Der gesamte Himmel im Wasserstofflicht
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
25. Oktober 2016
Neutraler Wasserstoff ist das häufigste Element im
Universum. Ein internationales Team von Radioastronomen hat nun eine neue
detaillierte Karte der Verteilung des neutralen Wasserstoffs am Nord- und
Südhimmel vorgestellt. Sie basiert auf Daten des 100-Meter-Radioteleskops in Effelsberg bei Bonn und des Parkes-64-Meter-Radioteleskops in Australien.
Der gesamte Himmel im Licht des neutralen
Wasserstoffs (HI), aufgenommen mit den Parkes-
und Effelsberg-Radioteleskopen.
Bild: HI4PI-Kollaboration [Gesamtansicht] |
Er ist überwiegender Bestandteil von so gut wie allen Himmelsobjekten wie etwa
Sternen, Galaxien und sogar Galaxienhaufen. Wasserstoff besteht aus nur einem
Proton im Kern und ist damit auch das einfachste Element, das sich bereits in
der ursprünglichen Elemententstehung im Urknall gebildet hat. Wenn das Proton
mit einem Elektron kombiniert wird, liegt neutraler Wasserstoff vor, der auch
als HI bezeichnet wird.
Zusätzlich zu den bekannten Spektrallinien des Wasserstoffs in optischen
Wellenlängen wird extrem schwache Linienstrahlung des Wasserstoffs auch im
Radiobereich beobachtet: die sogenannte 21cm-Linie. Die so abgestrahlte Energie
ist extrem gering, aber durch die riesige Menge von Wasserstoff im Universum
kann die 21cm-Linie in fast allen kosmischen Bereichen nachgewiesen werden,
sogar weit außerhalb von Galaxien.
Im Jahr 1951 ist es drei Forschergruppen unabhängig voneinander zum ersten Mal
gelungen, 21cm-Linienstrahlung von HI nachzuweisen. Heute, 65 Jahre später,
veröffentlicht eine internationale Kollaboration von Wissenschaftlern aus aller
Welt, unter der Bezeichnung HI4PI einen Spektralatlas des gesamten Himmels im
Lichte der 21cm-Linie des neutralen Wasserstoffs. HI4PI steht als Akronym für HI
über den ganzen Himmel (wobei die Oberfläche einer kompletten Kugel einen
Flächeninhalt von 4 Pi Steradian aufweist). Die HI4PI-Kollaboration, geleitet
von einem deutschen Team von der Universität Bonn und dem Max-Planck-Institut
für Radioastronomie (MPIfR), präsentiert in der letzten Woche ihre Resultate.
Mit modernen Radioteleskopen ist es recht einfach, HI in so gut wie jeder
Richtung am Himmel nachzuweisen. Eine Kartierung des gesamten Himmels ist aber
nach wie vor extrem zeitintensiv und aufwändig in Bezug auf die geleistete
Arbeit. Die komplette Kartierung erforderte mehr als eine Million individueller
Beobachtungen mit zwei der größten Radioteleskope der Erde, dem
Effelsberg-100-Meter-Radioteleskop bei Bonn und dem
Parkes-64-Meter-Radioteleskop in Australien. Insgesamt wurden einige Dutzend
Terabyte an Daten aufgenommen. Die Rohdaten wurden von den Astronomen in Bonn
zur nun fertigen Himmelskarte verarbeitet.
"Neben einer sorgfältigen Kalibration der Daten mussten wir eine Reihe von
Störsignalen entfernen. Im Fachjargon nennt der Astronom dies Radiointerferenzen
(Radio Frequency Interference), die unter anderem von Telekommunikations- und
Fernsehstationen oder auch RADAR-System hervorgerufen werden. Sie können die
schwachen Radiosignale kosmischen Ursprungs komplett überlagern", erklärt
Benjamin Winkel vom MPIfR, der im Rahmen der HI4PI-Kollaboration für
Datenaufnahme und Datenverarbeitung verantwortlich ist. "Der Rechenaufwand für
die Verarbeitung war gewaltig, zu Tausenden von Stunden Beobachtungszeit sind
noch einige Tausend Stunden für die Datenanalyse am Rechner hinzugekommen."
Die neuen Beobachtungen wurden nur dadurch möglich, dass die technische
Ausstattung der Radioteleskope im Lauf des letzten Jahrzehnts enorm verbessert
wurde. Zum einen haben neue Multipixel-Empfangssysteme die Messgeschwindigkeit
um nahezu eine Größenordnung erhöht, zum anderen stehen inzwischen sehr
leistungsfähige Spektrometer auf der Basis von neuartigen Digitalprozessoren für
eine hohe Bandbreite zur Verfügung.
Der bisherige Standard von Himmelskartierungen in der HI-Linie wurde durch die
Leiden-Argentinien-Bonn-Kartierung (LAB) gesetzt, die auf Messungen mit
Radioteleskopen der 30-Meter-Klasse basiert. HI4PI hat eine zweimal höhere
Empfindlichkeit und viermal bessere Winkelauflösung im Vergleich zu LAB. Da der
neutrale Wasserstoff überall im Universum vorkommt, wird HI4PI eine wichtige
Referenzquelle für Forscher in vielen Bereichen der Astronomie darstellen, um
sie mit Beobachtungsdaten in allen möglichen Wellenlängen zu vergleichen.
Beispielsweise werden Röntgen- und Gammaphotonen zum Teil absorbiert, gestreut
oder in andere Wellenlängen re-emittiert, wenn sie während ihrer kosmischen
Reise das Wasserstoffgas in unserer Milchstraße durchdringen. Die Verteilung von
HI in der Milchstraße hat also maßgeblichen Einfluss auf die Analyse von
Beobachtungen im Hochenergiebereich von Röntgen- und Gammastrahlen. Mit den
HI4PI-Daten wird es möglich, diese störenden Effekte für kosmische Signale aus
großen Entfernungen zu korrigieren und damit quasi das Fenster ins ferne
Universum zu reinigen.
Auch für Forscher, die die Verteilung des Gases in der Milchstraße selbst
untersuchen, stellt HI4PI ein wertvolles Hilfsmittel dar. Mit der verbesserten
Empfindlichkeit und Winkelauflösung der neuen Daten können nun wesentlich
detailliertere Strukturen im interstellaren Medium dargestellt werden. "Viele
Untersuchungen, die unter Verwendung von vorab zugänglich gemachten Daten von
HI4PI bereits in den vergangenen Jahren veröffentlicht wurden, haben schon neue
Erkenntnisse und erstaunliche wissenschaftliche Ergebnisse erbracht", sagt Peter
Kalberla von der Universität Bonn, der leitende Senior-Wissenschaftler im
Projekt.
"HI4PI setzt Maßstäbe für die kommenden Dekaden", schließt Jürgen Kerp von der
Universität Bonn, Projektkoordinator und leitender Wissenschaftler von HI4PI.
"Auch wenn zukünftige Teleskope wie das Square Kilometre Array sowohl
die Empfindlichkeit als auch die Winkelauflösung von Radiobeobachtungen in ganz
neue Bereiche bringen werden, so sind solche Interferometer bauartbedingt leider
unempfindlich für die ausgedehnte diffuse Komponente des Wasserstoffgases. HI4PI
wird auch hier eine erstklassige Quelle darstellen, um die SKA-Daten mit den
fehlenden Informationen zu vervollständigen."
Die HI4PI-Daten sind für alle Interessierten auf Anfrage vom CDS-Datenzentrum in
Straßburg zugänglich.
Über ihre Beobachtungen berichten die Astronomen in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
|