Materie unter Druck
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Bayreuth astronews.com
27. August 2015
Im Inneren von Gasplaneten herrscht ein extremer Druck, der
nach Ansicht von Wissenschaftlern beispielsweise dazu führen sollte, dass hier
Wasserstoff in einer auf der Erde unbekannten exotischen Form existiert. Nun
haben Forscher im Labor mit dem Element Osmium experimentiert. Unter hohem Druck
konnten sie dabei einen ganz neuen Materiezustand beobachten.
Die jüngsten Laborexperimente könnten auch
helfen, das Innere von Gasplaneten wie Jupiter
besser zu verstehen.
Bild: NASA/ESA [Großansicht] |
Bei einem Kompressionsdruck von mehr als 770 Gigapascal - dem höchsten Druck,
der bisher im Labor erzeugt wurde - ändert sich das Elektronenverhalten in
Osmium, dem Element mit der höchsten bekannten Massendichte, auf eine äußerst
ungewöhnliche Weise. Kernelektronen, die normalerweise passiv sind, treten
miteinander in Wechselwirkung.
Der jetzt erstmals beobachtete Effekt lässt vermuten, dass unter extremen
Drücken weitere, bisher unbekannte Materiezustände entstehen könnten. Die neuen
Erkenntnisse können das Verständnis von Strukturen und Prozessen in extrem
komprimierter Materie weiter voranbringen und das Design hochbelastbarer
Funktionsmaterialien fördern. Sie können zudem die Astrophysik bei der
Modellierung des Inneren von großen Planeten und Sternen unterstützen.
Osmium ist ein Platinmetall, das in der Erdkruste sehr selten vorkommt und sich
durch eine außerordentliche Härte auszeichnet. In keinem anderen chemischen
Element ist das Verhältnis von Masse zu Volumen derart hoch. Und kein anderes
Element ist so widerstandsfähig gegenüber Kompressionsdrücken. Eine
internationale Forschungsgruppe aus Deutschland, Frankreich, Schweden, den
Niederlanden und den USA hat Eigenschaften und Strukturen dieses ungewöhnlichen
Metalls jetzt erstmals bei stetig steigenden Drücken analysiert.
Zweistufige Diamantstempelzellen machten es möglich, den Druck auf eine
Rekordhöhe von mehr als 770 Gigapascal zu steigern. In keinem anderen Labor der
Welt wurde bisher bei Raumtemperatur ein derart hoher Kompressionsdruck erzielt
- mehr als doppelt so hoch wie der Druck, der im inneren Erdkern herrscht. Prof.
Dubrovinskaia und Prof. Dubrovinsky von der Universität Bayreuth haben die
Forschungsarbeiten koordiniert. Erst vor wenigen Jahren wurden von ihnen die
leistungsstarken Stempelzellen entwickelt.
Diese enthalten zwei Stempel aus Nanodiamanten, deren halbrunde Köpfe einander
exakt gegenüber liegen. Dazwischen wird die Materialprobe platziert. Die Stempel
haben jeweils einen Durchmesser von rund 10 bis 20 Mikrometern, also zwischen
0,01 bis 0,02 Millimetern. Aufgrund der winzigen Korngröße der Nanodiamanten,
die unterhalb von 50 Nanometern liegt, sind sie extrem belastbar.
Während der enormen Steigerung des Kompressionsdrucks blieb die hexagonale
Grundstruktur des Osmiums durchweg erhalten. Bei rund 150 Gigapascal aber trat
erstmals eine Anomalie im Aufbau der kristallinen Elementarzellen auf. Diese
Strukturänderung ließ sich mit bekannten physikalischen Vorgängen erklären. Doch
eine weitere Anomalie, die in den Elementarzellen bei etwa 440 Gigapascal
beobachtet werden konnte, überraschte die Forscher. "Hier führen konventionelle
Erklärungen nicht weiter. Vielmehr sieht es so aus, als ob die Strukturänderung
durch bisher unbekannte Verhaltensweisen der Kernelektronen verursacht wird",
erklärt Dubrovinskaia.
Kernelektronen befinden sich in unmittelbarer Nähe der Atomkerne und sind an
chemischen Bindungen nicht beteiligt. Dies unterscheidet sie von den sogenannten
Valenzelektronen, die von den Atomkernen deutlich weiter entfernt sind.
Valenzelektronen lösen sich von der räumlichen Zugehörigkeit zu ihren jeweiligen
Atomen und bilden 'elektronische Bänder', so dass chemische Bindungen zwischen
verschiedenen Atomen entstehen.
Unter den hohen, stetig ansteigenden Kompressionsdrücken bleiben die
Kernelektronen aber nicht länger in ihren ursprünglichen, klar unterscheidbaren
Zuständen. Sie beginnen miteinander zu interagieren – und zwar, wie theoretische
Berechnungen zeigen, bei 392 Gigaspascal. "Die Strukturänderungen des Osmiums,
die wir bei rund 440 Gigapascal im Experiment beobachtet haben, lassen sich
daher mit Interaktionen der Kernelektronen gut erklären", so Dubrovinskaia.
Die an der Untersuchung beteiligten Wissenschaftler, an der aus Deutschland auch
Forscher des DESY in Hamburg beteiligt waren, schlagen für die sehr
ungewöhnlichen Interaktionen der Kernelektronen, deren Zustände dabei ineinander
übergehen, die Bezeichnung "Core Level Crossing Transition" vor. "Hier eröffnet
sich ein vielversprechendes Gebiet für weitere Untersuchungen", meint
Dubrovinsky.
"Denn wenn extrem hohe Drücke imstande sind, sogar in einem innerlich sehr
stabilen Metall wie Osmium ein neuartiges Elektronenverhalten auszulösen und so
die Materialstrukturen zu ändern, lassen sich möglicherweise noch andere bisher
unbekannte Materiezustände erzeugen. Nicht zuletzt deshalb ist die
Hochdruckforschung, wie wir sie hier an der Universität Bayreuth betreiben, ein
vielversprechender Forschungszweig", so der Forscher. Er hält es für durchaus
möglich, dass die dabei gewonnenen Erkenntnisse bei der Entwicklung neuer, für
Extrembedingungen geeigneter Funktionsmaterialien genutzt werden können.
Über die Resultate berichteten die Forscher jetzt in der Fachzeitschrift
Nature.
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