Die Dynamik der Protuberanzen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Göttingen astronews.com
25. September 2015
Bei der Untersuchung sogenannter Protuberanzen in der
Korona unserer Sonne haben Wissenschaftler nun eine interessante Entdeckung
gemacht: Offenbar lässt sich aus der Breite von Spektrallinien des Lichts der
Protuberanzen nicht wie gedacht auf ihre Temperatur schließen. Für die
Verbreiterung der Linien dürften andere Prozesse verantwortlich sein.
Sonnen-Protuberanz im Licht der roten
Wasserstoff-Linie H-alpha, die rund 50.000
Kilometer über den Scheibenrand hinausragt.
Bild:
Universität Göttingen [Großansicht] |
Sonnen-Protuberanzen sind Plasmawolken, die mehr als 100.000 Kilometer über
den Rand der Sonnenoberfläche hinausragen können. Die Wolken bestehen im Inneren
aus bis zu 150 Kilometer dicken "Fasern". Diese sind mit einer Temperatur von
rund 7.000 Grad deutlich kälter als ihre Umgebung - die bis zu 1,5 Millionen
Grad heiße Sonnenkorona.
Die Erforschung von Protuberanzen erfolgt durch Analyse der Spektrallinien
des Lichts, das sie aussenden. Aus deren Breiten wird mithilfe der sogenannten
"Doppler-Formel" die Temperatur ermittelt. Wissenschaftler der Universitäten
Göttingen und Paris haben jetzt gezeigt, dass diese Doppler-Formel in
Protuberanzen nicht angewandt werden kann.
Protuberanzen bestehen aus einem elektrisch leitfähigen Plasma, das sich nur
sehr eingeschränkt im Magnetfeld bewegen kann. Daher reicht ein schwaches
Magnetfeld von wenigen Tausendsteln der Flecken-Magnetfelder aus, um
Protuberanzen in der Schwebe zu halten.
Aus den Breiten der Spektrallinien sollte sich die Temperatur in den
Protuberanzen ermittelt lassen: die Spektrallinien vom Wasserstoff sollten
56-mal breiter sein als die vom Eisen; Heliumlinien sollten viermal,
Natriumlinien zwölfmal schmaler sein als die vom Wasserstoff - entsprechend den
Atom-Gewichten.
"Wir haben mit dem französischen 0,9-Meter-Sonnenteleskop auf Teneriffa
gleichzeitig Spektrallinien von Wasserstoff, Helium, Natrium, Magnesium, Titan
und Eisen beobachtet und herausgefunden, dass deren Breiten sich nicht durch
eine einheitliche Temperatur erklären lassen", erläutert Dr. Eberhard Wiehr vom
Institut für Astrophysik der Universität Göttingen. "Vergleicht man etwa die
Breite der gelben Natriumlinie mit einer des ionisierten Heliums würde man
mittels Doppler-Formel 50.000 Grad erhalten."
Ähnliche Widersprüche ergeben sich mit den anderen Spektrallinien. Die
Forscher schließen daraus, dass deren Breiten im Wesentlichen durch
Temperatur-unabhängige Bewegungen verursacht werden. "Eine Erklärung hierfür
könnte die Struktur der Protuberanzen liefern, die sich als perlschnurartige
Reihen von Klumpen einiger 100 Kilometer Durchmesser zeigt", vermutet Wiehr.
Das Helligkeits-Maximum jedes einzelnen Klumpens bewegt sich langsam abwärts,
was auf ein Herunterfallen des Klumpens oder auf abwärtslaufende Wellen
hinweisen könnte. Einen sehr viel stärkeren Hinweis auf eine Abwärts-Strömung
geben die nicht-thermischen Bewegungen, die die gemessenen Linien-Breiten
nahelegen. "Es ist bekannt, dass die Plasma-Klumpen durch Abstrahlung so weit
kühlen, dass die Ionen viele ihrer Elektronen wieder einfangen, und sich dadurch
die elektrische Leitfähigkeit eines Gas-Klumpens derart verringert, dass die
magnetischen Kräfte ihn nicht mehr in der Schwebe halten können", so Wiehr.
Solch kühle Klumpen sinken dann durch das Magnetfeld nach unten, wobei sie
sich wieder so weit aufheizen, dass das Gas nach und nach wieder ionisiert. Wie
die Protuberanzen sich dann wieder mit Gas füllen, ist derzeit noch umstritten.
Da es nicht aus der umgebenden Korona kondensieren kann, bleibt nur Nachschub
von unten. Bei hinreichend zurückgewonnener Leitfähigkeit wird der Klumpen dann
vom Magnetfeld wieder in der Schwebe gehalten.
So ein "Stop-and-Go" unterschiedlich ionisierter Gas-Klumpen kann die
beobachteten nicht-thermischen Linien-Verbreiterungen erklären. Die Forscher
planen nun, diese Dynamik am deutschen 1,5-Meter-Sonnenteleskop auf Teneriffa zu
prüfen. Hierzu sollen moderne Bildgebungsverfahren mit adaptiver Optik und
Bild-Rekonstruktion erstmals auf Protuberanzen angewendet werden, die trotz
ihres beschriebenen dynamischen Eigenlebens oft wochenlang leben und sich daher
deutlich von den spektakulären Sonnen-Eruptionen unterscheiden.
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler jetzt in einem
Fachartikel, der in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen
ist.
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