Unser Sonnensystem kommt nicht zur Ruhe
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
15. August 2017
Sterne, die an unserer Sonne vorüberfliegen, können Kometen aus der Oortschen Wolke ins innere Sonnensystems
ablenken und so Auslöser für Einschläge auf der Erde sein. Auf Grundlage der Daten
des Astrometriesatelliten Gaia hat ein Astronom nun abgeschätzt, wie häufig dies
vorkommt. Das Ergebnis: Pro Million Jahre nähern sich bis zu zwei Dutzend
Sterne der Sonne auf einige Lichtjahre an.
Bild des Kometen C/2012 S1 (ISON),
aufgenommen mit dem TRAPPIST-Süd-Teleskop am La
Silla-Observatorium der ESO im Jahre 2013. Der
Komet stammt wahrscheinlich aus der Oortschen
Wolke, befindet sich aber definitiv nicht auf
Kollisionskurs mit der Erde.
Bild: TRAPPIST / E. Jehin / ESO [Großansicht] |
Aus Daten des ESA-Astrometriesatelliten Gaia präzise
physikalische Kenngrößen von Himmelsobjekten zu bestimmen ist das Tagesgeschäft
von Coryn Bailer-Jones vom Max-Planck-Institut für Astronomie – als Leiter
derjenigen Arbeitsgruppe des Gaia-Datenanalyse-Konsortiums, die für die
Bestimmung astrophysikalischer Parameter zuständig ist. Aber jenseits von dieser
Rolle innerhalb der Gaia-Mission beschäftigt sich Bailer-Jones seit geraumer
Zeit mit einer ganz bestimmten Anwendung solcher Daten: der Untersuchung der
früheren und zukünftigen Begegnungen unserer Sonne mit anderen Sternen und der
Auswirkungen solcher Stern-Vorbeiflüge für katastrophale Kollisionen von Kometen
mit unserem Heimatplaneten.
Kometen, die mit der Erde zusammenstoßen, gehören zu
den gefährlicheren kosmischen Katastrophen für unsere kosmische Heimat. Der
bekannteste kosmische Zusammenstoß trug vor 66 Millionen Jahren zum Aussterben
der Dinosaurier bei - wenn auch nicht sicher ist, ob es sich in diesem
spezifischen Fall um einen Kometen oder einen Asteroiden handelte. Immerhin
sind Zusammenstöße mit regionalen oder gar globalen Folgen heutigem Wissen nach
sehr selten – auf jede Jahrmillion kommt im Schnitt nicht mehr als ein solcher
Einschlag.
Zumindest die größeren Kometen und Asteroiden werden von den
bestehenden Warnsystemen recht vollständig erfasst, und keiner davon befindet
sich auf Kollisionskurs mit der Erde. Trotzdem sind die Folgen möglicher
Kometeneinschläge so ernst, dass die Erforschung der Hintergründe solcher
Einschläge durchaus von praktischem Interesse sind. Eine besondere Rolle kommt
dabei Sternbegegnungen zu, also Sternen, die durch die kosmische Nachbarschaft
unserer Sonne fliegen.
Unserem heutigen Bild des Sonnensystems nach befinden
sich in den Außenbereichen, der sogenannten Oortschen Wolke, zahlreiche kalte,
eisige Objekte – potenzielle Kometen. Der Schwerkraft-Einfluss eines
vorbeiziehenden Sterns kann einige dieser Objekte ablenken und sie ins innere
Sonnensystem bugsieren und möglicherweise auf einen Kollisionskurs mit der Erde.
Solche Sternbegegnungen zu verstehen ist daher wichtig, um das Risiko von
Kometeneinschlägen richtig einschätzen zu können.
Jetzt hat Bailer-Jones die
erste systematische Abschätzung für die Häufigkeit solcher Sternbegegnungen
veröffentlicht. Das neue Ergebnis nutzt Daten der ersten Datenveröffentlichung
(DR1) der Gaia-Mission, welche die neuen Gaia-Messungen mit älteren Messwerten
des ESA-Astrometriesatelliten Hipparcos kombinieren. Entscheidend ist dabei,
dass Bailer-Jones jeden Kandidaten für eine Sternbegegnung als eine Art Wolke
virtueller Sterne modellierte und so berücksichtigen konnte, wie die vorhandenen
Messunsicherheiten den abgeleiteten Häufigkeitswert für die Sternbegegnungen
beeinflussen.
Bailer-Jones fand, dass binnen einer Million Jahre typischerweise
zwischen 490 und 600 Sterne mit Abständen von 16,3 Lichtjahren oder weniger an
der Sonne vorbeifliegen werden. (16,3 Lichtjahre entsprechen 5 Parsec, in der
unter professionellen Astronomen üblichsten Entfernungseinheit). Zwischen 19 und
24 Sterne kommen der Sonne sogar auf 3,26 Lichtjahre (1 Parsec) oder weniger
nahe. All diese hunderte von Sternen würden nahe genug an der Oort-Wolke
vorbeifliegen, um Kometen ins innere Sonnensystem ablenken zu können.
Die neuen
Ergebnisse sind von derselben Größenordnung wie frühere, weniger systematische
Abschätzungen. Sie zeigen, dass rund um das Sonnensystem recht starker stellarer
Verkehr herrscht. Die neuen Ergebnisse gelten für die letzten und für die
kommenden fünf Millionen Jahre. Mit Gaias nächster Datenveröffentlichung DR2,
die für April 2018 erwartet wird, sollten sie sich auf die letzten und die
nächsten 25 Millionen Jahre erweitern lassen.
Astronomen, die darüber
hinausgehen und herausfinden wollen, welcher Stern möglicherweise dafür
verantwortlich ist, einen Kometen auf die Dinosaurier zu lenken, müssen dazu
allerdings noch viel mehr über unsere Heimatgalaxie und deren Massenverteilung
wissen – ein langfristiges Ziel der Forscher, die sich mit Gaia und verwandten
Projekten befassen.
Über seine Ergebnisse berichtet der Wissenschaftler in einem Fachartikel, der
in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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