Planetenbausteine im Labor nachgebaut
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Fraunhofer-Gesellschaft astronews.com
5. Januar 2016
Wie bildeten sich aus Gesteinspartikeln Asteroiden und
Planeten? Dieser Frage gehen Wissenschaftler der Universitäten Münster und
Braunschweig in einem Experiment nach. Dazu benötigen sie jedoch Kügelchen aus
Spezialglas, die die Zusammensetzung der ursprünglichen Gesteinspartikel
möglichst naturgetreu nachbilden. Diese werden in Würzburg hergestellt.

Der Blick von oben in den Ofeninnenraum zeigt
vom Fraunhofer ISC hergestellte Glaskügelchen,
die für Experimente zur Weltraumforschung
eingesetzt werden. Bild:
Fraunhofer ISC [Großansicht] |
4,57 Milliarden Jahre ist die Erde alt. Um nachzuvollziehen, wie unser
Heimatplanet einst entstanden ist, analysieren Wissenschaftler andere Körper
unseres Sonnensystems wie etwa Bruchstücke von Asteroiden, die nach Kollisionen
im All als Meteorite auf der Erde eingeschlagen sind. Nach heutigem Wissensstand
haben sich viele planetare Körper durch den Zusammenschluss von Chondren - das
sind etwa 0,1 bis 3 Millimeter große Silicatkügelchen - gebildet.
Doch wie läuft dieser kosmische Gesteinsbildungsprozess genau ab? Das
untersuchen Wissenschaftler des Instituts für Planetologie der Westfälischen
Wilhelms-Universität in Münster und der Technischen Universität Braunschweig
derzeit in Experimenten. Unterstützt werden sie dabei von Forschern des
Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung ISC in Würzburg. Die Wissenschaftler
haben für das Projekt ein Spezialglas entwickelt und daraus winzige Kügelchen
geformt, um die Chondren möglichst realistisch abzubilden.
Bisherige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die ursprünglichen Teilchen
die Konsistenz von heißem, flüssigem Glas hatten, bevor sie zu größeren
Gesteinskonglomeraten aggregierten, abkühlten und auskristallisierten. "Dieses
Glas unterscheidet sich von der Materialzusammensetzung stark von technischen
Gläsern, mit denen wir üblicherweise arbeiten", erklärt Dr. Martin Kilo,
Abteilungsleiter "Glas" am ISC. Die Zusammensetzung bedingt jedoch physikalische
Eigenschaften wie etwa das Schmelz- und Kristallisationsverhalten. Beides spielt
eine zentrale Rolle beim Entstehungsprozess größerer Gesteinskörper.
"Wir haben daher vorab mit Modellierungsprogrammen berechnet, welche
Schmelzbedingungen bei den geforderten Zusammensetzungen herrschen, wie stabil
die Glasteilchen sind und bei welchen Temperaturen sie in welcher Form
kristallisieren", so Kilo.
Eine weitere Herausforderung bestand darin, den Glasteilchen ihre Kugelform
zu geben. Dazu nutzen die Experten zwei unterschiedliche Verfahren. Im ersten
Ansatz wird grober Glaskies hergestellt, in die passende Größe gesiebt und
anschließend durch thermische Behandlung abgerundet. Die zweite Lösung besteht
darin, Glasplatten in kleine Quader zu sägen und mechanisch zu schleifen -
ähnlich wie bei der Murmelherstellung.
Für das Experiment haben die Würzburger mehrere Varianten ihrer Kügelchen
hergestellt, die sich in ihrer Materialzusammensetzung geringfügig
unterscheiden. Diese Kugeln wurden zunächst in speziellen Schmelzaggregaten
erhitzt, bei denen sich die Temperatur und Atmosphäre exakt einstellen lassen.
Diejenigen Kugeln, die nach diesen Testschmelzen den Eigenschaften aus dem
theoretischen Modell am nächsten kamen, wurden für das Projekt ausgewählt.
Das Forschungsteam der Universitäten Münster und Braunschweig setzt die
kosmischen Glaskügelchen aus dem ISC nun bei Experimenten am Zentrum für
angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) in Bremen ein: Der
dort betriebene Fallturm umschließt eine 120 Meter hohe stählerne Fallröhre, in
welcher ein Hochvakuum erzeugt wird. Mittels eines Katapultsystems werden die
Glaskügelchen in einer Kapsel bis zur Spitze der Fallröhre geschossen. Auf diese
Weise erreicht man rund 9,5 Sekunden Schwerelosigkeit – also Bedingungen wie im
All.
Die Glaskügelchen werden in dieser Zeit auf bis zu 1100 Grad Celsius erhitzt.
Während des Fallvorgangs kollidieren die Kugeln und bilden Cluster. Die Experten
zeichnen das Kollisionsverhalten mit Hochgeschwindigkeitskameras auf, die
Kollegen an der TU Braunschweig werten es aus. "Unsere Münsteraner Kollegen
untersuchen dann, wie die Kugeln zusammenwachsen, ob die Cluster aus einer
homogenen Masse bestehen oder ob die Form der einzelnen Kugeln noch erkennbar
ist und ob und inwieweit es zur Auskristallisierung kommt", erläutert Kilo. Im
nächsten Schritt wollen die Planetologen dann die Ergebnisse mit Beobachtungen
an Meteoriten vergleichen und Rückschlüsse auf die Gültigkeit ihrer
theoretischen Modelle ziehen.
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