Altersbestimmung mit künstlicher Intelligenz
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
7. Oktober 2016
Wie alt ist ein Stern? Diese Frage lässt sich in der Regel
nicht so einfach beantworten. Helfen können winzige Helligkeitsschwankungen, die
durch Oszillationen der fernen Sonne entstehen. Allerdings erforderte dieses
Verfahren bislang einen sehr hohen Aufwand an Rechenzeit. Mithilfe künstlicher
Intelligenz gelangten Forscher nun deutlich schneller zu einem Ergebnis.
Künstlerische Darstellung von seismischen
Wellen, die sich im Inneren eines Sternes
ausbreiten. Bild:
SAp/CEA [Großansicht] |
Bei einer Lebenszeit von Millionen oder gar Milliarden von Jahren ist es nicht
leicht, das Alter eines Sterns exakt zu bestimmen. Glücklicherweise liefern
Fluktuationen im Sternlicht - verursacht durch erdbebenartige Pulsationen -
Hinweise darauf, wie der Stern sich im Lauf seines Lebens verändert hat. Das
Alter des Sterns aus diesen Oszillationen zu abzuleiten war bis vor kurzem
allerdings eine zeitraubende Angelegenheit: Zehntausende Stunden an Rechenzeit
auf Supercomputern waren erforderlich, um nur einen einzigen Stern im Detail zu
analysieren.
Einem interdisziplinären Team aus Computerwissenschaftlern und Astrophysikern
rund um Earl Bellinger vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS)
in Göttingen ist es nun gelungen, diesen Prozess dramatisch zu beschleunigen.
Die Wissenschaftler entwickelten eine künstliche Intelligenz die in der Lage
ist, Sterne und ihre Exoplaneten bis zu eine Million mal schneller zu
charakterisieren als bisher. Durch ihre Arbeit wird sich in Zukunft leichter
bestimmen lassen, welche Exoplanetensysteme alt genug sind um möglicherweise
Leben zu beherbergen und wie sich unsere Galaxie entwickelt hat.
Größere, hellere Sterne verbrennen ihren nuklearen Brennstoff schneller, um der
starken Anziehungskraft ausreichend Druck entgegensetzen zu können, haben dafür
aber ein kürzeres Leben vor sich als kleinere, weniger helle Sterne. Während
Sterne, die mehr als die hundertfache Masse der Sonne haben, unter Umständen nur
100.000 Jahre leuchten, können die Sterne, die nur etwa halb so massereich sind
wie die Sonne, länger brennen als das Universum derzeit alt ist.
Wie hell ein Stern uns erscheint, sagt aber noch nichts darüber aus, wie alt er
derzeit ist. Nur ein Blick auf das Innere des Sterns kann enthüllen, wie viel
Brennstoff bereits verbraucht wurde und wie lange der Stern schon leuchtet. Dank
der so genannten Asteroseismologie - der Untersuchung der Sternpulsationen - und
mithilfe der hochpräzisen Daten von Weltraummissionen wie dem Kepler-Satelliten
der NASA ist es möglich, eben diesen Blick ins Innere des Sternes zu werfen.
Geringfügige Änderungen der Helligkeit, verursacht durch Vibrationen des Sterns,
verraten den Astronomen dabei, wie die innere Struktur des Sterns beschaffen ist
und wie alt er ist.
"Die Physik der Sternstruktur und -entwicklung gibt vor, in welchem Muster ein
Stern mit einer bestimmten Masse und einem bestimmten Alter pulsieren wird,"
erklärt Earl Bellinger, Doktorand in der Forschungsgruppe Stellar Ages and
Galactic Evolution (SAGE) am MPS und am Department of Astronomy der
Yale Universität. "Wenn wir diese Pulsationen untersuchen, können wir das
seismische Alter eines Sterns ableiten."
Zwar gibt es bereits Methoden um das seismische Alter eines Sterns zu bestimmen,
sie sind allerdings meist sehr langsam. Normalerweise berechnen Astrophysiker
mathematische Modelle, die dann mit den verfügbaren Beobachtungen verglichen
werden. Das Alter des am besten passenden Modells wird dann dem Stern
zugeschrieben. Diese Übereinstimmung kann entweder dadurch gefunden werden, dass
Millionen von zuvor berechneten Modellen, die aber stark vereinfacht sind,
durchsucht werden, oder durch eine Verfeinerung sehr viel komplexerer Modelle.
Letztere Methode kann allerdings zehntausende Stunden an Rechenzeit pro Stern in
Anspruch nehmen.
Bellinger und sein Team drehten das Problem in ihrer Studie nun um. Sie nutzen
eine künstliche Intelligenz, die mithilfe einer Methode des maschinellen
Lernens, der so genannten "random forest regression", darauf trainiert wurde,
Formeln zu entdecken, mit deren Hilfe sich das Schwingungsmuster des Sternes mit
den Eigenschaften des Sterns wie Alter, Masse und Radius verknüpfen lässt. Diese
Zusammenhänge sind zu komplex, um händisch von Menschen abgeleitet zu werden,
erlauben es aber, einen Stern in wenigen Sekunden zu charakterisieren. Das
wiederum macht den Wissenschaftlern möglich, mehr ausgeklügelte Details in ihren
Modellen zu berücksichtigen.
Bisher hat das Team seine Methode auf etliche Testbeispiele angewandt, darunter
34 bereits gut untersuchte Sterne, die zudem Exoplaneten beherbergen. Die
künstliche Intelligenz hat jeden dieser Tests bestanden. "Die Resultate zeigen
eine exzellente Übereinstimmung mit anderen Methoden der astronomischen
Altersbestimmung, zum Beispiel der radioaktiven Datierung die verwendet wurde um
das Alter der Sonne zu bestimmen," sagt Bellinger. "Und sie ist sehr schnell, so
dass sie auf viele Sterne angewendet werden kann. Wir entwickeln gerade die
Fähigkeit, ganze Sternkataloge für die nächste Generation von Galaxienstudien zu
charakterisieren."
Für die Zukunft sind weitere durch künstliche Intelligenz unterstützte
Sterndatierungen geplant. Derzeit lässt sich die Methode nur auf sogenannte
Hauptreihensterne anwenden, also auf diejenigen Sterne, die in ihrem Inneren
Wasserstoff verbrennen. Das soll sich in Zukunft aber ändern. "Die Methode
scheint uns leistungsfähig und robust zu sein. Wir sind schon gespannt wie sie
sich auf andere Arten von Sternen anwenden lässt," sagt Bellinger. "Das würde
uns dann ermöglichen, die verschiedenen Sterne in unserer Galaxie zu untersuchen
und zu verstehen, wie sich unsere Milchstraße entwickelt hat."
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel, der in
The Astrophysical Journal erschienen ist.
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