns in Richtung Erde zeigen, wird
dieser als pulsierende Radio- oder Gammastrahlungsquelle sichtbar – als
sogenannter Pulsar.
Millisekundenpulsare entstehen, wenn die Drehung eines Pulsars durch von
einem Begleitstern aufgesammelte Materie beschleunigt wird. Das einströmende
Material vom Partnerstern kann den Pulsar auf bis zu hunderte von Umdrehungen in
einer einzelnen Sekunde beschleunigen. Nachdem diese Akkretionsphase endet,
lässt sich der schnell rotierende Neutronenstern als Millisekundenpulsar
beobachten.
Die jetzt entdeckten Gammapulsaren heißen nach ihren jeweiligen
Himmelspositionen PSR J1035−6720 und PSR J1744−7619. Der erste von diesen beiden
Neutronensternen dreht sich in jeder Sekunde schwindelerregende 348 Mal, der
zweite 213 Mal. Nach der Entdeckung bestimmten die Forscher deren
astrophysikalischen Parameter durch eine Neuanalyse der Fermi-Daten mit
hoher Genauigkeit. Diese verbesserten Parameter kamen dann zum Einsatz, um nach
der pulsierenden Radiostrahlung der beiden Quellen in Archivdaten und in neuen
Beobachtungen des Parkes-Radioteleskop zu suchen. Während PSR
J1035−6720 sich als ungewöhnlich schwacher Radiomillisekundenpulsar zeigte, fand
man überhaupt keine Radiowellen von PSR J1744−7619. Damit ist er der erste
jemals entdeckte "radiostille" Millisekundenpulsar.
Es ist möglich, dass die leuchtturmähnlichen Radiostrahlen von PSR J1744−7619
nicht in Richtung der Erde zeigen, die Gammastrahlen das hingegen tun. Die
Wissenschaftler untersuchten diese Frage, indem sie die beobachtete
Gammastrahlung mit theoretischen Modellen verglichen. Sie zeigten, dass die
Modelle, die die Gammastrahlung gut beschreiben, ein nachweisbares Radiosignal
vorhersagen. Dessen Abwesenheit bedeutet, dass PSR J1744−7619 entweder nur sehr
schwach im Radiobereich strahlt oder dass die Modelle unvollständig sind.
Nach einigen Vorhersagen lässt sich der beobachtete Überschuss von
energiereicher Gammastrahlung aus dem Zentralbereich der Milchstraße mit einer
verborgenen Population von tausenden Millisekundenpulsaren erklären. Derzeitige
große Radioteleskope könnten nur eine Handvoll von diesen nachweisen, aber
Gammapulsar-Suchprogramme könnten bessere Chancen haben, eine deutlich höhere
Anzahl von diesen Quellen nachzuweisen.
"Mit der Hilfe unserer Freiwilligen haben wir 152 nicht identifizierte pulsar-ähnliche
Quellen aus dem Fermi-LAT-Katalog untersucht", sagt Prof. Dr. Bruce Allen,
Direktor von Einstein@Home und Direktor am Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik. "Wir
haben gezeigt, dass 19 von diesen nicht nur wie Pulsare aussehen, sondern
tatsächlich auch Pulsare sind und in einigen Fällen sogar noch sehr
ungewöhnliche Objekte. Ich persönlich würde wetten, dass viele von den
verbleibenden 133 auch Pulsare sind, die sich in Doppelsternsystemen befinden,
wo sie schwieriger zu finden sind. Im Moment spürt Einstein@Home diesen
Binärpulsaren nach und ich hoffe, dass wir bald einige finden werden."
"Dies ist ein wundervolles Beispiel moderner Astrophysik: Wir nutzen die
Expertise aus der Gravitationswellen-Astronomie, um Gammadaten clever zu
analysieren und damit Quellen zu entdecken, die unser Wissen aus
Radiobeobachtungen ergänzen. Großartig", freut sich Michael Kramer, Direktor am
Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Leiter der dortigen Arbeitsgruppe
"Radioastronomische Fundamentalphysik".
Zehntausende Einstein@Home-Freiwillige, die dem Projekt Rechenzeit gespendet
haben, haben die Entdeckungen ermöglicht. Ohne sie hätte die Durchmusterung
nicht durchgeführt werden und hätten diese Entdeckungen nicht gemacht werden
können. Die Ergebnisse werden in einem Fachartikel beschrieben, die in
Science Advances veröffentlicht wurde. Hier werden auch die User genannt,
deren Computer direkt an der Entdeckung beteiligt war.
|