Am Urknall führt kein Weg vorbei
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
16. Juni 2017
Könnte man Anfang und Entwicklung unseres Universums
vielleicht auch ohne Urknall verstehen? Diese Frage bewegte in den letzten
Jahrzehnten einige bekannte Kosmologen. Nun haben Wissenschaftler aus Kanada und
Deutschland neue Berechnungen angestellt und gezeigt, dass man ohne Urknall
nicht auskommt. Außerdem scheint dieser noch komplizierter zu sein, als bislang
gedacht.
Das Universum wie wir es heute beobachten
(hier eine Hubble-Aufnahme) lässt sich nicht ohne
Urknall verstehen.
Bild: NASA, ESA, H. Teplitz und M. Rafelski
(IPAC/Caltech), A. Koekemoer (STScI), R.
Windhorst (Arizona State University) und Z. Levay
(STScI) [Großansicht] |
Beim Urknall war die Krümmung von Raum und Zeit unendlich groß – das lehrt
Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie. Schwierig zu berechnen, denn bei
Unendlichkeiten versagen die mathematischen Werkzeuge. Es gab jedoch noch die
Hoffnung, dass eine Quantentheorie der Gravitation den Anfang von Allem
einfacher beschreiben könne, man vielleicht sogar völlig ohne Urknall auskommen
würde.
Eine solche These wird von bedeutenden Kosmologen - unter anderen von James
Hartle, Stephen Hawking und Alexander Vilenkin - seit den 1980iger Jahren
vertreten. Forscher am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut/AEI) in Potsdam und am Perimeter Institute in Kanada
haben jetzt mit neuen mathematischen Methoden nachgewiesen, dass dies nicht
funktioniert. Der Urknall ist demnach noch komplizierter und mysteriöser als
viele Physiker hofften.
Den Anfang des Universums zu verstehen, ist ein großes Ziel der Kosmologie.
Messungen des Planck-Satelliten zeigen, dass das Weltall vor 13,8
Milliarden Jahren aus einer dichten, heißen Ursuppe bestand. Seither dehnt sich
das Universum aus. Die gängige Urknalltheorie kann allerdings die eigentliche
Entstehung des Alls nicht beschreiben, zu extrem sind die Bedingungen: nähert
man sich dem Urknall, wird nach dem klassischen Modell das Universum immer
dichter, bis ein Punkt erreicht wird, an dem Dichte und Schwerkraft unendlich
groß werden.
Eine alternative Theorie zum Urknall ist die des "Universums ohne Rand",
womit die Idee gemeint ist, dass das Universum als Quantenfluktuation aus dem
Nichts erschienen ist und sich dann schnell zu einem großen klassischen
Universum ausgedehnt hat. Demzufolge war die Krümmung des Universums am Anfang
zwar groß, aber endlich, und die Geometrie von Raum und Zeit gleichmäßig – ohne
scharfen Rand. Dies würde den Urknall ersetzen.
Lange Zeit blieben jedoch die wahren Konsequenzen dieses Modells fraglich.
Mit besseren mathematischen Methoden konnten Dr. Jean-Luc Lehners,
Forschungsgruppenleiter "Theoretische Kosmologie" am AEI, und seine Kollegen Job
Feldbrugge und Neil Turok vom Perimeter Institute in Kanada jetzt diese 35 Jahre
alte These präzise definieren und damit auch die Folgen berechnen. Dabei stellte
sich heraus, dass die Alternative zum Urknall keine ist: Heisenbergs
Unschärferelation hat zur Folge, dass sich in diesem Modell nicht nur ganz
gleichmäßige Universen aus dem Nichts bilden können, sondern auch sehr
unregelmäßige. Die unregelmäßigen Universen treten dabei mit viel größerer
Wahrscheinlichkeit auf, ja: je chaotischer die entstehenden Universen sind,
desto wahrscheinlicher sind sie.
"Die Theorie vom 'Universum ohne Rand' sagt demnach kein großes Universum,
wie das in dem wir leben, vorher, sondern lauter kleine Universen, die sofort
wieder wegen der starken Krümmung zusammenstürzen würden", sagt Lehners. Man
kann den Urknall demnach nicht so einfach umgehen. Lehners und seine Kollegen
konzentrieren sich jetzt auf die Frage, welcher Mechanismus die wilden
Quantenfluktuationen unter extremsten Bedingungen in Schach gehalten hat, so
dass sich unser großes stabiles Universum entwickeln konnte.
Über ihre Untersuchungen berichten die Wissenschaftler in zwei Fachartikeln.
Einer ist im Physical Review D erschienen.
|