Gewaltige Wellen in der Atmosphäre der Sonne
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
13. Oktober 2015
Ein neues Sonnenphänomen haben jetzt zwei
Forschergruppen unabhängig voneinander entdeckt: sehr großräumige, explosionsartige Wellenfronten in der Atmosphäre
unseres Zentralsterns. Die riesigen Wellen tragen möglicherweise
entscheidend dazu bei, Partikel aus der Sonnenatmosphäre
ins All zu beschleunigen. Der Fund gelang mithilfe der Raumsonden STEREO A und
ACE.

Die riesigen Wellenfronten in der
Sonnenatmosphäre in einer Aufnahme der Sonde
STEREO A.
Bild: NASA / STEREO A / MPS / AAS [Gesamtansicht] |
Die Sonne ist ein eruptiver Stern: Immer wieder spuckt sie in heftigen
Ausbrüchen Teilchen und Strahlung ins All. Beispiele solcher Ausbrüche sind etwa
koronale Massenauswürfe, bei denen ein Plasma aus Elektronen, Protonen und
wenigen schweren Atomen ins All geschleudert wird, sowie kurze, gebündelte
Röntgenblitze. Beide Phänomene treten in Zusammenhang mit sogenannten
Sonneneruptionen auf.
Nun haben Forscher um Nariaki Nitta vom Lockheed Martin Advanced
Technology Center in den USA und um Radoslav Bucík vom Max-Planck-Institut
für Sonnensystemforschung (MPS) in Messdaten von 2010 unabhängig voneinander
eine völlig neue Form solarer Ausstöße entdeckt: großräumige Wellenfronten in
der Atmosphäre der Sonne, zusammen mit Teilchenströmen, die reich an Helium-3
sind. Helium-3 ist eine leichte Spielart des Edelgases Helium. Die Wellenfronten
ließen sich in energiereicher, ultravioletter Strahlung, der so genannten
EUV-Strahlung, aus der Sonnenatmosphäre aufspüren.
Die Wellenfronten, welche die Forscher in Daten vom 26. Januar und 2. Februar
2010 detektierten, erstreckten sich über mindestens eine halbe Million
Kilometer und breiteten sich mit Geschwindigkeiten von etwa 300 Kilometern pro
Sekunde aus. Sie treten kurz nach einem schwachen Röntgenblitz auf,
unterscheiden sich jedoch deutlich von dieser typischerweise gebündelten Form
des Strahlungsausstoßes. Koronale Massenauswürfe als Auslöser der Wellen wurden
nicht beobachtet.
"Das neue Phänomen gleicht einer Art Explosion", so Bucík, der das Team aus
Forschern des MPS, der Johns Hopkins University und des Jet
Propulsion Laboratory in den USA leitete. Zeitgleich mit der
explosionsartigen EUV-Welle schleudert die Sonne Helium-3-reiche Teilchenströme
ins All. Solche Ausstöße sind seit Jahren bekannt, ließen sich bisher jedoch
nicht erklären.
"Wir glauben nun, dass die EUV-Wellen die Helium-3-Teilchen beschleunigen",
so Davina Innes vom MPS. "Unsere Auswertungen zeigen, dass die Eigenschaften der
Wellenfront, wie etwa ihre Energie, auch die Eigenschaften der Teilchen
beeinflusst", fügt ihre MPS-Kollegin Lijia Guo hinzu. Wie dies genau geschieht,
ist jedoch noch immer unklar. Die Forscher vermuten einen noch unverstandenen
Mechanismus, der die Teilchen ins All beschleunigt.
Um sowohl das Wellenphänomen, als auch die Helium-3-Ausstöße zu beobachten
und so den Zusammenhang zwischen beiden zu erkennen, war ein zweifacher Blick
auf die Sonne nötig. Da sich die Sonne dreht, verlassen ausgestoßene Teilchen
den Stern auf gebogenen Bahnen ähnlich wie die Wasserstrahlen eines rotierenden
Rasensprengers. Die Teilchen, die die Erde erreichen, haben deshalb ihren
Ursprung auf der von der Erde aus betrachtet rechten Seite der Sonne. Diese
Ursprungsregion ist von der Erde aus nicht gut sichtbar.
"STEREO A ist das einzige Sonnenobservatorium im Weltall, das nicht nah bei
der Erde verharrt, sondern um die Sonne herumfliegt", erklärt Bucík. Anfang 2010
blickte die Raumsonde genau auf die richtige Sonnenseite. Während die erdnahe
Sonde ACE den Helium-3-reichen Teilchenstrom detektieren konnte, lieferte
deshalb STEREO A Aufnahmen ihrer Ausgangsregion – und der zeitgleichen
EUV-Welle.
Die Forscher glauben, dass das neue Phänomen kein seltenes ist, sondern sich
nur bisher nicht beobachten ließ. "Leider wird sich aber auf absehbare Zeit
keine weitere Beobachtungsmöglichkeit bieten", beklagt Bucík. STEREO A ist eine
von zwei Zwillingssonden der NASA, die 2006 ins All startete. Die Sonden,
genannt A und B, umkreisten die Sonne und entfernten sich dabei in entgegengesetzter Richtung
von der Erde. Sie
ermöglichten so einen dreidimensionalen Blick auf unser Zentralgestirn.
Seit dem Ausfall von STEREO B im Oktober vergangenen Jahres kreist STEREO A
im Alleingang weiter. Erst 2025 wird STEREO A wieder dieselbe günstige
Beobachtungsposition auf der rechten Seite der Sonne einnehmen wie bereits 2010.
ACE (Advanced Composition Explorer) ist eine Raumsonde der NASA. Seit
1997 untersucht sie solare, interstellare und kosmische Teilchen von einem
Beobachtungsstandort in der Nähe der Erde.
Über ihre Beobachtungen berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel,
der in der Zeitschrift The Astrophysical Journal
erschienen ist.
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