Materialeigenschaften bei tiefen Temperaturen
Redaktion
/ Pressemitteilung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) astronews.com
24. November 2015
Um Infrarotstrahlung beobachten zu können, müssen
entsprechende Weltraumteleskope auf extrem niedrige Temperaturen heruntergekühlt
werden, um nicht selbst zur Quelle dieser Strahlung zu werden. Nun haben
Wissenschaftler genau vermessen, wie Material, das etwa zum Bau der Spiegel verwendet
wird, bei so tiefen Temperaturen reagiert.
Das Weltraumteleskop Herschel war von 2009
bis 2013 aktiv und machte Beobachtungen im
Infraroten. Damit dies funktioniert, muss das
Teleskop gekühlt werden.
Bild: ESA [Großansicht] |
Der Weltraum birgt eine Vielzahl faszinierender Objekte, die wir nur
erforschen können, indem wir ihre Strahlung auch jenseits des sichtbaren
Bereichs beobachten. Für Weltraumteleskope wie das Infrarot-Observatorium
Herschel der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA, die Strahlung im
fernen Infrarot beobachtet haben, ist die Kühlung der Instrumente unerlässlich.
Denn die Instrumente selbst dürfen keine störende Infrarotstrahlung emittieren.
Die Spiegel dieser Teleskope, die bei Temperaturen unterhalb von -190 Grad
Celsius zum Einsatz kommen, werden aus speziellen ultrastabilen Keramiken wie
etwa Siliziumkarbid hergestellt. Um die exakten Abmessungen auch bei diesen
niedrigen Einsatztemperaturen richtig zu planen, ist es erforderlich, die
thermische Ausdehnung der verwendeten Materialien sehr genau zu kennen.
In einem kürzlich abgeschlossenen ESA-Projekt hat die Physikalisch-Technische
Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig die thermische Ausdehnung dieser Keramiken
sowie von einkristallinem Silizium im Temperaturbereich von -266 Grad Celsius
bis 20 Grad Celsius mit hoher Genauigkeit gemessen. In weiten Teilen des
untersuchten Temperaturbereichs entspricht die erreichte Genauigkeit einer
relativen Längenänderung von etwa einem Milliardstel pro Grad Celsius. Die
Untersuchungen zeigen auch, dass die bisher verwendeten Werte für das
Referenzmaterial einkristallines Silizium korrigiert werden müssen.
Weltraumteleskope wie Herschel erforschen Spektralbereiche, die von
der Erde aus nicht zugänglich sind. Als Einsatzort bleibt damit nur der
Weltraum. Wie entscheidend es für den Bau solcher Teleskope ist, das thermische
Ausdehnungsverhalten der verwendeten Materialien genau zu kennen, wurde bei
einer der jüngeren ESA-Missionen deutlich, als die vorab durchgeführten
Simulationen letztlich nicht mit den gefertigten Spiegeln übereinstimmten.
Zwar wurden die Unstimmigkeiten nicht erst im Weltraum entdeckt, aber sie
führten doch zu unnötigen Verzögerungen. Um derartige Überraschungen zukünftig
vermeiden zu können, waren genauere Untersuchungen der verwendeten Materialien
erforderlich. Für ihre Untersuchungen im Rahmen des ESA-Projektes setzte die
Gruppe von René Schödel das Ultrapräzisionsinterferometer der PTB ein. Damit
maßen sie die Länge der Proben im gesamten Temperaturbereich mit
Nanometer-Genauigkeit.
Dieses Interferometer ist weltweit einzigartig. Um Messungen mit ähnlicher
Genauigkeit auch in anderen Instituten und mit weniger Aufwand durchführen zu
können, werden üblicherweise Referenzmaterialien mit genau bekannter thermischer
Ausdehnung als Vergleich herangezogen. Ein solches Referenzmaterial,
einkristallines Silizium, das sich durch eine durchgehende Gitterstruktur mit
sehr wenigen Störstellen auszeichnet, haben die Wissenschaftler in dem Projekt
ebenfalls untersucht.
Wie einige der ultrastabilen Keramikmaterialien auch, hat Silizium die
kuriose Eigenschaft, dass es sich hin zu tiefen Temperaturen ab einer gewissen
Temperatur wieder auszudehnen beginnt. Auch diese - im Alltag unerwartete -
Dynamik haben die PTB-Wissenschaftler genau vermessen. Ein wichtiges Ergebnis
ihrer Messungen: Sie fanden in einem weiten Temperaturbereich signifikante
Abweichungen von den bisher für einkristallines Silizium verwendeten
Referenzwerten. Dies deutet darauf hin, dass die Referenzwerte korrigiert werden
müssen.
Die Ergebnisse des Projekts sind von Bedeutung für weitere, bereits geplante
Weltraummissionen wie das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST), für das
Einsatztemperaturen unterhalb von -220 Grad Celsius geplant sind, oder das
Infrarot-Weltraumteleskop für Kosmologie und Astrophysik (SPICA), bei dem sogar
noch niedrigere Einsatztemperaturen angedacht sind.
Über die Ergebnisse in Bezug auf die Verwendung von einkristallinem Silizium
als Referenzmaterial berichten die Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift
Physical Review B.
|