Hinweise im kosmischen Röntgenlicht?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Mainz astronews.com
9. Februar 2018
Bis heute rätseln Wissenschaftler, aus was die Dunkle
Materie bestehen könnte, die einen beträchtlichen Teil der Masse des Universums
ausmacht. Physiker aus Mainz haben nun eine neue Theorie entwickelt und schlagen
vor, Dunkle-Materie-Teilchen in einem ganz anderen Massenbereich zu suchen als
bislang. Helfen könnte dabei die kosmische Röntgenstrahlung.

Röntgenaufnahme des etwa 240 Millionen
Lichtjahre entfernten Perseus-Galaxienhaufens.
Die von Galaxien und Galaxienhaufen ausgesandte
Röntgenstrahlung gibt Astrophysikern nach wie vor
zahlreiche Rätsel auf und könnte insbesondere
Hinweise auf die mysteriöse Dunkle Materie
liefern.
Bild: NASA [Großansicht] |
Die Dunkle Materie gibt den Astronomen weiter Rätsel auf. Weltweit suchen
Physiker seit Jahrzehnten nach diesen Materieteilchen, die kein Licht aussenden
und für unser Auge daher unsichtbar sind. Ihr Vorhandensein wurde in den 1930er
Jahren postuliert, um astronomische Beobachtungen zu erklären. Während sichtbare
Materie wie die, aus der die Sterne oder auch die Erde bestehen, nur etwa fünf
Prozent des Universums ausmachen, müsste der Anteil Dunkler Materie den
Schätzungen zufolge bei 23 Prozent liegen – aber bis heute gibt es trotz
intensiver Suche keinerlei Anzeichen, um welche Teilchen es sich dabei handeln
könnte.
Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben nun
einen Vorschlag unterbreitet, um die mysteriösen Partikel an einer ganz anderen
Stelle zu suchen als bisher. Geeignete Kandidaten wären demnach keine sehr
schweren Teilchen, wie bislang oft vermutet, sondern im Gegenteil extrem leichte
Teilchen – fast hundert Mal leichter als ein Elektron.
Die Existenz Dunkler Materie wird vorwiegend damit begründet, dass die
Rotation von Sternen um das Zentrum ihrer Galaxie ansonsten nicht wie beobachtet
erfolgen könnte. Einer der besonders favorisierten Kandidaten für Dunkle Materie
ist das WIMP oder "Weakly Interacting Massive Particle", nach dem zum Beispiel
im italienischen Untergrundlabor Gran Sasso gesucht wird. Aber neuere
Publikationen aus der Astroteilchenphysik stellen die WIMPs zunehmend infrage.
"Auch wir sehen uns momentan verstärkt nach Alternativen um", erklärt Prof.
Dr. Joachim Kopp aus Mainz. Der Physiker ist mit seinen Kollegen Vedran Brdar,
Jia Liu und Xiao-Ping Wang einer Beobachtung nachgegangen, die 2014 von
unabhängigen Gruppen berichtet wurde: Am Himmel zeigte sich an verschiedenen
Stellen eine bisher unbekannte Spektrallinie im Röntgenbereich bei einer Energie
von 3,5 Kiloelektronenvolt (keV). Diese ungewöhnliche Röntgenstrahlung von
Galaxien und Galaxienhaufen könnte ein Hinweis auf Dunkle Materie sein.
Dieser Zusammenhang ist an sich nicht neu, denn es wurde früher schon in
Erwägung gezogen, dass Dunkle Materie zerfällt und dabei Röntgenstrahlung
aussendet. Die Gruppe um Kopp am Mainzer Exzellenzcluster "Precision Physics,
Fundamental Interactions and Structure of Matter" (PRISMA) verfolgt jedoch einen
anderen Ansatz: Anstelle von Zerfall haben die Wissenschaftler ein Szenario
durchgerechnet, bei dem zwei Dunkle-Materie-Teilchen aufeinandertreffen und
miteinander zerstrahlen, ein Prozess, der als Annihilation bezeichnet wird und
beispielsweise auch beim Zusammentreffen eines Elektrons mit seinem
Antiteilchen, dem Positron, stattfindet.
"Früher ist man davon ausgegangen, dass Paarvernichtung bei derart leichter
Dunkler Materie nicht beobachtbar ist", erklärt Kopp. "Wir haben unser neues
Modell berechnet und mit experimentellen Daten verglichen, es passt alles viel
besser zusammen als in älteren Modellen." Dunkle-Materie-Teilchen wären demnach
Fermionen mit einer Masse von nur wenigen Kiloelektronenvolt, häufig auch als
"sterile Neutrinos" bezeichnet.
Ein solches leichtes Teilchen gilt eigentlich als problematisch, weil es die
Entstehung von Galaxien nicht hinreichend erklärt. "Diese Bedenken können wir
ausräumen", so Kopp. "Unser Modell hat einen eleganten Ausweg gefunden."
Entscheidend ist zudem die Annahme, dass die Annihilation der Dunklen Materie
ein zweistufiger Prozess ist: Es wird zunächst ein Zwischenzustand gebildet, der
dann seinerseits in die beobachtete Röntgenstrahlung zerstrahlt. "Wir zeigen in
unseren Berechnungen, dass sich die resultierende Röntgensignatur sehr gut mit
den Beobachtungen deckt und damit eine neuartige Erklärung dafür bietet", so
Kopp.
Darüber hinaus ist das neue Modell so allgemein, dass es auch dann einen
interessanten Ansatz für die Suche nach Dunkler Materie liefern würde, falls die
2014 entdeckte Spektrallinie andere Ursachen hat. Theoretische und
experimentelle Physiker der JGU arbeiten aktuell an dem vorgeschlagenen
ESA-Projekt e-ASTROGAM mit, das astrophysikalische Röntgenstrahlung mit bisher
unerreichter Genauigkeit untersuchen könnte.
Über ihre Theorie berichten die Forscher in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Physical Review Letters erschienen ist.
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