Aktivitätsausbruch vor sechs Millionen Jahren
von Stefan Deiters astronews.com
31. August 2016
Das Zentrum der Milchstraße ist heute ein vergleichsweise
ruhiger Ort: Das supermassereiche Schwarze Loch verschlingt nur hin und wieder
kleinere Mengen an Wasserstoffgas. Das war allerdings früher einmal anders: Vor
rund sechs Millionen Jahren etwa muss sie deutlich aktiver gewesen sein. Hinweise
darauf fanden Astronomen bei der Suche nach der fehlenden Masse unserer
Heimatgalaxie.
![Milchstraße](../../../bilder/2016/1608-026.jpg)
So könnte die Milchstraße vor rund sechs
Millionen Jahren ausgesehen haben, als sie für
einige Zeit eine aktive Galaxie war.
Bild: Mark A. Garlick / CfA [Großansicht] |
Die Milchstraße ist massereicher, als wir auf den ersten Blick erkennen
können: Ihre Gesamtmasse schätzen Astronomen auf etwa die ein bis zwei
Billionen-fache Masse unserer Sonne. Bei über 80 Prozent davon handelt es sich um
Dunkle Materie, etwa 150 bis 300 Milliarden Sonnenmassen müssten damit als
normale Materie vorliegen. Wenn man allerdings die Masse sämtlicher sichtbarer
Sterne und des Gases und Staubs aufaddiert, kommt man lediglich auf eine Masse
von etwa 65 Milliarden Sonnenmassen. Wo also ist der Rest?
"Wir haben ein kosmisches Versteckspiel gespielt und uns gefragt, wo könnte
die fehlende Masse versteckt sein", beschreibt Fabrizio Nacastro vom
Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics den Ansatz der Forscher. Nacastro
arbeitet zudem auch als Astrophysiker am italienischen Istituto Nazionale Di
Astrofisica.
"Wir haben archivierte Röntgenbeobachtungen des Satelliten XMM-Newton
analysiert und dabei entdeckt, dass es sich bei der fehlenden Masse um einen viele
Millionen Grad heißen Nebel aus Gas handelt, der unsere Galaxie durchzieht", so Nacastro. "Dieser Nebel verschluckt die Röntgenstrahlung von weiter entfernten
Hintergrundquellen."
Wie stark diese Strahlung verschluckt wird, nutzten die Astronomen als Maß
für die normale Materie, die sich in der betreffenden Region befinden muss und
für ihre Verteilung. Als sie allerdings die Daten mit Simulationen aus
Computermodellen verglichen, stellten sie fest, dass die Beobachtungen nicht zu
einer gleichmäßigen Verteilung des Gases passen. Stattdessen deuteten die Daten
auf eine Blase hin, die sich vom Zentrum der Galaxie bis etwa zwei Drittel des
Wegs zum Sonnensystem erstreckt.
Um eine so gewaltige nebelfreie Blase entstehen zu lassen, bedurfte es einer
ungeheuren Energie. Und diese muss, so die Forscher, im Zentrum der Galaxie
entstanden sein - während das dortige Schwarze Loch Material verschlungen hat.
Dabei nimmt das Schwarze Loch nicht das gesamte Gas auf, sondern beschleunigt
einen Teil davon auch auf hohe Geschwindigkeiten von bis zu 1000 Kilometern pro
Sekunde.
Sechs Millionen Jahre später hat die durch diese Aktivität entstandene
Stoßwelle schon 20.000 Lichtjahre zurückgelegt. In der Zwischenzeit ist dem
Schwarzen Loch wieder die Nahrung ausgegangen und es ist wieder in eine Art
Winterschlaf gefallen. In der Nähe des galaktischen Zentrums befinden sich
einige sechs Millionen Jahre alte Sterne. Diese könnten sich aus Teilen des
Materials gebildet haben, das damals auch das Schwarze Loch "gefüttert" hat.
"Die verschiedenen Beweisketten passen sehr gut zusammen", meint Teammitglied
Martin Elvis vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics. "Diese aktive
Phase dauerte vier bis acht Millionen Jahre, was für einen Quasar ganz normal
ist."
Die Beobachtungen und Computersimulationen ergaben auch, dass das heiße Gas
eine Masse von bis zu 130 Milliarden Sonnenmassen haben muss. Es könnte also die
gesamte noch fehlende "normale" Masse der Milchstraße erklären. Es war lediglich
zu heiß, um es sehen zu können.
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel, der
in der Zeitschrift The Astrophysical Journal erschienen ist.
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