Materie unter extremen Bedingungen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Goethe-Universität Frankfurt astronews.com
31. Mai 2017
Welche Eigenschaften hatte Materie in der ersten Millionstel
Sekunde nach dem Urknall, bei Temperaturen, die die im Inneren unserer Sonne um
das Hunderttausendfache übersteigen? Diese Frage wollen nun drei Universitäten
im Rahmen eines neuen Sonderforschungsbereichs gemeinsam aus der Sicht der
Quantenchromodynamik untersuchen.
Direkt nach dem Urknall, lange bevor die
ersten Galaxien entstanden, herrschten im
Universum extreme Bedingungen.
Bild: NASA, ESA, H. Teplitz und M. Rafelski
(IPAC/Caltech), A. Koekemoer (STScI), R.
Windhorst (Arizona State University) und Z. Levay
(STScI) [Großansicht] |
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat einen neuen Transregio-Sonderforschungsbereich
(SFB-TR) bewilligt, in dem Physiker der Goethe-Universität Frankfurt, der
Universität Bielefeld und der Technischen Universität Darmstadt gemeinsam
"stark-wechselwirkende Materie unter extremen Bedingungen" erforschen wollen.
Dafür hatten die Forscher für die nächsten vier Jahre rund acht Millionen Euro
beantragt. Sprecher des neuen Forschungsverbunds, der in der Kooperation mit der
TU Darmstadt auch die Ende 2015 ins Leben gerufene Strategische Allianz der
Rhein-Main-Universitäten (RMU) stärkt, ist der Frankfurter Physiker Prof. Dirk
Rischke.
Mit "extremen Bedingungen" sind hohe Temperaturen und Dichten gemeint, wie
sie etwa in der ersten Millionstel Sekunde nach dem Urknall vorlagen: Einige
Billionen Grad Celsius (das ist viele tausend Mal heißer als das Innere unserer
Sonne) sowie das Mehrfache der in Atomkernen erreichten Dichte (mehrere 100
Millionen Tonnen pro Kubikzentimeter). Unter diesen Bedingungen ist Materie von
der sogenannten starken Wechselwirkung dominiert.
Die starke Wechselwirkung ist eine der vier Grundkräfte der Physik. Sie ist
beispielsweise für den Aufbau der Atomkerne aus Protonen und Neutronen und für
deren innere Struktur aus Quarks und Gluonen verantwortlich. Unter extremen
Bedingungen bildet stark-wechselwirkende Materie neuartige Zustandsformen aus,
vergleichbar mit den verschiedenen Aggregatzuständen des Wassers als Eis,
Flüssigkeit und Gas.
Während dies an großen Teilchenbeschleunigern wie dem LHC am CERN in Genf und
in Zukunft an FAIR in Darmstadt experimentell untersucht wird, will der neue
SFB-TR die Thematik von theoretischer Seite her beleuchten. In 14 Teilprojekten
sollen hier die fundamentalen Eigenschaften stark-wechselwirkender Materie
untersucht und auf die Physik im frühen Universum und in
Schwerionen-Experimenten angewendet werden.
Erklärtes Ziel ist es dabei, möglichst direkt von der fundamentalen Theorie
der starken Wechselwirkung, der Quantenchromodynamik (QCD), auszugehen. Diese
Theorie, für deren Erforschung es schon mehrere Nobelpreise gab, ist seit über
40 Jahren bekannt. Dennoch hat es sich vielfach als schwierig erwiesen, im
Rahmen der QCD konkrete Vorhersagen zu machen. Insbesondere die Eigenschaften
makroskopischer Ansammlungen stark-wechselwirkender Teilchen bei hohen
Temperaturen und Dichten konnten noch nicht zufriedenstellend aus der QCD
abgeleitet werden.
Einzigartig am neuen SFB-TR ist die Kombination von analytisch basierten
Methoden mit aufwändigen numerischen Simulationen auf
Höchstleistungs-Supercomputern. "Dies geschieht in enger Zusammenarbeit, so dass
wir die Stärken der jeweiligen Zugänge und die unterschiedlichen Expertisen an
den drei Standorten optimal ausnutzen", betont Rischke. Prof. Jochen Wambach von
der TU Darmstadt, zusammen mit Prof. Frithjof Karsch von der Universität
Bielefeld Rischkes Stellvertreter, ergänzt: "Viele von uns kennen sich schon
lange und haben auch früher erfolgreich zusammengearbeitet. Der Transregio
stellt diese Kooperation aber auf eine völlig neue Stufe."
Die gleichberechtigte Zusammenarbeit der drei Partneruniversitäten wird
dadurch unterstrichen, dass bereits jetzt vereinbart wurde, die Sprecherschaft
des SFB-TR nach jeder Förderperiode bei erfolgreicher Verlängerung rotieren zu
lassen. "Die komplexen theoretischen Fragestellungen sowie die derzeit
stattfindenden und bereits geplanten Experimente in diesem auch international
äußerst aktiven Forschungsgebiet, werden in dem kommenden Jahrzehnt Anregungen
für vielfältige Forschungsprojekte geben", sagt Karsch. "Wir sind daher davon
überzeugt, die maximale Laufzeit eines SFBs von zwölf Jahren mit interessanten
Projekten ausfüllen zu können", sind sich Rischke, Karsch und Wambach einig.
|