Riesige Gaswolke fällt in Milchstraße zurück
von Stefan Deiters astronews.com
5. Februar 2016
Die Smith-Wolke, eine seit den 1960er Jahren bekannte
Gaswolke in den Außenbereichen der Milchstraße, wird in rund 30 Millionen Jahren
auf die Scheibe der Milchstraße treffen und hier vermutlich für einen Ausbruch
an Sternentstehung sorgen. Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Hubble
ergaben nun: Die Wolke wurde einst auch aus der Scheibe ins All katapultiert.
Die Entstehung der Smith-Wolke vor 70
Millionen Jahren (oben), die Position heute
(Mitte) und ihr Auftreffen auf die Scheibe in 30
Millionen Jahren (unten).
Bild: NASA, ESA und A. Feild (STScI) [Großansicht] |
Was man hoch wirft, das kommt auch wieder zurück - dieser einfache Satz gilt
offenbar auch für eine gewaltige Gaswolke, die sich mit einer Geschwindigkeit
von über einer Million Kilometern pro Stunde auf unsere Milchstraße zubewegt
und in etwa 30 Millionen Jahren auf ihre Scheibe treffen wird. Dort könnte sie
ein regelrechtes Feuerwerk an Sternentstehung auslösen - immerhin gibt es in ihr
ausreichend Gas für rund zwei Millionen Sonnen.
Die Gaswolke ist 11.000 Lichtjahre lang und hat eine Breite von etwa 2.500
Lichtjahren. Wäre sie im sichtbaren Bereich des Lichtes zu beobachten, hätte sie
am Himmel eine Ausdehnung, die dem 30-fachen Durchmesser des Vollmonds
entspricht. Die Wolke wurde bei Radiobeobachtungen in den 1960er Jahren von der
Astronomie-Doktorandin Gail Smith entdeckt und wird seitdem immer wieder
untersucht.
Um was genau es sich bei der Wolke handelt, war den Astronomen allerdings
lange Zeit nicht klar: Sie vermuteten zunächst, dass es sich um eine
"verhinderte" Galaxie ohne Sterne oder um einen Gasstrom aus dem
intergalaktischen Raum handelt, der von der
Milchstraße angezogen wird. Wäre dies der Fall, müsste die Wolke hauptsächlich
aus Wasserstoff und Helium bestehen und nur über sehr wenige schwerere Elemente
verfügen. Diese schwereren Elemente werden nämlich erst im Inneren von Sternen
erzeugt.
Mithilfe des Weltraumteleskops Hubble ist es nun erstmals gelungen,
die chemische Zusammensetzung der Wolke zu bestimmen. Dazu wurden mit Hubble
die hellen Zentren von drei aktiven Galaxien in mehreren Milliarden Lichtjahren
Entfernung anvisiert, die von der Erde aus gesehen genau hinter der Wolke
liegen. Mit dem Cosmic Origins Spectrograph an Bord vom Hubble
konnte so Licht analysiert werden, das auch die Wolke durchlaufen hatte und
somit die Signatur ihrer Inhaltsstoffe enthielt.
Besonders interessierten sich die Astronomen dabei für das Element Schwefel:
"Durch die Messung von Schwefel kann man etwas darüber lernen, wie stark das Gas
der Wolke im Vergleich zur Sonne mit Schwefel angereichert ist", erläutert
Andrew Fox vom Space Telescope Science Institute in Baltimore. Dies
wiederum ist ein Hinweis auf die Gesamthäufigkeit schwererer Elemente in der
Wolke.
Die Astronomen ermittelten, dass die Wolke einen ähnlichen Schwefelgehalt
hat, wie eine Region der Milchstraße, die etwa 40.000 Lichtjahre vom Zentrum
entfernt ist. Dies ist etwa 15.000 Lichtjahre weiter außerhalb als die Position
des Sonnensystems. In der Smith-Wolke befinden sich somit Elemente, die vorher
in Sternen erzeugt worden sein mussten. Es konnte sich damit nicht um frisches
Gas aus den Weiten des Alls oder eine "verhinderte" Galaxie ohne Sterne handeln.
Stattdessen wurde die Wolke offenbar vor rund 70 Millionen Jahren aus der
Scheibe unserer Galaxie hinausgeschleudert und fällt nun in die Scheibe der
Milchstraße zurück. "Die Wolke ist ein Beispiel dafür, wie sich die Galaxie mit
der Zeit verändert", so Fox. "Sie verrät uns, dass es in der Milchstraße brodelt
und sie ein sehr aktiver Ort ist, wo Gas aus einem Teil der Scheibe
hinauskatapultiert werden kann und woanders wieder auftrifft."
Unklar bleibt jedoch, wodurch die Wolke einst aus der Scheibe
hinausgeschleudert wurde und wie es ihr gelang, bis heute so intakt zu bleiben.
Eine spekulative Möglichkeit wäre, dass Partikel der Dunklen Materie durch die
Scheibe der Milchstraße geflogen sind und dabei das Gas mitgerissen haben. Die
Smith-Wolke bietet Astronomen also auch weiterhin ausreichend Grund für weitere
Untersuchungen.
Über ihre Beobachtungen berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel,
der in der Zeitschrift The Astrophysical Journal Letters erschienen
ist.
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