Nervenzellen in Schwerelosigkeit
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Hohenheim astronews.com
6. Dezember 2017
Wie entwickelt sich der erste im Weltall geborene Mensch?
Was wie eine Frage aus einem Science Fiction-Roman klingt, ist Hintergrund eines
aktuellen Forschungsprojekts der Universität Hohenheim in Stuttgart. Um eine
Antwort zu finden, wollen Wissenschaftler noch in diesem Jahr menschliche Zellen
zur Internationen Raumstation ISS schicken.

Die Internationale Raumstation ISS in einer
Aufnahme aus dem Juli 2011.
Foto: NASA [Großansicht] |
Schwerelosigkeit haben sie selbst schon erlebt – allerdings nur für jeweils
22 Sekunden. Dr. Florian Kohn und Privatdozentin Dr. Claudia Koch vom Fachgebiet
für Membranphysiologie der Universität Hohenheim haben schon bei Parabelflügen
das Verhalten von Zellen unter schwerelosen Bedingungen erforscht. Nun sollen
ihre Forschungsobjekte ohne sie die Reise ins All antreten, um sich für zwei
Wochen in der Schwerelosigkeit zu entwickeln.
"Wir wollen untersuchen, ob dieser Prozess in Schwerelosigkeit genau so
funktioniert wie auf der Erde", erklärt Kohn. "Falls irgendwann ein Mensch im
All geboren wird, wissen wir dann, ob sich Nervensysteme in Schwerelosigkeit
normal entwickeln würden." Da die Zellen ein paar Tage benötigen, um sich zu
Nervenzellen zu entwickeln, fliegen sie nun zu einem eigens vorbereiteten
Brutkasten von Cape Canaveral aus zur International Space Station.
Kohn hatte sie dafür in Hohenheim losgeschickt und wird hier während der
Mission die Stellung halten, seine Kollegin Koch und Masterstudentin Pia Wieland
bereiten sie in Florida für die Reise vor. Seit dem 12. November ist Koch im
Space Life Sciences Laboratory bei Cape Canaveral, um die Mission vor Ort
zu begleiten. Im Online-Tagebuch berichtet das Team von den Vorbereitungen für
die Mission, der Zusammenarbeit mit den amerikanischen Kollegen und den
besonderen Anforderungen der Arbeit in Florida: "Zur Sicherheitseinweisung im
Labor gehörte zum Beispiel auch die Frage 'Was tun, wenn man einem Alligator
begegnet?'", berichtet Koch.
Zwischen dem 6. und 17. Dezember kann jeden Tag das Startsignal für die
SpaceX-Versorgungsmission zur ISS kommen, deren Start schon mehrfach
verschoben wurde. Derzeit wird allerdings ein Start nicht vor dem 12. Dezember
erwartet. Bis dahin hält Koch die Zellen bereit, um sie auf Abruf für den
Transport fertigzumachen. Es ist nicht das erste Mal, dass Hohenheimer Forscher
Zellen in luftige Höhen schicken: 2011 reisten menschliche Zellen aus Hohenheim
in der Experimentieranlage SIMBOX mit der chinesischen Raumkapsel Shenzhou-8
ins All, 2015 starteten sie aus dem schwedischen Kiruna an Bord der Texus 52-Rakete.
Für ihre Experimente verwenden Koch und Kohn menschliche Zellen aus dem
Zellstamm SH-SY5Y. Sie entstammen Tumorzellen, die 1973 einem vierjährigen
Mädchen entnommen wurden. Seitdem werden die Zellen, wie auch Zellen vieler
anderer Stämme, weitergezüchtet und in der Forschung eingesetzt. Zellen dieses
Stammes lassen sich mit einfachen Mitteln zu Nervenzellen entwickeln und sind
deshalb ein anerkanntes Modellsystem für Nervenzellen. Sie kommen zum Beispiel
in der Alzheimerforschung zum Einsatz.
Das Projekt „Gravitationsabhängige Strukturen in neuronalen Zellen“ startete
am 1. Oktober 2015. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, warum und wie Zellen
auf veränderte Schwerkraft reagieren. Dessen grundlegende Forschungsergebnisse
könnten eines Tages nicht nur der Gesundheit von Astronauten zugutekommen,
sondern erlauben es langfristig auch, die Wirkung von Medikamenten auf der Erde
besser zu verstehen und zu optimieren.
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