Irdisches Leben begann in der Tiefsee
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Düsseldorf astronews.com
27. Juli 2016
Wo entstand das Leben auf der Erde und wie lebte es? Durch
die genetische Analyse unzähliger Einzeller glauben Wissenschaftler nun, darauf
eine Antwort gefunden zu haben. Das Leben auf der Erde entstand in der Tiefsee
ganz ohne Sonnenlicht. Der Fund könnte bedeuten, dass auch an anderen Stellen im
Sonnensystem das Leben vielleicht bessere Chancen hatte, als bislang gedacht.

Der Saturnmond Enceladus dürfte über einen
Ozean unter dem Eis verfügen. Könnte sich auch
hier Leben entwickelt haben? Die Aufnahme machte
die Sonde Cassini aus einer Entfernung von
102.000 Kilometern.
Bild: NASA / JPL / Space Science
Institute [Großansicht] |
Das Leben begann in einer eisenreichen heißen Tiefseequelle. Dies ist das
Ergebnis von Biologen um Prof. Dr. William Martin vom Institut für Molekulare
Evolution der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Durch genetische Vergleiche
heute lebender Zellen fanden sie die Eigenschaften von "LUCA", dem gemeinsamen
Vorfahren alles Lebens. In einer jetzt vorgestellten Studie beschreiben sie, wie
sein Stoffwechsel und seine Lebensbedingungen beschaffen waren.
Wie und wo haben die ersten Zellen auf der frühen Erde gelebt? Und wovon haben
sie sich ernährt? Nach den neuen Untersuchungen lebte der gemeinsame Vorfahr
allen Lebens (engl. last universal common ancestor, kurz LUCA) vor ca.
3,8 Milliarden Jahren an einer heißen Tiefseehydrothermalquelle. Er benötigte
keinen Sauerstoff und ernährte sich von Wasserstoff und Kohlendioxid: Gase, die
an Tiefseequellen stets reichlich vorhanden sind. Er konnte Stickstoff fixieren,
sein Stoffwechsel benötigte als Katalysatoren Metalle.
LUCA stellt das Bindeglied zwischen dem chemischen Ursprung des Lebens und den
ersten freilebenden Zellen dar, die Entschlüsselung seiner Eigenschaften ist ein
bedeutender Schritt im Studium der frühen Evolution. Prof. Dr. William Martin
und seine Kollegen vom Institut für Molekulare Evolution der Universität
Düsseldorf setzen bei den Genen moderner Organismen an und lasen aus diesen
heraus, wie und wo LUCA lebte.
Aus bisherigen Studien war bekannt, dass LUCA genetische Informationen speichern
und ablesen konnte. Es existierten jedoch bisher keine Informationen darüber, wie
und wo LUCA gelebt hat. Die Forscher analysierten die Sequenzinformation in 6,1
Millionen proteinkodierenden Genen von rund 2.000 Prokaryoten - die einfachsten
Einzeller, zu denen Bakterien und Archaeen gehören. Sie wollten alle Gene
finden, deren Spuren in der Stammesgeschichte bis hin zu LUCA zurückverfolgt
werden können.
Als wichtigstes Ergebnis ihrer Arbeit präsentieren die Forscher eine Liste von
355 Genen, die LUCA demnach besaß und die über die Lebensweise und das Habitat
von LUCA Aufschluss geben. Aus den 355 Genen schließt man, dass der gemeinsame
Vorfahr allen Lebens ein Anaerobier war, er benötigte also keinen Sauerstoff zum
Leben. Er gedieh bei Temperaturen um die 100 Grad Celsius. Seinen Stoffwechsel
betrieb er mithilfe von Kohlendioxid, Wasserstoff und Stickstoff, seinen
Energiebedarf deckte er aus einfachen chemischen Reaktionen, ohne Hilfe von
Licht.
Darüber hinaus fand man im Stoffwechsel des gemeinsamen Vorfahrens Hinweise auf
eine wichtige Rolle von Übergangsmetallen wie Eisen, Nickel und Molybdän, sowie
anderer Elemente wie Schwefel und Selen. LUCA's Stoffwechsel hatte somit
Ähnlichkeiten mit dem einiger heute noch lebender Organismengruppen, vor allem
mit den acetatbildenden Clostridien (bei den Bakterien) und den methanbildenden
Methanogenen (bei den Archaeen).
Die neuen Daten unterstützen die Theorie, dass das Leben an
Tiefseehydrothermalquellen entstand und dass die ersten dort lebenden Organismen
Autotrophe waren – Organismen, die alle ihre essentiellen Nährstoffe wie
Aminosäuren und Vitamine aus Kohlendioxid selbst synthetisieren. "Wir haben
nicht nur eine Reihe ursprünglicher Gene entdeckt, wir haben auch die Organismen
identifiziert, in denen diese Gene heute vorkommen", weist Martin auf die
wichtigen Implikationen für weitergehende Untersuchungen hin.
Diese Gruppen besiedeln heute noch die Habitate (Tiefseequellen und karge
Erdkruste), die die Forscher für LUCA gefunden haben. "Alles spricht dafür", so
Martin weiter, "dass sie die ökologische Nische, in der das Leben vor rund vier
Milliarden Jahren entstand, nie verlassen haben." Somit können die
Mikrobengemeinschaften an heutigen Tiefseequellen direkte Einblicke in das Leben
der ersten Mikroben gewähren – als hätte eine Zeitmaschine das Urhabitat der
ersten Zellen bis in die Gegenwart befördert.
Prof. Dr. James McInerney, Evolutionsbiologe von der University of
Manchester, schreibt in einem begleitenden Kommentar zur Düsseldorfer
Veröffentlichung: "Diese Einblicke in den Stoffwechsel vom letzten universellen
gemeinsamen Vorfahren liefern Erkenntnisse über die Lebensweise der Organismen,
die gelebt haben, bevor es zur Ur-Spaltung der Prokaryoten in Bakterien und Archaeen
kam. Die neue Studie gibt uns einen faszinierenden Einblick in das Leben vor
vier Milliarden Jahren."
Die Studie hat auch Konsequenzen für die Spurensuche nach Leben anderswo in
unserem Sonnensystem. Sind unsere zellulären Vorfahren an Hydrothermalquellen
entstanden, so hat die Sonne beim Ursprung des Lebens keine essentielle Rolle
gespielt. Das Leben wäre aus rein geochemischer Energie hervorgegangen. Auf
Enceladus, einem der Saturnmonde, gibt es Hinweise für die Existenz von solcher
geochemischer Energie in Form von hydrothermaler Aktivität. "Ob dort die
Geochemie Schritte in Richtung Leben unternimmt, bleibt eine spannende Frage",
so Martin.
Über ihre Untersuchung berichten die Forscher in einem Fachartikel, der
in der Zeitschrift Nature Microbiology erschienen
ist.
|