Rosetta-Komet jünger als angenommen?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bern astronews.com
9. November 2016
Der Rosetta-Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko dürfte seine
entenförmige Gestalt nicht gleich bei der Entstehung unseres Sonnensystems vor 4,5
Milliarden Jahren erhalten haben, sondern erst vor vielleicht einer Milliarde
Jahren. Das ergaben jetzt vorgestellte Simulationen. Das Material des Kometen
sollte aber trotzdem noch ursprünglich sein.
Der entenförmige Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko
mit seinem zerbrechlichen "Hals".
Bild: ESA/Rosetta/Navcam [Großansicht] |
Aufgrund der Daten der Raumsonde Rosetta hatten Wissenschaftler
bislang angenommen, dass der Komet aus der Anfangsphase unseres
Sonnensystems stammt. Seine eigenartige, entenförmige Struktur wäre demnach beim
sanften Zusammenstoß zweier Objekte vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstanden.
Nun aber kommen Martin Jutzi und Willy Benz vom Nationale Forschungsschwerpunkt
PlanetS und dem Center for Space and Habitability (CSH) der Universität
Bern zusammen mit Kollegen zu einem anderen Schluss: "Es ist unwahrscheinlich,
dass ein Körper wie 'Chury' eine so lange Zeit unbeschadet überstanden hat; das
zeigen unsere Computersimulationen", so Jutzi.
Stimmen die gegenwärtigen Modellvorstellungen von der Entstehung unseres
Sonnensystems, so folgte auf eine ruhige Anfangsphase ein Zeitraum, in dem große
Körper das System zu höheren Geschwindigkeiten und heftigeren Kollisionen
anregten. In einer ersten Studie berechneten die Wissenschaftler, wie viel
Energie es brauchen würde, um eine Struktur wie diejenige von 67P/Churyumov-Gerasimenko
bei einem Zusammenstoß zu zerstören. Schwachstelle ist dabei die Verbindung der
beiden Teile - der Hals zwischen Kopf und Körper.
"Wir haben herausgefunden, dass diese Struktur einfach kaputt gehen kann, sogar
bei Einschlägen mit geringer Aufprallenergie", fasst Jutzi zusammen. Benz
vergleicht den Kometenhals mit dem Stiel eines Glases: "Eine Abwaschmaschine
muss sehr sanft reinigen, damit der Stiel nicht bricht", so der Astrophysiker.
"So pfleglich ging es im Sonnensystem offenbar nicht zu."
Die neue Studie zeigt, dass Kometen wie 67P im Laufe der Zeit eine wesentliche
Anzahl Zusammenstöße erlebten, deren Energie jeweils ausgereicht hätte, um ihre
zweiteilige Struktur zu zerstören. Die Struktur stammt also nicht aus der
Urzeit, sondern hat sich durch Kollisionen über Jahrmilliarden entwickelt. "Die
heutige Kometenform ist demnach das Resultat des letzten größeren Einschlags,
der vermutlich innerhalb der letzten Milliarde Jahren stattgefunden hat", so
Jutzi.
Der entenförmige "Chury" ist also viel jünger als bisher angenommen. Die einzige
Alternative wäre, dass das gegenwärtige Standardmodell des frühen Sonnensystems
nicht korrekt ist und damals sehr viel weniger kleine Objekte vorhanden waren
als bisher angenommen. Dann hätte es weniger Kollisionen gegeben und der Komet
hätte eine Möglichkeit gehabt in seiner aktuellen Form zu überleben. "Wir gehen
zurzeit aber davon aus, dass 'Chury' tatsächlich aus vielen Kollisionen
hervorgegangen ist und das Standardmodell nicht umgeschrieben werden muss", sagt
Jutzi.
Doch wie könnte der Zusammenstoß erfolgt sein, der 67P die jetzige Form gab?
Auch dies haben Jutzi und Benz untersucht. In ihren Computermodellen ließen sie
Brocken mit einem Durchmesser von 200 bis 400 Metern auf einen etwa fünf
Kilometer großen, rotierenden Körper von der Form eines Rugbyballs prallen. Die
Einschlaggeschwindigkeit lag im Bereich von 200 bis 300 Metern pro Sekunde, also
deutlich über der Fluchtgeschwindigkeit von Objekten dieser Größe, die etwa ein
Meter pro Sekunde beträgt. Die involvierte Energie ist aber noch weit unter
derjenigen eines katastrophalen Aufpralls, bei dem ein großer Teil des Körpers
"pulverisiert" wird.
Das Resultat: Die Gesamtmasse wurde vorerst in zwei Teile auseinandergerissen,
die Stunden später aufgrund der Wirkung der Schwerkraft zu einer Struktur mit
zwei Teilen verschmolz - ein Gebilde wie 67P entstand. Aber widerspricht dieses
Forschungsresultat nicht der bisherigen Erkenntnis, dass Kometen aus
ursprünglichem Material bestehen, das mindestens so alt wie unser Sonnensystem
ist?
"Nein", meinen die Forscher. Denn ihre Computersimulationen zeigen, dass die
relativ kleine Einschlagenergie den Kometen weder global erhitzt noch
zusammendrückt. Das Material ist weiterhin porös und die darin seit Beginn
enthaltenen flüchtigen Stoffe bleiben erhalten – Eigenschaften, welche die
Raumsonde Rosetta im Fall von 67P eindrücklich messen konnte. "Bisher
hat man angenommen, dass die Kometen eine Art ursprüngliche Bausteine sind –
ähnlich wie Lego", erklärt Benz: "Unsere Arbeit zeigt, dass die Legosteine nicht
mehr ihre ursprüngliche Form haben, aber das Plastik, aus dem sie bestehen, ist
immer noch das Gleiche wie am Anfang."
Über ihre Untersuchungen berichten die Wissenschaftler in zwei Fachartikeln, die
in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen sind.
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