Direkt beobachteter Planet wirft Fragen auf
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
6. Juli 2017
Astronomen haben um den Stern HIP 65426 einen ungewöhnlichen
Planeten aufgespürt: Die ferne Welt ist vergleichsweise massearme und umkreist
ein extrem schnell um die eigene Achse rotierenden Zentralstern in überraschend
großer Entfernung. Nun rätseln die Forscher, wie ein solches System entstehen
konnte. Der Planet wurde direkt mithilfe des Very Large Telescope entdeckt.

Abbildung des Planeten HIP 65426b (links
unten), aufgenommen mit dem SPHERE-Instrument.
Bild: Chauvin et al. / SPHERE [Großansicht] |
Das neu entdeckte Planetensystem HIP 65426 ist nicht das, was
Astronomen eigentlich erwartet hatten: Die Forscher fanden hier nämlich einen
extrem schnell rotierenden Zentralstern, das Fehlen einer Gasscheibe, die man
für ein nur 14 Millionen Jahre altes System erwarten würde, sowie einen
vergleichsweise massearmen, weit vom Stern entfernten Planeten vor. Da stellte
sich sofort die Frage: Wie konnte ein solch ungewöhnliches System überhaupt
entstehen?
Allgemein bilden sich Planeten in riesigen Scheiben aus Gas und Staub, die
junge Sterne umgeben. In den jungen Planetensystemen, die man bislang kennt,
sind die Reste dieser Scheiben nach wie vor sichtbar. Außerdem besteht
üblicherweise ein Zusammenhang zwischen den betreffenden Massen: Massereiche
Sterne haben typischerweise massereichere Scheiben, in denen sich dann auch
massereichere Planeten bilden.
HIP 65426b, der Planet der jetzt neu bei dem Stern HIP 65426 aufgespürt
wurde, passt nicht in dieses Muster. Die Entdeckung von HIP 65426b gelang einer
Astronomengruppe, zu der auch Forscher des Max-Planck-Instituts für Astronomie
gehören, mit dem SPHERE-Instrument am Very Large Telescope am Paranal-Observatorium
der ESO in Chile. Dazu erstellten die Astronomen eine direkte Abbildung des
Planeten.
Der Zentralstern, HIP 65326, ist Mitglied in einer Art Sternenkindergarten:
der Scorpius-Centaurus-Assoziation mit 3000 bis 5000 ungefähr gleich alten
Sternen, fast 400 Lichtjahre von der Erde entfernt. Wendet man astronomische
Altersbestimmungs-Techniken auf HIP 65426 und seine unmittelbaren Nachbarn an,
dann erhält man für den Stern ein Alter von nur rund 14 Millionen Jahren.
"Wir würden erwarten, dass ein so junges Planetensystem noch seine
Staubscheibe besitzt, die man in den Beobachtungen dann auch sehen sollte", so
Gael Chauvin von der Universität Grenoble und der Universidad de Chile in
Santiago. "Aber soweit wir sehen können, besitzt HIP 65426 keine solche
Staubscheibe – ein erstes Anzeichen dafür, dass das System nicht so recht zu den
klassischen Modellen der Planetenentstehung passt."
Dann ist da noch der Planet HIP 65426b. Im Vergleich der Beobachtungen mit
entsprechenden Modellen dürfte es sich um einen jupiterähnlichen Planeten
handeln, mit einer Temperatur zwischen 1000 und 1300 Grad Celsius, dem
anderthalbfachen Jupiterradius und zwischen sechs und zwölf Mal der
Jupitermasse. HIP 65426b wäre damit wie Jupiter ein Gasriese, mit einem festen
Kern, umgeben von dicken Gasschichten. Untersuchungen mit dem zu SPHERE
gehörigen Spektrografen deuten auf die Anwesenheit von Wasserdampf und rötlichen
Wolken hin, ähnlich wie bei Jupiter.
Der Planet hat eine große Entfernung vom Zentralstern, nämlich rund 100
astronomische Einheiten, also etwa 100 Mal den Abstand der Erde von der Sonne
und vier Mal soviel wie der Planet Neptun in unserem Sonnensystem. Auch das ist
gleich mehrfach sonderbar. Sterne vom gleichen Typ wie HIP 65426 haben rund das
Doppelte der Sonnenmasse. Lange ist angenommen worden, dass ein solcher
massereicher Stern deutlich größere Riesenplanten um sich haben solle als die
sechs bis zwölf Jupitermassen von HIP 65426b. Riesenplaneten solch eines Sterns
würden Astronomen auch nicht so weit draußen vermuten wie in diesem Falle.
Nicht zuletzt hat auch der Zentralstern eine ungewöhnliche Eigenschaft. Aus
Spektren, die mit dem HARPS-Spektrografen der ESO aufgenommen wurden, kann man
schließen, dass er rund 150 Mal so schnell um seine eigene Achse rotiert wie die
Sonne. Bislang kennen Astronomen nur einen einzigen weiteren Stern dieses Typs,
der derart schnell rotiert, und dieser weitere Stern ist Teil eines
Doppelsternsystems. Bei einem Doppelstern kann sich die Rotation eines der
Sterne mehr und mehr beschleunigen, wenn er Materie des anderen Sterns auf sich
zieht. Wie ein einzelner Stern zu so hoher Drehgeschwindigkeit kommen konnte,
ist erklärungsbedürftig.
Bislang können die Astronomen nur vermuten, wie die ungewöhnlichen
Eigenschaften des Systems zustande gekommen sind. Ein mögliches Szenario
entspräche einem regelrechten Planetensystem-Drama: Der Planet HIP 65426b hätte
sich danach deutlich näher an seinem Zentralstern gebildet, als es seinem
jetzigen Abstand entspricht - was seine geringe Masse erklärt - und noch ein
weiteres massereiches Objekt wäre in dem System entstanden.
Später wären sich die beiden Objekte so nahe gekommen, dass HIP 65426b nach
außen geschleudert worden wäre - was seinen großen Abstand zum Zentralstern
erklärt. Der andere Körper wäre nach innen geschleudert worden und mit dem Stern
verschmolzen - was dessen rasche Rotation erklären kann. Die quer durch das
System geschleuderten Körper könnten die Scheibe destabilisiert haben und so
erklären, warum die Scheibe nicht mehr zu beobachten ist.
Eine Alternative wäre, wenn sowohl der Stern als auch sein Planet durch die
Fragmentierung ein und derselben Materiewolke entstanden wäre – womit zu
erklären bliebe, warum die protoplanetare Scheibe des Systems so kurzlebig war,
dass sie nicht mehr zu beobachten ist. Zuverlässigere Erklärungen wird es erst
geben, wenn weitere Beobachtungen und Simulationen durchgeführt sind.
Das Ergebnis dürfte auch das allgemeinere Verständnis dafür verbessern, wie
Gasriesen entstehen, sich entwickeln und möglicherweise innerhalb des
Planetensystems migrieren. Das wiederum ist von grundlegender Bedeutung für
unser Verständnis der Entstehung von Planetensystemen im Allgemeinen: vom
Zentralstern abgesehen steckt die meiste Masse eines Planetensystem in solchen
Gasriesen, deren Anwesenheit und Eigenschaften auch die Entstehung ihrer
masseärmeren Verwandten beeinflussen, etwa von erdähnlichen Planeten und
Supererden.
Für das SPHERE-Team ist die Entdeckung noch aus einem anderen Grunde wichtig:
Dies ist der erste Planet, der mit SPHERE entdeckt wurde. "Direkte Abbildungen
von Exoplaneten sind nach wie vor sehr selten, aber sie enthalten eine Fülle von
Informationen über Planeten wie HIP 65426b", so MPIA-Direktor Thomas Henning,
einer der Väter von SPHERE. "Die Untersuchung des Lichts, das wir von dem
Planeten empfangen, erlaubt es uns, verlässliche Rückschlüsse auf die
Zusammensetzung der Planetenatmosphäre zu ziehen."
Abbildungen gibt es nur für weniger als 20 der weit über tausend bekannten
Exoplaneten; die üblichen Nachweisverfahren sind indirekt und nutzen aus, wie
die Anwesenheit des Planeten das Licht des Zentralsterns beeinflusst.
Abbildungen eines fernen Planeten aufzunehmen ist schwierig, da der Planet vom
Licht seines Zentralsterns komplett überstrahlt wird.
SPHERE ist so konstruiert, dass das Instrument so gut wie möglich das Licht
des Zentralsterns ausblenden und so Bilder und Spektren seiner Planeten
aufnehmen kann. Bislang sind solche Abbildungen die einzige Möglichkeit,
Planeten nachzuweisen, die weit von ihrem Zentralstern entfernt sind – Planeten
wie der ungewöhnliche HIP 65426b.
Über ihre Entdeckung berichten die Astronomen in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erscheinen wird.
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