Beide Testmassen schweben frei
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
16. Februar 2016
Erleichterung beim Team der ESA-Sonde LISA Pathfinder: Die
beiden würfelförmigen Testmassen an Bord schweben frei im vorgesehenen Gehäuse.
Nun steht dem Beginn des wissenschaftlichen Betriebs der Sonde kaum mehr etwas
im Weg. Mit LISA Pathfinder
sollen Technologien getestet werden, die für ein weltraumgestütztes
Gravitationswellenobservatorium benötigt werden.

Das LISA Technology Package ist das
wissenschaftliche Herz der Mission. Es vermisst
und kontrolliert den nahezu perfekten freien Fall
von zwei Testmassen in ihren Vakuumkammern.
Bild:
ESA / ATG medialab [Gesamtansicht] |
Die LISA Pathfinder-Missionswissenschaftler haben erfolgreich erstmals
beide würfelförmigen Gold-Platin-Testmassen im Satelliten freigesetzt. LISA
Pathfinder wird diese Würfel im präzisesten jemals erreichten freien Fall
vermessen, um Kerntechnologien für die Beobachtung von Gravitationswellen im
Weltraum zu testen. Die Sonde LISA Pathfinder war am 3. Dezember 2015 ins All
gestartet und hatte ihr Ziel – den Lagrange-Punkt L1 rund 1,5 Millionen
Kilometer von der Erde entfernt in Richtung Sonne – am 22. Januar 2016
erreicht.
Die ersten Komponenten der wissenschaftlichen Nutzlast waren bereits zwischen dem
11. und 13. Januar erfolgreich aktiviert worden (astronews.com
berichtete), gefolgt von weiteren Schritten
zur Inbetriebnahme der Sonde. Nun wurde ein Meilenstein auf dem Weg zum
wissenschaftlichen Missionsbetrieb erreicht, der am 1. März beginnen soll:
Erstmals wurden die beiden Testmassen von LISA Pathfinder – zwei
identische 46 mm große Würfel aus einer Gold-Platin-Legierung – von ihren
Haltemechanismen freigegeben und schweben nun frei innerhalb des Satelliten. Ein
Laserinterferometer vermisst den Abstand zwischen den Massen mit höchster
Präzision.
"LISA Pathfinder arbeitet weiterhin perfekt! Das Freilassen der
Testmassen erforderte etwas Lernen, aber das Team hat dann schnell eine elegante
Lösung gefunden. Mit dem erfolgreichen Betrieb eines Laserinterferometers im
Weltraum zwischen zwei freischwebenden Testmassen liefert LISA Pathfinder eine
echte Weltneuheit!", freut sich Prof. Karsten Danzmann, Direktor am
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und Direktor des Instituts für
Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover. "Wir stehen nun kurz vor
dem Beginn der wissenschaftlichen Mission, die Schlüsseltechnologien zur
Beobachtung von Gravitationswellen im Weltraum demonstrieren wird."
Während der Vorbereitung des Satelliten am Boden, während des Starts und der
Bahnmanöver, die LISA Pathfinder nach einer sechswöchigen Reise zum
Lagrangepunkt L1 brachten, wurden beide Würfel fest mit acht "Fingern" an den
Ecken fixiert. Am 3. Februar wurden diese Haltefinger gelöst, gleichzeitig wurde
ein Ventil geöffnet, um die Restmoleküle aus der Vakuumkammer um die Testmassen
zum Weltraum zu entlüften.
Ein Paar von Druckstäben, die die Würfel beidseitig fixierten, hielt die
Testmassen bislang in der Mitte der Einhausungen fest. Diese Druckstäbe wurden
nun gestern von der einen Testmasse und heute von der anderen gelöst. Nun
schweben die Würfel frei im Abstand von einigen Millimetern von den Wänden der
Einhausung ohne mechanischen Kontakt zum Satelliten.
Zwischen den zwei Testmassen, die rund 38 Zentimeter voneinander entfernt sind,
befindet sich ein Laserinterferometer, das die Positionen und die Ausrichtung
der beiden Testmassen relativ zum Satelliten und zueinander mit bisher
unerreichter Genauigkeit von etwa zehn Pikometern (hundertmillionstel
Millimeter) bestimmt. Dieses optische Präzisionsmesssystem wurde unter
Federführung und mit maßgeblicher Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik und von der
Leibniz Universität in Hannover entwickelt und gebaut.
Die Testmassen werden derzeit durch elektrostatische Kräfte von den
Elektrodeneinhausungen kontrolliert. Dies sorgt dafür, dass die Testmassen den
Bewegungen des Satelliten folgen. In einer Woche soll LISA Pathfinder
erstmals im wissenschaftlichen Messbetrieb laufen. Dann werden die Testmassen im
vollständigen Freifall sein und der Satellit wird ihren Bewegungen mittels
seiner Mikronewton-Triebwerke folgen.
Nach einer Woche letzter Überprüfungen wird die wissenschaftliche Mission von
LISA Pathfinder am 1. März beginnen. Diese wird Schlüsseltechnologien
für den Nachweis von Gravitationswellen im Weltraum demonstrieren und
validieren. So wird die Mission den Weg für zukünftige
Gravitationswellen-Observatorien im All – wie eLISA – ebnen.
Forscherinnen und Forscher der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz
Universität in Hannover sind führend an der Entwicklung der Auswertungssoftware
beteiligt, die eine zentrale Rolle beim Extrahieren der entscheidenden
Information aus den Messdaten spielt. Dafür betreibt das Institut einen
Kontrollraum in Hannover. Da eine unmittelbare Auswertung der Daten für die
Konfiguration der Folgeuntersuchungen entscheidend ist, besetzen Forscher des
Instituts außerdem rund um die Uhr Schichten im Darmstädter Kontrollzentrum
(ESOC) der europäischen Weltraumagentur ESA.
LISA Pathfinder ist Wegbereiter für eLISA, ein großes
Weltraumobservatorium, das eines der am schwersten fassbaren astronomischen
Phänomene direkt beobachten soll - Gravitationswellen. Der Nachweis dieser von
Albert Einstein im Jahr 1916 vorhergesagten winzigen Verzerrungen der Raumzeit
erfordert eine sehr empfindliche und hochpräzise Messtechnik. Kürzlich gelang
mit den erdgebundenen Advanced LIGO-Detektoren der erste direkte
Nachweis.
Weltraumobservatorien wie eLISA werden Gravitationswellen mit
Frequenzen im Millihertz-Bereich nachweisen, wie sie Paare extrem massereicher
Schwarzer Löcher oder Doppelsternsysteme aus Weißen Zwergen aussenden. So
ergänzen sie irdische Detektoren wie GEO600, aLIGO und
Virgo, die bei höheren Frequenzen Gravitationswellen von weniger
massereichen Objekten aufspüren sollen.
Im Zusammenspiel mit anderen astronomischen Methoden werden diese
Gravitationswellen-Observatorien bisher noch unbekannte Bereiche beobachten,
gleichsam die "dunkle Seite" des Universums. Mit eLISA wollen die
Forscher verfolgen, wie massereiche Schwarze Löcher entstehen, wachsen und
miteinander verschmelzen. Und auch die Entwicklung von Galaxien während der
gesamten Vergangenheit des Universums wird sich erfassen lassen. Außerdem soll
eLISA Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie überprüfen und
nach bisher unbekannter Physik suchen. eLISA soll - so die aktuellen
Planungen - Mitte der 2030er Jahre starten.
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