Gravitationsblick ins Innere der Erde
Redaktion
/ Pressemitteilung der Technischen Universität München astronews.com
14. März 2016
Der ESA-Satellit GOCE hat von 2009 bis 2013 mit großer
Genauigkeit das Schwerefeld der Erde vermessen. Jetzt haben Wissenschaftler
diese Daten so aufbereitet, dass sich daraus auch Informationen über das
Erdinnere ableiten lassen. Diese lieferten aus dem Nordatlantik beispielsweise
wichtige Ergänzungen zum plattentektonischen Modell.
Der ESA-Satellit GOCE hat von 2009 bis 2013
das Schwerefeld der Erde genau vermessen.
Bild:
ESA/AOES Medialab [Großansicht] |
Wie verändert sich das Eis der Polkappen? Und welche geologischen
Eigenschaften hat die Erdkruste darunter? Welche Struktur hat die Grenzfläche
zwischen Erdkruste und Erdmantel? Um diese Fragen zu beantworten, können
Geophysiker künftig Daten des GOCE-Satelliten der ESA nutzen, mit dessen Hilfe
das Schwerefeld der Erde vermessen wurde. Geodäten der Technischen Universität
München (TUM) haben die Messdaten jetzt nämlich so aufbereitet, dass sogar
Strukturen tief unter der Oberfläche sichtbar werden.
Könnte ein Astronaut Gravitationsfelder sehen, so erschiene ihm die Erde
nicht rund, sondern verbeult wie eine Kartoffel. Der Grund: Die Massen in
Ozeanen, Kontinenten und tief im Erdinneren sind ungleich verteilt. Die
Gravitationskraft ist daher von Ort zu Ort unterschiedlich. Diese Variationen,
die für das menschliche Auge unsichtbar sind, haben hochempfindliche
Beschleunigungssensoren an Bord des ESA-Satelliten GOCE (Gravity field and
steady-state Ocean Circulation Explorer) gemessen. Mehrere Hundert
Millionen Datensätze hat der Satellit von 2009 bis 2013 zur Bodenstation
gefunkt.
Die TUM ist maßgeblich an der Entwicklung der Mission und an der Auswertung
und Nutzung der Messungen beteiligt. "Dank dieser Daten ist es gelungen, das
Gravitationsfeld der Erde sehr genau zu kartieren. Und jetzt können wir die
Messwerte sogar nutzen, um – quasi durch die Gravitationsbrille – tief unter die
Oberfläche unseres Planeten zu sehen", erklärt Dr. Johannes Bouman vom Deutschen
Geodätischen Forschungsinstitut der TUM und Leiter der Projektgruppe GOCE+
GeoExplore.
Auf den Karten des Schwerefelds, die das Team jetzt in der Fachzeitschrift
Nature Scientific Reports veröffentlicht hat, erkennt man
beispielsweise im Nordatlantik einen breiten roten Streifen, der erhöhte
Gravitation symbolisiert. Dies deckt sich mit dem plattentektonischen Modell:
Zwischen Grönland und Skandinavien steigt entlang des Mittelozeanischen Rückens
dichtes und schweres Material aus dem Erdmantel auf, kühlt ab und bildet frische
ozeanische Kruste. "Wir konnten hier mit den Schwerefeldmessungen wichtige
Ergänzungen zum plattentektonischen Modell liefern, indem wir Rückschlüsse auf
die Dichte und Mächtigkeit von unterschiedlichen Platten ziehen", erläutert
Bouman.
Zwei Jahre hat er zusammen mit seinem Team an der Aufbereitung der GOCE-Daten
gearbeitet. Diese galten als schwer interpretierbar, weil Höhe und Orientierung
des Satelliten, als er um die Erde kreiste, nicht immer gleich waren. "Mit Hilfe
von GPS wurde er zwar ständig lokalisiert, doch bei der Auswertung der Daten
musste man jede Messung mit den gespeicherten Koordinaten korrelieren", erinnert
sich der TUM-Forscher.
Durch die Algorithmen, die er mit seinem Team entwickelt hat, ist es
gelungen, die Daten so zu transformieren, dass Geophysiker sie künftig ohne
weitere Korrekturen nutzen können. Der Trick: Die Messwerte wurden nicht mit der
tatsächlichen Flugbahn des Satelliten korreliert, sondern auf zwei
Referenz-Ellipsoide umgerechnet. Diese Ellipsoide, welche die Erde in 225 und
255 Kilometern Höhe umspannen, haben eine konstante Höhe, und auch ihre
geographische Orientierung ist definiert. Jedes Ellipsoid besteht aus 1,6
Millionen Gitterpunkten, die sich kombinieren lassen.
"Auf diese Weise kann man, wie beim stereoskopischen Sehen mit zwei Augen,
die dritte Dimension sichtbar machen. Dies erlaubt uns bis in 200 Kilometer
Tiefe zu blicken. Kombiniert man diese Informationen dann noch mit den
2D-Karten, so erhält man ein dreidimensionales Bild der Erde. In Kombination mit
einem geophysikalischen Modell erlauben diese Informationen also einen Blick ins
Erdinnere", erklärt Bouman.
"Für Geophysiker ist die Methode sehr interessant", betont Prof. Jörg Ebbing,
Mitautor und Leiter der Arbeitsgruppe Geophysik und Geoinformation der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. "Bisher basieren die Modelle
überwiegend auf seismischen Messungen. Aus dem Weg, den Erdbebenwellen
zurücklegen, kann man beispielsweise rückschließen auf Grenzen zwischen
Erdmantel und -kruste. Dank der neuen Daten können wir unsere Vorstellungen
überprüfen und verbessern."
Die Analyse der Erdkruste im Nordatlantik ist dabei nur der Anfang. "Mit
Hilfe der geodätischen Daten aus der GOCE-Mission wird man künftig den Aufbau
der gesamte Erdkruste genauer untersuchen können", ergänzt Prof. Florian Seitz,
Direktor des Deutschen Geodätischen Forschungsinstituts der TUM. "Und wir können
sogar dynamische Bewegungen wie das Abschmelzen der polaren Eisschilde sichtbar
machen, für die die Seismik blind war."
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