Schiaparellis unsanfte Landung
von Stefan Deiters astronews.com
21. Oktober 2016
Das Wort Absturz nimmt die europäische Weltraumagentur ESA
nicht in den Mund, spricht aber inzwischen von einer unsanften Landung des
Testmoduls Schiaparelli - und von einem 96-prozentigen Erfolg der
Gesamtmission. Vom Landemodul konnten schließlich wichtige Daten empfangen
werden und der Trace Gas Orbiter befindet sich auch auf einer stabilen
Umlaufbahn.

Schiaparelli kurz vor der Landung - in dieser
Phase muss etwas passiert sein, was so nicht
geplant war.
Bild: ESA/ATG medialab [Großansicht] |
War der vergangene Mittwoch ein erfolgreicher Tag für die europäische
Raumfahrt? Wenn man sich bei ESA-Offiziellen am Donnerstag am europäischen
Raumfahrtkontrollzentrum ESOC in Darmstadt umhörte, fiel die Antwort eindeutig
aus: Natürlich! ESA-Direktor Jan Wörner reagierte in der Pressekonferenz gestern
Morgen sogar äußerst gereizt, als ein Journalist von der britischen BBC wissen
wollte, ob Schiaparelli denn nun abgestürzt sei - "ich verstehe die
Frage nicht", antwortete Wörner unwirsch. Dabei war es vermutlich genau diese
Frage, die sich alle Pressevertreter gerade stellten.
Die erfuhren aber gestern von den ESA-Offiziellen zunächst einmal erneut,
dass die Mission ein voller Erfolg war: Man hätte schließlich den Trace Gas
Orbiter sicher in eine Umlaufbahn um den Mars gebracht - einer
mehrjährigen Wissenschaftsmission zum Erkunden der Marsatmosphäre und dem
Einsatz der Sonde als Kommunikationsrelais für künftige Missionen stünde damit
nichts mehr im Wege.
Und dann war da noch Schiaparelli, das Entry, Descent and
Landing Demonstrator Module. Dieses sollte während des Flugs durch die
Marsatmosphäre wichtige Daten über die Bedingungen liefern, die eine Sonde bei
einer Marslandung aushalten muss - Daten, die für künftige Missionen wichtig
sind und die man bislang kaum zur Verfügung hatte. Der Hauptteil der Mission
Schiaparellis sollte mit der Landung beendet sein. Auf der Marsoberfläche
waren lediglich noch wenige Aktivitäten für einige Tage geplant.
Von daher stimmt es natürlich, dass der wesentliche Teil der Experimente der
Mission von Schiaparelli erfolgreich war. Wie die ESA gestern in einer
Pressemitteilung verkündete, lassen alle bisherigen Daten darauf schließen, dass
das Landemodul die meisten Etappen seines sechsminütigen Abstiegs durch die
Marsatmosphäre erfolgreich absolviert hat.
Ab etwa 50 Sekunden vor der erwarteten Landung allerdings konnten plötzlich
weder mit einem Radioteleskop auf der Erde, noch mit der ESA-Sonde Mars
Express Signale mehr empfangen werden. Was genau zum Abbruch der
Verbindung führte, ist noch nicht bekannt. Die Analyse der Daten läuft noch.
Es sieht jedoch danach aus, dass der Flug nach dem Abwurf des hinteren
Hitzeschilds und des Fallschirms nicht mehr regulär verlaufen ist. Der Abwurf
scheint früher als geplant erfolgt zu sein. Auch die Triebwerke wurden zwar für
kurze Zeit gezündet, haben aber offenbar ihren Betrieb früher als erwartet
eingestellt - in welcher Höhe dies geschah, muss ebenfalls noch analysiert
werden.
"Schiaparellis wichtigste Aufgabe lag in der Erprobung
europäischer Landetechnologien", unterstrich Wörner in einer Pressemitteilung.
"Dazu gehörte auch die Aufzeichnung von Daten beim Abstieg und es ist
unerlässlich, dass wir nun herausfinden, was passiert ist, um für die Zukunft
gerüstet zu sein."
David Parker, ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt und robotische Exploration,
ergänzte: "In Bezug auf das Testmodul Schiaparelli haben uns Daten
erreicht, mit denen wir den gesamten Ablauf nachvollziehen können und die uns
Hinweise darauf liefern werden, warum keine sanfte Landung erfolgte.
Ingenieurtechnisch gesehen ist es das, was wir von einem Test erwarten, und wir
verfügen nun über äußerst wertvolle Daten, die wir auswerten können. Eine
Untersuchungskommission wird sich näher mit diesen Daten befassen, zum jetzigen
Zeitpunkt können wir keine weiteren Spekulationen anstellen."
In der Pressemitteilung spricht die ESA also, anders als noch auf der
Pressekonferenz, selbst von einer Landung, die nicht "sanft" verlaufen ist. Man
kann das auch Absturz nennen - ein Wort, das man gestern im ESOC noch unbedingt
vermeiden wollte.
Die Meinungen über den Erfolg der Mission sind in den Medien geteilt. Man sollte
dabei auch nicht vergessen, dass die meisten Pressevertreter nicht nach
Darmstadt gekommen sein dürften, um das Einschwenken des Trace Gas Orbiters
in eine Umlaufbahn zu verfolgen, sondern eine europäische Landung auf dem Mars
erleben wollten.
In der Einladung an die Presse waren etwa für die Pressekonferenz am
Donnerstagvormittag Bilder angekündigt, die Schiaparelli während seines
Flugs durch die Marsatmosphäre aufgenommen hat. Wer so etwas in Aussicht stellt,
muss sich nicht wundern, wenn manche Medienvertreter sich nicht ganz der Ansicht
anschließen mögen, dass der vergangene Mittwoch ein rundum toller Tag für die
ESA und die Mission bislang ein voller Erfolg war.
In seinem Blog legte ESA-Chef Wörner nun noch einmal nach: Die Bedeutung von
Orbiter und Landemodul für die Gesamtmission hätte im Verhältnis 80 zu 20
gestanden. Da während des Abstiegs mindestens 80 Prozent der erhofften Daten
gesammelt werden konnten, würde sich eine Gesamterfolgsrate von 80 plus 20 mal
0,8 und damit 96 Prozent ergeben - "insgesamt ein sehr positives Ergebnis".
Ob die Medien dieser Analyse folgen? Manchmal wirkt es ja sympathischer und
für den Beobachter nachvollziehbarer einfach einmal öffentlich zuzugeben, dass
man traurig ist, dass der letzte Teil der Landung nicht so geklappt hat, wie man
sich das eigentlich erhofft hatte - und das man daraus lernen wird, um es
künftig besser zu machen.
Man könnte nun sagen, dass die Meinung der Medien eigentlich egal ist,
solange die Ingenieure die Daten haben, die sie für die weiteren Entwicklungen
benötigen. Doch das ist leider nicht der Fall: Für den geplanten ExoMars-Rover,
der 2020 starten soll, fehlt noch einiges an Geld und Politiker lassen sich nun
einmal gern von der öffentlichen Meinung leiten. So dürfte der Versuch der ESA,
den Mittwoch positiver darzustellen, als er von manchem Beobachter empfunden
wurde, auch ein Versuch sein, dafür zu sorgen, dass mit Schiaparelli
nicht auch das europäisch-russische Marsprogramm abstürzt, pardon, "unsanft"
landet.
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