Der Rotationszustand eines Moleküls
Redaktion
/ Pressemitteilung der Physikalisch-Technische Bundesanstalt astronews.com
9. Februar 2016
Physikern ist es erstmals gelungen, den Rotationszustand
eines Moleküls zu messen, ohne das Molekül dabei zu beeinflussen oder gar zu
zerstören. Das Verfahren eröffnet neue Möglichkeiten für bislang kaum
zugängliche Messungen und dürfte nicht nur für Chemiker, sondern auch für
Astronomen interessant sein - sowie für Physiker, die nach bislang verborgenen
Eigenschaften von Elementarteilchen suchen.
Konzeptioneller Aufbau des Experiments: MgH+(orange)
und Mg+ (grün) sind gemeinsam in einer linearen
Ionenfalle gefangen. Der Ionenkristall wird über
Mg+ in den Grundzustand gekühlt. Eine
oszillierende Dipolkraft ändert den
Bewegungszustand abhängig vom Rotationszustand
von MgH+. Dies wird über Mg+ ausgelesen.
Bild: PTB [Großansicht] |
Die Wärme der Umgebung lässt nicht nur ganze Atome oder Moleküle zappeln, was
man als Brown‘sche Molekularbewegung (oder Wärmebewegung) kennt, sondern die
Wärmestrahlung verändert im Falle von polaren Molekülen auch den internen
Zustand der Teilchen, genauer ihren Quantenzustand der Rotation. Ihn zu messen
war bisher nur möglich, indem das Molekül zerstört wurde. Jetzt hat es weltweit
erstmals eine Forschergruppe geschafft, den Rotationszustand eines Moleküls
zerstörungsfrei zu messen.
Piet Schmidt und seine Kollegen vom QUEST-Institut in der
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) verfolgten die Veränderung des
Rotationszustandes eines gefangenen und indirekt lasergekühlten Molekülions –
und zwar live, also direkt während des Geschehens. Dies ermöglicht eine neue
Methode der Präzisionsspektroskopie mit Anwendungen, die von der Chemie bis hin
zu Tests fundamentaler Physik reichen.
Atome können heutzutage mithilfe von Lasern manipuliert und mit höchster
Genauigkeit untersucht werden, etwa in optischen Uhren. Dabei kommt der Messung
des Quantenzustands eine zentrale Rolle zu: Leuchtet das Atom bei Bestrahlung
mit einem Laser, kennt man seinen Zustand. Viele Atome und die meisten Moleküle
können jedoch gar nicht leuchten. Zur Detektion von Molekülen hat man in der
Vergangenheit daher ausgenutzt, dass sich diese – abhängig von ihrem
Quantenzustand – bei Bestrahlung mit speziellem Laserlicht in ihre atomaren
Bestandteile zerlegen. Durch die Zerstörung des Moleküls kann so der
Quantenzustand nachgewiesen werden - allerdings nur einmal pro Molekül.
Projektleiter Schmidt hat viel Erfahrung dabei, das Problem der
Zustandsdetektion zu lösen. Er war in der Arbeitsgruppe von Nobelpreisträger
David Wineland an der Entwicklung der Quantenlogikspektroskopie beteiligt und
baute sie selber zur Photonen-Rückstoß-Spektroskopie aus. Bei diesen neuen
Spektroskopie-Methoden ist das Prinzip immer dasselbe: Man stellt dem zu
messenden Teilchen ein zweites zur Seite, das man gut manipulieren und
detektieren kann. Durch die elektrische Abstoßung sind die beiden gefangenen
Ionen wie mit einer starken Feder verbunden, sodass sie alle Bewegungen synchron
ausführen. So kann man an einem Teilchen messen, um die Eigenschaften des
anderen Teilchens zu ermitteln.
Konkret verwenden Schmidt und Kollegen ein molekulares MgH+-Ion (das sie
untersuchen wollen) und ein atomares Mg+-Ion (an dem sie die Messungen
durchführen). Sie fangen die beiden einzelnen Teilchen in einer Ionenfalle
zwischen elektrischen Feldern ein. Dann kühlen sie sie mithilfe von Lasern bis
in den Grundzustand, in dem die synchrone Schwingung der beiden Teilchen fast
zum Stillstand kommt.
Was jetzt folgt, ist neu: Um herauszufinden, in welchem quantenmechanischen
Rotationszustand sich das Molekül gerade befindet, benutzen die Wissenschaftler
einen weiteren Laser, der einer optischen Pinzette ähnelt. Mit diesem können
Kräfte auf das Molekül ausgeübt werden. "Der Laser rüttelt an dem Molekül, aber
nur dann, wenn es sich gerade in einem ganz bestimmten Rotationszustand
befindet", erläutert Fabian Wolf, Physiker in der Gruppe. "Die Wirkung – eine
Anregung der gemeinsamen Bewegung von Molekül und Atom – können wir über das
Atom mithilfe von weiteren Lasern nachweisen. Leuchtet das Atom, war das Molekül
im ausgewählten Rotationszustand, ansonsten nicht."
"Durch den zerstörungsfreien Nachweis konnten wir live beobachten, wie das
Molekül von der Wärmestrahlung in den Rotationszustand gebracht wird und wann es
von diesem in einen anderen springt. Dies ist das erste Mal, dass solche
Quantensprünge in einem isolierten Molekül direkt beobachtet werden konnten.
Außerdem haben wir genauer als je zuvor die Übergangsfrequenz zu einem
elektronisch angeregten Zustand gemessen", erläutert Schmidt. "Wir wollen als
nächstes jenen quantenmechanischen Zustand, der jetzt noch von der thermischen
Umgebungsstrahlung quasi zufällig hergestellt wird, gezielt selber präparieren."
Schon jetzt sind die Forscher aber sicher, dass ihre Entwicklung bei denjenigen
Wissenschaftlerkollegen für Aufsehen sorgen wird, die eine solch präzise
Spektroskopiemethode benötigen: etwa bei Chemikern, die mehr über das Innenleben
von Molekülen herausfinden wollen, oder bei Astronomen, die über die Spektren
von kalten Molekülen etwas über astrophysikalische Phänomene und die Entstehung
des Universums lernen wollen. Oder bei jenen Physikern, die nach möglichen
Änderungen von Naturkonstanten oder bislang verborgenen Eigenschaften von
Elementarteilchen suchen, etwa nach einem möglichen Dipolmoment des Elektrons.
Diese Tests fundamentaler Physik waren auch für Schmidt die Motivation für die
Entwicklung der neuen Detektionsmethode. "Um diese Anwendungen zu erschließen,
müssen wir die optische Spektroskopie an Molekülionen auf ein Niveau heben, wie
wir es bei optischen Uhren jetzt schon mit Atomen schaffen", gibt Schmidt das
Ziel vor. "Dazu müssen wir um viele Größenordnungen genauer messen, was
vermutlich noch einige Jahre dauert."
Über ihr Verfahren berichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift
Nature.
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